„All diese fieberhafte Tätigkeit, diese Spiegelfechterei beweist überhaupt nichts. Der Patient hat zu atmen aufgehört. Wenn er noch nicht tot ist, ist er es beinahe, und Sie tragen die Schuld. Der Himmel stehe Ihnen bei, Doktor.“
Conway schüttelte abwesend den Kopf. „Unglücklicherweise können Sie durchaus recht haben, aber ich hoffe, daß er nicht sterben wird“, sagte er. „Ich kann das jetzt nicht erklären, aber Sie könnten mir helfen, indem Sie Skempton anrufen und ihm sagen, er soll diese fremde Kolonie in Frieden lassen. Ich brauche Zeit, wieviel, weiß ich noch nicht.“
„Sie geben auch nie auf“, sagte O’Mara ärgerlich, trat aber trotzdem ans Interkom. „Denken Sie doch einmal darüber nach…“, sagte Conway über die Schulter zu O’Mara. „Die Luft der letzten zwölf Stunden, die der Patient ausgeatmet hat, ist frei von Unreinheiten gewesen. Der Patient hat also geatmet, aber die Luft nicht verbraucht…“
Er beugte sich vor und lauschte an seinem Stethoskop. Der Herzschlag ging jetzt etwas schneller, dachte er, und auch stärker, aber da war eine beunruhigende Unregelmäßigkeit. Aber Conway wußte nicht, ob das Herz allein für das Geräusch verantwortlich war oder ob auch andere organische Bewegungen dazu beitrugen. Es beunruhigte ihn, weil er nicht wußte, was für einen Patienten wie diesen normal war. Der Fremde hatte sich schließlich in einem Ambulanzschiff befunden. Er konnte also außer seinem augenblicklichen Zustand auch noch ein anderes Gebrechen gehabt haben.
„Was reden Sie da?“ unterbrach ihn O’Mara und machte Conway damit bewußt, daß er laut gedacht hatte. „Wollen Sie sagen, daß der Patient nicht krank ist…?“
„Eine Wöchnerin kann auch Schmerzen haben, ohne im strengen Sinn krank zu sein“, sagte Conway geistesabwesend.
Er wünschte, mehr von dem zu wissen, was jetzt in seinem Patienten vor sich ging. Wären die Ohren des Wesens nicht völlig von der Wucherung bedeckt gewesen, hätte er versucht, den Translator zu benützen. Diese saugenden, stoßenden, gurgelnden Geräusche konnten alles und nichts bedeuten.
„Conway…!“ begann O’Mara und atmete so tief, daß man es in der ganzen Station hören mußte. Dann fuhr er mit leiser Stimme fort: „Ich bin in Verbindung mit Skemptons Schiff. Offenbar sind sie schnell vorwärtsgekommen und haben bereits Verbindung mit den Fremden aufgenommen. Sie holen jetzt den Oberst…“ Er unterbrach sich und fügte dann hinzu: „Ich drehe etwas lauter, damit Sie hören, was er sagt.“
„Nicht zu laut“, sagte Conway, und dann zu Prilicla gewandt: „Wie ist die geistige Ausstrahlung?“
„Viel stärker. Ich spüre jetzt wieder verschiedene Emotionen. Gefühle des Drangs, der Angst und der Sorge — wahrscheinlich Klaustrophobie.“
Conway musterte den Patienten lange und sorgfältig. Keine Bewegung war zu sehen. Dann sagte er plötzlich:
„Ich kann nicht länger warten. Er muß zu schwach sein, um sich selbst zu helfen. Eine Wand, Schwester.“
Diese Wand sollte lediglich O’Mara ausschließen. Hätte der Psychologe gesehen, was nun kam, ohne genau zu wissen, was vor sich ging, hätte er zweifellos falsche Schlüsse gezogen und vielleicht sogar Conway gewaltsam an seinem weiteren Vorgehen gehindert.
„Er wird immer unruhiger“, sagte Prilicla plötzlich. „Er hat nicht gerade Schmerzen, aber es handelt sich um ein Gefühl der Beengung.“
Conway nickte. Er winkte nach einem Skalpell und begann in das Geschwür zu schneiden, wobei er versuchte, seine Tiefe festzustellen. Jetzt war es wie weicher, zerbröckelnder Kork und bot dem Messer kaum Widerstand. In einer Tiefe von fast zwanzig Zentimeter legte er eine graue, ölige und schwach irisierende Membrane frei, aber Blut floß keines. Conway atmete erleichtert auf, zog das Skalpell zurück und wiederholte den Schnitt an einer anderen Stelle. Diesmal hatte die Membrane einen grünlichen Schein und zuckte leicht.
