„Können Sie nicht…“
„Wir dichten die Lecks so schnell wie möglich ab“, unterbrach ihn Skempton und beantwortete damit Conways Frage, ehe er sie überhaupt hatte stellen können. „Aber wenn das so weitergeht, fliegt noch das ganze Schiff auseinander.“
Jetzt schaltete Dr. Arretapec sich ein.
„Dr. Conway“, sagte das Wesen, „es ist zwar offenkundig, daß der Patient erstaunliche Fähigkeiten mit seinem neuen Talent gezeigt hat. Ich bin aber überzeugt, daß dieses traumatische Erlebnis irreparablen Schaden an den Denkprozessen des Wesens verursachen wird…“
„Conway, aufpassen!“
Das Reptil war ein paar hundert Meter entfernt beinahe in Bodenhöhe zum Stillstand gekommen und schoß jetzt im rechten Winkel auf Conway zu. Aber es flog im Inneren einer hohlen Kugel auf geradem Kurs, das heißt, die Oberfläche krümmte sich ihm entgegen. Conway sah, wie der Gigant zusammenzuckte, als die Männer von den Strahlerbesatzungen verzweifelt versuchten, ihn abzubremsen. Und dann brach der mächtige Leib plötzlich durch die niederen, dicht beieinanderstehenden Bäume, pflügte eine Furche durch den weichen, schlammigen Boden — und Conway stand genau in seinem Weg.
Ehe er den Schalter an seinem Schwerkraftgürtel betätigen konnte, kam ihm der Boden entgegen. Ein paar Minuten war Conway zu benommen, um zu verstehen, weshalb er sich nicht bewegen konnte, und dann sah er, daß er bis zur Hüfte in einer klebrigen Masse aus Schlamm, Erde und Blättern begraben war. Die Erdstöße, die er fühlte, wurden von dem Brontosaurier verursacht, der auf die Beine zu kommen versuchte. Conway blickte auf und sah die große Masse über sich aufragen, sah, wie der Brontosaurier sich unbeholfen umdrehte und hörte die saugenden und knackenden Geräusche, als die massiven, säulenartigen Beine sich beinahe knietief in den Boden bohrten.
Emily hatte wieder Kurs auf den See genommen, und zwischen dem See und Emily war Conway!
In einem verzweifelten Versuch, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schrie er und fuchtelte mit den Armen um sich, denn sein Schwerkraftgürtel und das Radio waren beschädigt, und er steckte fest. Der große Reptilberg rollte auf ihn zu. Ein mächtiges Bein schwebte über ihm, bereit, ihn im nächsten Augenblick zu töten und im gleichen Arbeitsgang zu begraben. Und dann wurde Conway plötzlich in die Höhe und zur Seite gerissen, wo ein kleines Etwas, das an eine verrunzelte Pflaume erinnerte, in der Luft schwebte.
„In der Aufregung“, sagte Arretapec, „hatte ich vergessen, daß Sie ein mechanisches Gerät benutzen, um zu teleportieren. Ich bitte um Entschuldigung.“
„Sch-sch-schon gut“, stammelte Conway. Er bemühte sich, seine zitternden Hände zur Ruhe zu bringen und sah dann die Leute von der Druckstrahlmannschaft unter sich. Dann rief er: „Schafft mir schleunigst ein Radio und einen Projektor her!“
Zehn Minuten später war er zwar zerschlagen und über und über mit blauen Flecken bedeckt, aber bereit, weiterzumachen. Er stand am Wasserrand, Arretapec saß auf seiner Schulter, und rings um ihn hatte sich erneut das fast zwanzig Meter große Bild aufgebaut. Der VUXG-Arzt, der sich mit dem Brontosaurier unter der Wasserfläche in Rapport befand, berichtete, daß die Chancen jetzt fünfzig zu fünfzig standen. Der Patient hatte ein traumatisches Erlebnis mitgemacht, aber die Tatsache, daß er sich jetzt unter Wasser „in Sicherheit“ befand — wo er früher Zuflucht vor Hunger und vor Angriffen seiner Feinde gesucht hatte — übte, verbunden mit Arretapecs dauerndem geistigen Zuspruch, einen beruhigenden Einfluß aus.
Teils hoffend, teils verzweifelnd, wartete Conway. Und dann brach plötzlich der mächtige Kopf durch die Wellen, und der riesige Dinosaurierleib stemmte sich ans Ufer. Langsam knickten die Hinterbeine ein, und dann streckte sich der lange Hals zum Himmel. Der Brontosaurier wollte wieder spielen.
