Am nächsten Morgen erhielt er die Anweisung, sich im Büro des Chefpsychologen zu melden.
18
Es mußte einer der großen Kolonialtransporter des Typs gewesen sein, die vier Generationen Kolonisten zu den Sternen getragen hatten, ehe der Hyperantrieb solche Riesenschiffe überflüssig gemacht hatte, dachte Conway, als er auf das riesige, tropfenförmige Gebilde blickte, das man durch das Bullauge neben O’Maras Schreibtisch sehen konnte. Mit Ausnahme der Pilotenkabine waren seine Beobachtungsgalerien und Bullaugen mit dicken Metallplatten verschlossen und von außen mit kräftigen Bolzen befestigt, um beträchtlichem inneren Druck zu widerstehen. Selbst neben dem mächtigen Bauwerk von Sektor 12 wirkte er riesig.
„Ihre Aufgabe wird es sein, als Verbindungsmann zwischen dem Hospital und dem Arzt und dem Patienten von diesem Schiff zu fungieren“, sagte Chefpsychologe O’Mara, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Der Arzt ist ein ziemlich kleines Lebewesen. Der Patient ist ein Dinosaurier.“
Conway war bemüht, sein Erstaunen nicht zu zeigen. O’Mara analysierte seine, Conways, Reaktionen, das wußte er, und er empfand eine beinahe perverse Freude daran, dem anderen das Leben so schwer wie möglich zu machen. So sagte er nur:
„Und was fehlt ihm?“
„Nichts“, sagte O’Mara.
„Dann muß es psychologischer Natur…?“
O’Mara schüttelte den Kopf.
„Was hat aber ein gesundes, geistig normales und intelligentes Wesen in einem Hos —“
„Es ist nicht intelligent.“
Conway atmete langsam ein und aus. O’Mara spielte offenbar wieder Rätselraten mit ihm — nicht, daß das Conway etwas ausmachte, solange man ihm wenigstens eine Chance gab, die richtige Antwort zu erraten. Er blickte wieder zu dem mächtigen Transporter hinaus und überlegte.
Der Einbau eines Hyperantriebs in diesen Kloß mußte Geld gekostet haben und diese strukturellen Veränderungen noch eine ganze Menge mehr.
„Ich hab’s!“ sagte Conway und grinste. „Ein neues Spezimen, das wir auseinandernehmen und untersuchen sollen…“
„Großer Gott, nein!“, rief O’Mara erschreckt. Er blickte schnell, beinahe ängstlich auf eine kleine Plastikkugel, die, halb versteckt von ein paar Büchern, auf seinem Tisch stand, und fuhr dann ernsthaft fort:
„Die ganze Geschichte ist auf höchster Ebene beschlossen worden — eine Sonderkommission des galaktischen Rates hat sich damit befaßt. Was das Ganze zu bedeuten hat, weiß weder ich noch sonst jemand im Sektor 12. Vielleicht wird es Ihnen der Arzt, der den Patienten begleitet hat und in dessen Obhut er sich befindet, eines Tages erzählen…“
O’Maras Ton war zu entnehmen, daß er diesbezüglich starke Zweifel hegte. „… aber vom Hospital und Ihnen erwartet man nur Unterstützung, sonst nichts.“
Es schien, daß das Wesen, das in diesem Falle der Arzt war, einer erst kürzlich entdeckten Rasse angehörte. Man habe ihm die Klassifikation VUXG gegeben, meinte O’Mara, das hieß, es handelte sich um eine Lebensform mit gewissen Psi-Eigenschaften. Die Angehörigen dieser Spezies waren klein und beinahe unzerstörbar.
Der VUXG-Arzt war telepathisch, aber seine Ethik verbot ihm, seine Fähigkeiten dafür einzusetzen, mit nichttelepathischen Lebewesen Verbindung aufzunehmen, obwohl die erdmenschliche Frequenz in seinem Bereich enthalten war. Aus diesem Grunde würde ausschließlich der Translator benutzt werden. Dieser Arzt gehörte einer Spezies an, die sowohl individuell gesehen als auch, was ihre aufgezeichnete Geschichte betraf, von langer Lebensdauer war. Und in diesem ganzen langen Zeitraum hatte es keine Kriege gegeben.
Sie war eine alte, weise und demütige Rasse, schloß O’Mara; ungemein demütig. In solchem Maße, daß sie dazu neigte, auf andere Rassen herabzusehen, die nicht so demütig waren. Conway würde sehr taktvoll sein müssen, denn diese extreme, diese beinahe erdrückende Demut konnte leicht für etwas anderes gehalten werden.