Offenbar betrug die durchschnittliche Tiefe der Wucherung knapp zwanzig Zentimeter. In fieberhafter Eile öffnete Conway das Gewächs an insgesamt acht Stellen, die in etwa gleichmäßigem Abstand über den ganzen ringförmigen Körper verteilt waren. Dann sah er Prilicla fragend an.
„Viel schlimmer jetzt“, sagte der GNLO. „Äußerste geistige Bedrängnis. Furcht, Gefühle des Erstickens. Puls nimmt zu. Unregelmäßig — das Herz ist ziemlich belastet. Jetzt verliert er wieder das Bewußtsein…“
Ehe der Empath zu Ende gesprochen hatte, fing Conway zu hacken an. Mit langen, wütenden Schlägen verband er die Öffnung, die er bereits geschaffen hatte, mit tiefen, zackigen Schnitten. Geschwindigkeit ging jetzt über alles. Chirurgie konnte man das, was er tat, bei aller Phantasie nicht nennen, denn ein Holzfäller mit einer stumpfen Axt hätte wohl sauberere Arbeit geleistet.
Als er fertig war, sah er den Patienten drei lange Sekunden an, aber da war immer noch keine Spur einer Bewegung. Conway ließ das Skalpell fallen und zerrte mit den Händen an dem Gewächs.
Plötzlich erfüllte Skemptons Stimme die Station. Er beschrieb mit erregten Worten seine Landung auf der fremden Kolonie und wie die Verbindung mit den Fremden zustandegekommen war. Dann fuhr er fort:
„… und, O’Mara, das soziologische System hier ist unglaublich. Ich habe noch nie so etwas gehört. Es gibt hier zwei verschiedene Lebensformen…“
„… die aber der gleichen Spezies angehören“, warf Conway mit lauter Stimme ein, ohne dabei die Arbeit einzustellen. Der Patient zeigte jetzt deutliche Anzeichen des Lebens und begann sich selbst zu helfen. Am liebsten hätte Conway vor Freude laut aufgeschrien, fuhr aber stattdessen in seiner Rede fort: „Eine Form ist der zehnbeinige Typ, wie unser Freund hier, aber er hält natürlich den Schwanz nicht im Mund. Das ist nur eine Übergangsstellung.
Die andere Form ist… ist…“ Conway hielt inne, um das Wesen, das jetzt vor ihm lag, zu mustern. Die Überreste des Geschwürs, die den Patienten bedeckt hatten, lagen auf dem Boden herum, teils von Conway hinuntergeworfen, teils vom Wesen selbst abgeschüttelt. Er fuhr fort:
„… Sauerstoffatmer natürlich, eierlegend. Langer, stabartiger, aber flexibler Körper mit vier insektenartigen Beinen, Greifwerkzeugen, üblichen Sinnesorganen und drei Flügelpaaren. Klassifikation GKNM. Sieht etwa wie eine große Fliege aus.
Ich würde sagen, daß die erste Form, ihren grob entwickelten Gliedmaßen nach zu schließen, den größten Teil der schweren Arbeit getan hat. Erst, nachdem sie das Larven-Stadium hinter sich gebracht und die schönere Fliegengestalt angenommen hat, betrachtet man sie als reif und für verantwortliche Arbeit fähig. Ich kann mir gut vorstellen, daß sich dabei eine komplizierte Gesellschaft entwickelt…“
„Ich wollte gerade sagen“, rief Oberst Skempton, und man merkte seiner Stimme den Ärger darüber an, daß ihm jemand den Applaus gestohlen hatte, „daß ein paar von diesen Wesen unterwegs sind, um sich um unseren Patienten zu kümmern. Sie bitten darum, daß wir nichts unternehmen…“
An diesem Punkt schob O’Mara den Wandschirm beiseite. Er starrte den Patienten an, der jetzt damit beschäftigt war, seine Flügel auszuschütteln, und riß sich dann zusammen. „Ich glaube, ich muß mich jetzt entschuldigen, Doktor. Aber warum haben Sie es niemand gesagt…?“
„Ich hatte keinen Beweis, daß meine Theorie stimmte“, sagte Conway ernsthaft. „Als mein Patient ein paarmal in Panik geriet, als ich ihm helfen wollte, argwöhnte ich, daß der Ausschlag normal war. Und dann gab es noch andere Hinweise. Die Tatsache, daß er keine Nahrung aufnahm, die ringartige Stellung mit den Gliedmaßen nach außen gerichtet — offenbar eine Verteidigungsstellung und schließlich die Tatsache, daß die ausgeatmete Luft in den späteren Stadien keine Unreinheiten zeigte und somit den Beweis erbrachte, daß die Lunge und das Herz, die wir unter Bobachtung hielten, überhaupt keine direkte Verbindung mehr besaßen.“