Conway spürte einen Klumpen in seiner Kehle. Er sah sich um, wo ein Haufen Grünzeug bereitlag. Ein Bündel davon schwebte bereits auf ihn zu, aber er wehrte mit einer ungeduldigen Handbewegung ab und rief:
„Oh, gebt ihm nur alles, er hat es sich verdient…“
„… und als Arretapec dann die Umweltbedingungen auf der Welt des Patienten sah“, sagte Conway etwas steif, „und seine hellseherische Begabung ihm sagte, was aller Wahrscheinlichkeit nach die Zukunft des Brontosauriers sein würde, mußte er versuchen, daran etwas zu ändern.“
Conway befand sich im Büro des Chefpsychologen und gab einen vorläufigen mündlichen Bericht ab. O’Mara, Hardin, Skempton und der Direktor des Hospitals saßen ihm gegenüber. Er räusperte sich und fuhr fort:
„Aber Arretapec gehört einer alten, stolzen Rasse an, und der Umstand, daß er Telepath ist, macht ihn noch empfindlicher — Telepathen fühlen wirklich, was andere von ihnen denken. Was Arretapec vorhatte, war so radikal, daß er sich und seine Rasse so lächerlich gemacht hätte, wenn sein Experiment mißlungen wäre, daß er das ganze Projekt einfach geheimhalten mußte. Die Umweltbedingungen auf dem Planeten des Brontosauriers deuteten darauf hin, daß nach dem Aussterben der großen Reptilien dort keine intelligente Lebensform entstehen und daß in geologischer Hinsicht dieses Aussterben bald erfolgen würde. Die Spezies des Patienten existierte schon ziemlich lange, aber es standen klimatische Veränderungen bevor. Die Wesen konnten der Sonne nicht zum Äquator folgen, da die Planetenoberfläche aus einer großen Zahl von Inselkontinenten bestand. Wenn man aber diese riesigen Reptilien dazu bringen konnte, die Psi-Fähigkeit der Teleportation zu entwickeln, würde die Ozeangrenze verschwinden und damit auch die Gefahr, daß die Wesen den Kälte- oder Hungertod sterben. Und das ist Dr. Arretapec gelungen.“
An dieser Stelle mischte O’Mara sich ein. „Wenn Arretapec dem Brontosaurier die Fähigkeit der Teleportation verschafft hat, indem er auf sein Gehirn einwirkte, warum kann man dann nicht für uns das gleiche tun?“
„Wahrscheinlich, weil wir ohne Teleportation auch ganz gut gefahren sind“, antwortete Conway. „Dem Patienten andererseits ist gezeigt und verständlich gemacht worden, daß dieses Talent für sein Überleben wichtig war. Und sobald er das einmal erkannt haben wird, wird diese Fähigkeit auch weitergegeben werden, da sie in praktisch allen Spezies latent vorhanden ist. Jetzt, da Arretapec bewiesen hat, daß der Gedanke sinnvoll ist, wird seine ganze Rasse sich darum kümmern. Und die Intelligenz auf einem sonst toten Planeten zu fördern, ist ein Großprojekt, das diesen großspurigen Burschen so richtig paßt…“
Conway dachte an jenen Sekundenbruchteil, den er in Arretapecs Geist gesehen hatte, an die Zivilisation, die sich auf der Brontosaurierwelt entwickeln würde und an die monströsen und doch eigenartig graziösen Wesen, die in einer fernen, fernen Zukunft dort leben würden. Aber diese Gedanken erwähnte er nicht laut. Er sagte nur:
„Arretapec war, wie die meisten Telepathen, gegenüber rein physischen Untersuchungsmethoden äußerst skeptisch. Erst, als ich ihn mit Dr. Mannons Hund bekannt machte und ihm bewies, daß man einem Tier am besten neue Tricks beibringt, indem man mit ihm spielt…“
Oberst Skempton hustete. „Sie brauchen gar nicht so zu tun, als wären Sie selbst nicht an der Geschichte beteiligt. Ihr Gedanke, diesen alten Kahn mit Zug- und Druckstrahlen auszurüsten…“
„Nur eines noch“, warf Conway schnell ein. „Arretapec hat gehört, wie einige der Männer das Wesen Emily nannten. Er möchte gerne wissen, warum.“
„Das kann ich mir auch nicht vorstellen“, sagte O’Mara grinsend. „Aber ich muß sagen, der Name ›Emily Brontosaurus‹ klingt wirklich nett.“
Conway nickte. Wenn er nur schon wüßte, wie er Dr. Arretapec beibringen sollte, was Humor war.
Am nächsten Tag reisten Arretapec und der Dinosaurier ab, der Monitor-Offizier, dessen Aufgabe es war, dafür zu sorgen, daß das Hospital mit Lebensmitteln versorgt wurde, atmete auf, und Conway wurde wieder zum Stationsdienst versetzt. Aber diesmal war er etwas mehr als ein medizinischer Mechaniker. Man hatte ihm die Leitung einer Säuglingsstation übertragen, und wenn er auch Krankenpläne, Arzneien und Berichte benutzen mußte, die Thornastor, der leitende Diagnostiker der pathologischen Abteilung stellte, gab es doch niemanden, der ihn unter Druck setzte. Er konnte durch seine Abteilung gehen und sagen, daß das seine Station war. Und O’Mara hatte ihm sogar einen Assistenten versprochen!