„Was, zum Teufel, ist überhaupt los mit dir?“ brüllte O’Mara gegen das Getöse an. Der FROB war über und über mit Nahrungskonzentrat bedeckt, konnte also nicht hungrig sein.
Jetzt, da der Kleine ihn gesehen hatte, nahm die Intensität seiner Schreie zu. Die balgartige Muskelklappe auf dem Rücken des Kleinen ein Körperteil, der nur zur Geräuscherzeugung benutzt wurde, da die FROBs nicht atmeten — schwoll schnell an und ab. O’Mara preßte sich die Hände gegen die Ohren — was ihm überhaupt nichts nützte und schrie: „Halt’s Maul!“
Er wußte, daß der kürzlich verwaiste Hudlarer immer noch Angst und Schrecken empfinden mußte, daß der bloße Prozeß der Fütterung nicht alle seine emotionalen Forderungen erfüllen konnte — O’Mara wußte all das und empfand tiefes Mitgefühl für das Wesen. Aber dieses Mitgefühl befand sich in einem ruhigen, gesunden und zivilisierten Winkel seines Gehirns — völlig abgesondert von dem Schmerz, der Müdigkeit und der Tortur, die dieses Getöse verursachte. Im Augenblick wohnten zwei Seelen in seiner Brust, und während eine davon den Grund für diesen Lärm verstand, reagierte die andere instinktiv und wütend darauf.
„Halt’s Maul! Halt’s Maul!“, schrie O’Mara und schlug wie wild mit den Fäusten um sich.
Erstaunlicherweise — oder war es ein Wunder — hörte der Hudlarer nach etwa zehn Minuten zu schreien auf.
O’Mara kehrte zitternd auf seine Couch zurück. Während dieser zehn Minuten hatte ihn eine wilde, unkontrollierbare, ja mörderische Wut erfaßt. Er hatte wütend um sich geschlagen und gestoßen, bis die Schmerzen in seinen Händen und an seinem verletzten Bein ihn bewegungsunfähig machten, aber das hatte ihn nicht gehindert, die anderen Waffen zu benutzen, die ihm noch verblieben waren — sein gesundes Bein und seine Zunge.
Nachher schämte er sich. Es nützte auch nichts, daß er wußte, daß der Hudlarer zäh war und vielleicht die Schläge nicht gespürt hatte; der Kleine hatte aufgehört zu schreien. Folglich mußte er, O’Mara, sich irgendwie verständlich gemacht haben. Zweifellos waren Hudlarer hart und zäh, aber das hier war ein Baby, und Babys hatten schwache Stellen. Menschliche Babys zum Beispiel hatten eine sehr schwache Stelle oben am Kopf!
Als O’Mara erschöpft in den Schlaf sank, war sein letzter, zusammenhängender Gedanke, daß er der gemeinste Schuft war, der je das Licht der Welt erblickt hatte.
Sechzehn Stunden darauf erwachte er. Es war ein langsamer, natürlicher Prozeß, der kaum ausreichte, ihn ins Bewußtsein zurückzurufen. Einen Augenblick wunderte er sich über die Tatsache, daß das Baby still war, und dann sank er erneut in den Schlummer. Das nächstemal erwachte er fünf Stunden später, als Waring durch die Luftschleuse kam.
„Dr. P-Pelling hat mich gebeten, Ihnen das zu bringen“, sagte er und warf O’Mara ein dünnes Buch hin. „Und damit das klar ist — ich tue es nicht Ihnen zu Gefallen — er hat nur gesagt, es wäre gut für den Kleinen. Wie geht’s ihm denn?“
„Schläft“, knurrte O’Mara.
Waring feuchtete sich die Lippen an. „Ich — ich soll nachsehen. C–C-Caxton hat es gesagt.“
„Das sieht Ca-Ca-Caxton ähnlich“, spottete O’Mara.
Er musterte den anderen und sah, wie Warings Gesicht sich rötete. Waring war ein hagerer, junger Mann, nicht besonders stark und auch nicht von dem Stoff, aus dem Helden gemacht werden. Als O’Mara angekommen war, hatte man von diesem Zugstrahlmann Wunderdinge erzählt. Bei der Montage eines Energiemeilers hatte es einen Unfall gegeben, und Waring hatte in einer ungenügend isolierten Montageeinheit festgesessen. Aber er hatte die Nerven behalten und es fertiggebracht, mit Hilfe von auf dem Funkwege durchgegebenen Instruktionen eine langsame Atomexplosion abzuwenden, die wahrscheinlich sämtliche Arbeiter in seinem Abschnitt getötet hätte. Er hatte das im vollen Bewußtsein getan, daß die Strahlungsmenge an seinem Arbeitsplatz ausreichte, um ihn binnen weniger Stunden zu töten.
