„Das habe ich nicht gewußt“, stammelte Conway. „Und… und das klingt ja, als ob wir — ich meine ich — völlig nutzlos wären…“
„Natürlich haben Sie das nicht gewußt“, sagte Williamson sanft.
Conway fragte sich, wie es kam, daß ein junger Mann so schön reden konnte, ohne ihn zu beleidigen; er schien irgendwie Autorität zu besitzen. Dann fuhr er fort: „Sie haben wahrscheinlich im Wolkenkuckucksheim Ihrer hohen Ideale gelebt. Nicht, daß daran etwas schlecht wäre — Sie dürfen nur nicht vergessen, daß es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch grau gibt. Unsere augenblickliche Kultur“, fuhr er dann fort, um wieder auf das Hauptthema ihrer Diskussion zurückzukehren, „beruht auf einem Höchstmaß an Freiheit für das Individuum. Jedes Wesen darf tun, was es will, solange es damit andere nicht verletzt. Nur wir Monitore verzichten auf diese Freiheit.“
„Und was ist mit den Reservaten von ›Normalen‹?“ unterbrach ihn Conway. Endlich hatte der Monitor eine Behauptung aufgestellt, der er widersprechen konnte. „Ich würde es nicht gerade Freiheit nennen, unter der Polizeiaufsicht von Monitoren zu leben und auf bestimmte Landstriche beschränkt zu sein.“
„Wenn Sie es sich genau überlegen“, antwortete Williamson, „glaube ich, werden Sie feststellen, daß die Normalen — das heißt die Gruppe auf praktisch jedem Planeten, die sich im Gegensatz zu den rohen Monitoren und den rückgratlosen Ästheten ihrer eigenen Schicht wirklich für ein repräsentatives Abbild ihrer Spezies hält — nicht eingeschränkt sind. Im Gegenteil, sie haben sich auf natürliche Weise zu Gemeinwesen zusammengefunden. Und gerade in diesem Gemeinwesen von Normalen müssen wir Monitore am aktivsten sein. Die Normalen besitzen jede Freiheit, auch das Recht, einander zu töten, wenn sie das wünschen, und das Monitor-Korps hat nur darüber zu wachen, daß Normale, die diesen Wunsch nicht teilen, darunter nicht Schaden leiden.
Wir sorgen auch dafür, daß, wenn auf diesen Welten — von denen einige eigens für diesen Zweck ausgewählt sind — einmal ein Krieg ausbricht, dieser weder zu lang noch zu blutig wird.“ Williamson seufzte. Dann fügte er im Ton bitterer Selbstanklage hinzu: „Wir haben sie unterschätzt. Dieser Krieg hier war blutig und war lang.“
Conways Geist konnte sich immer noch nicht mit den radikal neuen Ideen abfinden. Ehe er in das Hospital gekommen war, hatte er nie direkten Kontakt mit Monitoren gehabt — warum auch? Und die Normalen auf der Erde waren ihm als ziemlich romantische Gestalten in Erinnerung, Menschen, die etwas zu Übertreibungen neigten, das war alles. Natürlich stammte der Großteil seines Wissens über die Monitore von ihnen. Vielleicht hatten die Normalen es mit der Wahrheit und der Objektivität nicht so genau genommen.
„Das ist alles schwer zu glauben“, protestierte Conway. „Sie wollen also sagen, daß das Monitor-Korps in der Ordnung der Dinge größer ist als die Normalen, oder wir, die professionelle Klasse!“ Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „Und außerdem ist das jetzt nicht gerade der richtige Augenblick für eine philosophische Diskussion!“
„Sie haben ja damit angefangen“, konterte der Monitor.
Darauf gab es keine Antwort.
Als Conway eine leichte Berührung an der Schulter spürte und einen DBLF-Pfleger hinter sich sah, mußten seit diesem Gespräch ein paar Stunden vergangen sein. Das Wesen hielt eine Spritze und fragte:
„Eine Injektion, Doktor?“
Plötzlich wurde Conway bewußt, wie schwammig seine Beine geworden waren und wie schwer es ihm fiel, die Augen auf einen Gegenstand zu richten. Offenbar mußte sein nachlassendes Tempo aufgefallen sein, sonst wäre der Pfleger nicht gekommen. Er nickte und krempelte mit einer Hand, die ihm völlig gefühllos vorkam, den Hemdsärmel hoch.
