Jetzt klang in O’Maras Stimme eine leichte Selbstanklage mit. Er fuhr fort, indem er sagte, er hätte Conway eine hypnotische Behandlung gegeben, um ihm eine bessere Unterscheidung zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und denen der Telfi in seinem Geist zu ermöglichen. Ihm war erst dann bewußt geworden, daß dies Conways erstes Band war, als er die Quittung mit dem Daumenabdruck zu den Akten gelegt hatte — verdammt, wie sollte er denn wissen, wer neu war und wer nicht. Und außerdem, wenn Conway mehr an seine Arbeit und weniger an den Umstand gedacht hätte, daß ein Monitor ihm das Band gab, wäre das alles nie passiert.
Conway, meinte O’Mara mit beißender Ironie, sei wohl ein eingebildeter und überheblicher Narr, der nicht einmal versuchte, seine Abneigung gegen so unzivilisierte Wesen der menschlichen Rasse wie ein Monitor es sei, zu verbergen. Wie ein Wesen mit genügend Intelligenz, die es besitzen mußte, um in diesem Hospital aufgenommen zu werden, so empfinden konnte, überstieg O’Maras Begriffsvermögen.
Conway spürte, wie sein Gesicht brannte. Es war dumm gewesen, den Psychologen nicht darauf aufmerksam zu machen, daß das sein erstes Band war. O’Mara konnte leicht Anklage wegen Pflichtverletzung gegen ihn vorbringen — eine Anklage, die beinahe so ernst genommen wurde wie Ungeschick im Umgang mit Patienten — und man würde Conway entlassen. Aber diese Möglichkeit beeindruckte ihn im Augenblick nicht so sehr wie der Umstand, daß ein Monitor, und noch dazu vor einem zweiten Monitor, ihm eine Rüge erteilte!
Der Mann, der ihn getragen haben mußte, blickte auf ihn herab, und in seinen braunen Augen leuchtete so etwas wie freundliche Sorge. Conway empfand O’Maras Tadel noch schlimmer. Wie konnte ein Monitor es wagen, für ihn Besorgnis zu empfinden!
„… und wenn Sie immer noch nicht wissen, was passiert ist“, sagte O’Mara mit schneidender Stimme, „… Sie haben — wie ich zugebe, aus mangelnder Erfahrung — zugelassen, daß die Telfipersönlichkeit aus dem Band eine Zeitlang Ihre eigene Persönlichkeit in den Hintergrund gedrückt hat. Ihr Bedarf für harte Strahlung, intensive Hitze und in erster Linie das geistige Verschmelzen, wie ein Gruppengeist es braucht, wurde für Sie eine Notwendigkeit — natürlich übertragen auf das nächste menschliche Äquivalent. Eine Weile empfanden Sie das Leben so wie ein einzelnes Telfiwesen, ein individuelles Telfi, das, abgeschnitten von allem geistigen Kontakt mit den anderen Mitgliedern seiner Gruppe, eben wirklich ein armer Teufel ist.“
O’Maras Stimme klang jetzt schon etwas freundlicher.
„Sie sind praktisch mit einem ziemlich kräftigen Sonnenbrand davongekommen. Ihr Rücken wird eine Weile weh tun und später anfangen zu jucken. Geschieht Ihnen recht. Und jetzt verschwinden Sie. Ich will Sie vor neun Uhr früh übermorgen nicht mehr sehen. Halten Sie sich diesen Termin frei. Das ist ein Befehl. Wir haben noch ein kleines Gespräch zu führen, Sie erinnern sich doch?“
Draußen im Korridor überkam Conway ein Gefühl völliger Niedergeschlagenheit, gleichzeitig aber war er ärgerlich, denn in den dreiundzwanzig Jahren seines Lebens hatte er noch keine solche Demütigung erlebt. Man hatte ihn behandelt wie einen schlecht erzogenen kleinen Jungen. Und Conway war immer ein sehr gut erzogener kleiner Junge gewesen. Das tat weh.
Er hatte nicht bemerkt, daß jemand neben ihm ging, bis der Mann ihn ansprach.