Conway sah O’Mara scharf an. War da in diesen scharfen eisengrauen Augen nicht eine Spur von Ironie zu sehen? Und dann sah er O’Mara blinzeln.
Conway tat, als bemerkte er es nicht und meinte:
„Die kommen mir ja recht überspannt vor.“
Er sah, wie O’Maras Lippen zuckten, und dann war plötzlich eine neue Stimme zu hören. Sie war ausdruckslos und blechern — eine Stimme aus einem Translator. Sie dröhnte:
„Der Sinn dieser Bemerkung ist mir nicht klar. Wir sind überspannt — gespannt? — worüber?“ Eine kurze Pause und dann: „Ich räume zwar ein, daß meine eigenen geistigen Fähigkeiten gering sind, möchte jedoch gleichzeitig in aller Demut darauf hinweisen, daß der Fehler nicht ganz allein bei mir liegt, sondern in gewissem Maße auch der bedauernswerten Tendenz jüngerer und weniger praktisch eingestellter Rassen zugeschrieben werden kann, sinnlose Geräusche zu machen, wenn es überhaupt nicht nötig ist, ein Geräusch von sich zu geben.“
Conways Augen suchten den ganzen Raum ab und blieben schließlich an dem durchsichtigen Plastikbehälter auf O’Maras Schreibtisch haften. Jetzt, wo er ihn genau betrachtete, sah er, daß der Plastikbehälter mit Gurten versehen war. Außerdem erkannte er die unmißverständliche Form einer Translatoreinheit. In dem Behälter schwebte etwas…
„Dr. Conway“, sagte O’Mara trocken, „darf ich Sie Dr. Arretapec, Ihrem neuen Chef, vorstellen.“
Das Ding in der Plastikkugel, das man am besten mit einer vertrockneten Pflaume, umgeben von einem kugelförmigen Sirupklumpen, vergleichen konnte, war der VUXG-Doktor! Conway spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.
„Da eine äußerst enge Zusammenarbeit erforderlich ist“, fuhr O’Mara schnell fort, „und das Wesen Arretapec nur von äußerst geringer Masse ist, werden Sie es im Dienst tragen.“ Mit diesen Worten schnallte O’Mara den Behälter auf Conways Schultern. Als er damit fertig war, fügte er hinzu: „Sie können jetzt gehen, Dr. Conway. Detaillierte Anweisungen werden Sie, wenn nötig, von Dr. Arretapec direkt erhalten.“
Das konnte auch nur hier passieren, dachte Conway benommen, als sie das Büro verließen. Da stand er jetzt mit einem ET-Arzt auf der Schulter, und ihr Patient war ein gesunder, kräftiger Dinosaurier. Der Zweck der ganzen Geschichte war nur seinem Kollegen klar, und dieser schien keine Lust zu verspüren, ihn einzuweihen.
Auf ihrem Weg zu Schleuse siebzehn, der Stelle, wo das Schiff mit ihrem Patienten an das Hospital angekuppelt war, versuchte Conway, dem extraterrestrischen Arzt die Hospital-Organisation zu erklären.
Dr. Arretapec stellte von Zeit zu Zeit sinnvolle Fragen, schien sich also für eine Erklärung zu interessieren.
Obwohl er damit gerechnet hatte, war Conway doch von der ungeheuren Größe und Weitläufigkeit des umgebauten Transporters beeindruckt. Mit Ausnahme der zwei Decks unmittelbar an der Außenwand des Schiffes, wo sich im Augenblick die Schwerkraftgeneratoren befanden, hatten die Ingenieure des Monitor-Korps alles weggeschnitten, um einen kugelförmigen freien Raum von zweitausend Fuß Durchmesser zu bekommen. Die innere Fläche dieser Kugel war ein feuchtes, schlammiges Chaos. Riesige Haufen entwurzelter Vegetation waren planlos verstreut und größtenteils in den Schlamm getrampelt. Conway stellte auch fest, daß der größte Teil davon im Aussterben begriffen war.
Nach der glitzernden, antiseptischen Sauberkeit, an die er gewohnt war, war das für Conway ein ziemlicher Schock. Er begann, sich nach dem Patienten umzusehen.
Sein Blick schweifte über ungeheure Flächen Schlamm und Vegetation, bis er hoch über seinem Kopf auf der entgegengesetzten Seite der Kugel einen kleinen, tiefen See erkannte. Unter seiner Oberfläche bewegte sich etwas. Plötzlich durchbrach ein winziger Kopf auf einem langen, schlangenartigen Hals die Oberfläche, sah sich um und tauchte platschend wieder unter.