„He!“ schrie er auf. „Was haben Sie denn da, einen sechszölligen Nagel?“
„Entschuldigen Sie“, sagte der DBLF, „aber ehe ich zu Ihnen kam, habe ich zwei Ärzten meiner eigenen Spezies Injektionen gegeben, und Sie wissen ja, daß unsere Oberhaut dicker und körniger ist als die Ihre. Die Nadel ist deshalb etwas abgestumpft.“
Conways Müdigkeit war binnen Sekunden verflogen. Abgesehen von einem leichten Kribbeln in den Händen und Füßen und ein paar grauen Flecken im Gesicht, die nur andere sehen konnten, kam er sich so frisch und munter vor, als wäre er gerade nach zehn Stunden Schlaf aufgestanden und unter die Dusche getreten. Er blickte schnell in die Runde, ehe er die Untersuchung seines augenblicklichen Patienten fortsetzte, und stellte befriedigt fest, daß die Zahl der noch nicht behandelten Patienten auf eine Handvoll zusammengeschrumpft war und daß auch nur mehr halb so viele Angehörige des Monitor-Korps im Raum waren als zu Anfang. Mit den Patienten war man also beinahe fertig, und die Monitore waren selbst Patienten geworden.
Und das alles war rings um ihn vorgegangen. Monitore, die unterwegs auf den großen Schiffen praktisch keinen oder nur wenig Schlaf gehabt hatten, hatten sich eisern dazu gezwungen, weiterzuarbeiten und den überarbeiteten Ärzten des Hospitals zu helfen. Einer nach dem anderen waren sie praktisch bei der Arbeit zusammengebrochen und weggeschleppt worden, so erschöpft, daß ihre Herz- und Lungenmuskeln einfach die Arbeit aufgegeben hatten. Sie lagen jetzt in Spezialstationen, wo sie robotische Herzmassage und künstliche Atmung erhielten und durch eine Vene am Bein künstlich ernährt wurden. Conway hatte gehört, daß nur einer von ihnen gestorben war.
Conway und Williamson nützten einen kurzen Augenblick der Ruhe aus, um durch eine Beobachtungsluke hinauszusehen. Die wartenden Schiffe schienen kaum weniger geworden, und Conway wußte, daß es sich hier um Neuankömmlinge handeln mußte.
Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wo sie all diese Leute unterbringen sollten — selbst die Korridore im Hospital waren schon zum Bersten gefüllt, und es wurden immer noch Patienten aller Spezies umgelegt, um mehr Platz zu schaffen. Aber das war nicht sein Problem. Und das wogende Durcheinander von Schiffen wirkte eigenartig beruhigend auf ihn.
„Achtung, dringender Notfall“, meldete plötzlich eine Stimme aus dem Interkom an der Wand. „Einzelnes Schiff, ein Insasse, Spezies bis jetzt noch unbekannt, verlangt sofortige Behandlung. Insasse hat nur teilweise Kontrolle über sein Schiff, schwer verletzt, und die Verbindung ist unzusammenhängend. Achtung, an alle Einlaßschleusen…!“
O nein, dachte Conway, nicht ausgerechnet in diesem Augenblick! Er hatte ein kaltes Gefühl im Magen und malte sich in den schwärzesten Farben aus, was geschehen würde. Williamsons Knöchel traten weiß hervor, so fest umkrampfte er den Rand der Luke.
„Da!“ sagte er mit ausdrucksloser, verzweifelter Stimme.
Ein fremder Eindringling näherte sich den wartenden Schiffen mit wahnwitziger Geschwindigkeit und auf unberechenbarem Kurs; eine gedrungene schwarze Torpedoform erreichte und durchdrang die wogende Schiffsmasse, ehe Conway auch nur Luft holen konnte. Die Schiffe stoben auseinander, entgingen um Haaresbreite dem Zusammenstoß, und der Fremde raste weiter, als wäre nichts geschehen. Jetzt befand sich nur noch ein Schiff in seiner Flugbahn, ein Monitor-Transporter, der gerade Landeerlaubnis bekommen hatte und sich einer Einlaßschleuse näherte. Der Transporter war schwerfällig und groß und nicht für blitzschnelle Manöver gebaut — er hatte weder Zeit noch die Manövrierfähigkeit, sich zu retten. Ein Zusammenstoß war unabwendbar, und der Transporter war mit Verwundeten vollgestopft!