„Machen Sie sich wegen des Majors keine Gedanken“, sagte der Monitor mitfühlend. „Im Grunde ist er ein netter Kerl — das werden Sie selbst noch herausfinden, wenn Sie das nächste Mal mit ihm sprechen. Im Augenblick ist er müde und etwas gereizt. Wissen Sie, es sind gerade drei Kompanien eingetroffen, und mehr kommen nach. Aber in ihrem augenblicklichen Zustand nützen sie uns nicht viel — sie sind alle kampfmüde. Major O’Mara und seine Leute müssen…“
„Kampfmüde“, sagte Conway in dem arrogantesten Ton, zu dem er fähig war. Im Augenblick hatte er es einfach satt, daß Leute, die er als geistig weit unter sich stehend betrachtete, ihn entweder beschimpften oder Sympathie für ihn empfanden. „Ich nehme an“, fügte er hinzu, „das bedeutet, daß sie müde geworden sind, Menschen zu töten?“
Er sah, wie das Gesicht des Monitors sich verkrampfte. In seinen Augen flackerte es. Man sah dem Monitor an, daß er am liebsten Conway angebrüllt hätte, aber dann besann er sich eines Besseren. Er sagte nur ganz ruhig:
„Für jemand, der schon seit zwei Monaten hier ist, haben Sie, gelinde ausgedrückt, eine recht unrealistische Anschauung vom Monitor-Korps. Ich verstehe das nicht. Hatten Sie keine Zeit, mit anderen Leuten zu reden?“
„Nein“, erwiderte Conway kühl, „wo ich herkomme, redet man nicht über Personen Ihrer Art, man zieht angenehmere Gesprächsthemen vor.“
„Ich hoffe“, sagte der Monitor, „daß alle Ihre Freunde — wenn Sie überhaupt Freunde haben — von der Art sind, die einem auf den Rücken schlägt.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
Conway zuckte unwillkürlich bei dem Gedanken zusammen, es könnte etwas, das schwerer ist als eine Feder war, seinen verbrannten, mit Blasen überzogenen Rücken berühren. Dann mußte er wieder an das denken, was der andere gesagt hatte. Seine Haltung gegenüber dem Monitor-Korps war also unrealistisch? Sollte er etwa Verständnis empfinden für Gewalttat und Mord und gut Freund mit denen sein, die solche Greueltaten verrichteten? Und dann hatte der Mann die Ankunft einiger Kompanien erwähnt. Warum? Irgend etwas überstieg hier seinen Horizont.
Als er in Sektor 12 eingetroffen war, hatte das Wesen, das Conway seine ersten Instruktionen gegeben hatte, eine kleine Aufmunterungsansprache gehalten. Es hatte gesagt, daß Dr. Conway viele Tests bestanden hätte, um hierherzukommen und daß man ihn willkommen heiße und hoffe, daß seine Arbeit ihm Freude bereiten würde. Seine Probezeit sei jetzt vorüber, und er solle versuchen, mit möglichst vielen Wesen in der Station Freund zu werden. Schließlich hatte man ihm gesagt, er solle, wenn er aus irgendeinem Grund, sei es Unwissenheit oder was auch immer, Schwierigkeiten haben sollte, mit einem von zwei Erdmenschen sprechen, die O’Mara und Bryson hießen.
Unmittelbar darauf hatte man ihn dem leitenden Arzt seiner Station vorgestellt, einem sehr fähigen Erdmenschen namens Mannon. Dr. Mannon war noch nicht Diagnostiker, wenn er sich auch sehr darum bemühte, und war deshalb einen verhältnismäßig großen Teil des Tages über recht menschlich. Er war der stolze Besitzer eines Hündchens, das keinen Zoll breit von ihm wich, so daß extra-terrestrische Besucher oft an Symbiose dachten. Conway konnte Dr. Mannon sehr gut leiden, aber in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß sein Vorgesetzter das einzige Wesen seiner eigenen Spezies war, für das er ein Gefühl der Freundschaft empfand.
Es war eigentlich seltsam. Conway fing an, sich über sich selbst Gedanken zu machen.
Nach dieser würdevollen Ansprache hatte Conway gedacht, nun sei alles gut — besonders, nachdem er feststellte, wie leicht es war, sich mit den ETs unter seinen Kollegen anzufreunden. Zu seinen menschlichen Kollegen hatte er nicht so leicht Kontakt gefunden — mit Ausnahme von Mannon —, weil diese meistens recht zynische und oberflächliche Ansichten über ihre so wichtige Arbeit hatten.
Und dann hatte O’Mara ihn derart erniedrigt und Intoleranz vorgeworfen. Conway wußte, daß er das nicht lange aushalten würde. Er war ein zivilisiertes und ethisches Wesen — weshalb erlaubte man also dem Monitor-Korps, ihn zu peinigen? Conway verstand das einfach nicht.
10
Plötzlich wurde ihm der Name Bryson bewußt. Es war einer der Namen, die man ihm genannt hatte. O’Mara war der eine, und dieser Bryson…
Conway hatte noch niemand dieses Namens kennengelernt, und ein vorübergehender Tralthaner gab ihm entsprechend Auskunft. Conway kam nur bis zu der Tür mit der Aufschrift „Captain Bryson, Monitor-Korps, Kaplan“ und wandte sich sofort wieder wütend ab. Noch ein Monitor! Jetzt gab es nur noch eine Person, die ihm helfen konnte: Dr. Mannon. Den hätte er zuerst aufsuchen sollen.