Aber die Isolierung war wirksamer gewesen als man angenommen hatte, und Waring starb nicht. Aber der Unfall hatte seine Spuren an ihm hinterlassen, erzählte man O’Mara. Der Mann hatte Bewußtseinsstörungen, er stotterte, und sein Nervensystem war angegriffen, sagte man, und es gab noch andere Dinge, die O’Mara selbst sehen würde und auf die er besser nicht achtete. Schließlich hatte Waring ihrer aller Leben gerettet und verdiente dafür besondere Behandlung. Deshalb gingen sie ihm auch immer aus dem Weg, ließen ihn alle Prügeleien gewinnen, jedes Spiel, jede Wette und behandelten ihn aus Sentimentalität heraus wie ein rohes Ei.
Und aus diesem Grunde war Waring ein verzogener, unerträglicher Patron.
Als O’Mara seine zusammengepreßten Lippen und die geballten Fäuste sah, lächelte er. Er hatte Waring nie gewinnen lassen, wenn er es verhindern konnte, und als der Mann einen Streit mit ihm angezettelt hatte, war das auch der letzte gewesen. Nicht, daß O’Mara ihm wehgetan hatte. Er hatte nur demonstriert, daß es keine besonders gute Idee war, mit ihm, O’Mara, anzubinden.
„Dann schauen Sie nur hinein“, sagte O’Mara schließlich. „Tun Sie, was Ca-Ca-Caxton sagt.“
Sie gingen hinein, beobachteten den schwach mit seinen Tentakeln zuckenden Säugling und kamen wieder heraus. Waring erklärte stammelnd, er müsse gehen und strebte auf die Luftschleuse zu. Er stotterte in letzter Zeit nicht mehr viel, wahrscheinlich hatte er nur Angst, daß die Sache mit dem Unfall zur Sprache kommen würde.
„Einen Augenblick“, sagte O’Mara. „Mir geht das Nahrungskonzentrat aus. Würden Sie…“
„Ho-holen Sie es doch selbst!“
O’Mara starrte ihn an, bis Waring seinem Blick auswich, und sagte dann leise: „Beides auf einmal kann Caxton nicht haben. Wenn man sich so gründlich um diesen Kleinen kümmern muß, daß ich ihn nicht im Vakuum füttern oder halten darf, wäre es eine Pflichtverletzung meinerseits, ihn ein paar Stunden allein zu lassen und Nahrung zu holen. Das sehen Sie doch sicher ein. Wer weiß, was da passieren könnte. Man hat mich für das Wohlbefinden dieses Kleinen verantwortlich gemacht, und ich bestehe deshalb darauf…“
„A-a-aber es…“
„Das kostet Sie nur alle zwei, drei Tage eine Stunde Ihrer Freiwache“, sagte O’Mara scharf. „Reden Sie nur nicht lange herum, und stottern Sie nicht so. Sie sind alt genug, um richtig zu reden.“
Waring preßte die Zähne zusammen. Er atmete tief ein und sagte dann ganz langsam:
„Das… kostet… mich… die… nächsten zwei Freiwachen. Das FROB-Quartier… wo Ihr Proviant lagert… wird übermorgen an die Hauptsektion angeschlossen. Die Proviantlager müssen schon vorher umgestellt werden.“
„Sehen Sie, wie leicht es ist, wenn man es nur versucht“, sagte O’Mara grinsend. „Übrigens, wenn Sie die Kanister dann vor die Schleuse hängen, seien Sie doch bitte leise, damit Baby nicht aufwacht.“
3
Nachdem O’Mara vielleicht zwei Stunden in dem Buch geschmökert hatte, das Pelling ihm geschickt hatte, wußte er etwas mehr über die Pflege hudlarischer Babys, und dieses Wissen brachte ihm zugleich Erleichterung und Verzweiflung.
Offenbar waren sein Tobsuchtsanfall und die Schläge, die er dem Baby versetzt hatte, gut gewesen — FROB-Babys wollten dauernd gehätschelt werden, und wenn man bedachte, welche Kraft ein erwachsener FROB aufwendete, um seinem Sprößling einen liebevollen Klaps zu verabreichen, so mußte O’Maras wütender Angriff wirklich nur ein sehr schwacher Klaps gewesen sein. Aber das Buch warnte auch vor den Gefahren der Überfütterung, und in dieser Hinsicht fühlte O’Mara sich schuldig. Offenbar war es üblich, Babys während ihrer Wachperiode alle fünf oder sechs Stunden zu füttern und sie im übrigen zu beruhigen — also mit Schlägen. Außerdem schien es, daß junge FROBs in ziemlich kurzen Abständen gebadet werden mußten.