Nach etwa dem achten Klaps stellte er fest, daß er das Ende des Seils, nach dem er griff, nicht sehen konnte, obwohl er es mit der Hand fand. Sein Kopf war zu hoch über seinem Körper, und er war dauernd im Begriff, das Bewußtsein zu verlieren. Die verringerte Blutzufuhr zu seinem Gehirn hatte auch andere Auswirkungen…
„… schön brav, schön brav“, hörte O’Mara sich sagen. „Jetzt ist’s gut. Pappi macht’s schon richtig. Schön brav jetzt, ruhig…“
Das Komische daran war, daß er wirklich Verantwortung, ja beinahe Sorge für das Baby empfand. Dafür hatte er es nicht gerettet! Vielleicht riefen auch die drei G, die ihn gegen den Boden preßten und jeden Atemzug zu anstrengend wie ein ganzes Tagewerk und die kleinste Bewegung zu einer Operation machten, die ihm jede Kraftreserve abverlangte, die Erinnerung an eine andere Art von Druck in ihm wach — die langsame, unaufhaltsame Bewegung von zwei großen leblosen Metallmassen.
Der Unfall.
Als leitender Monteur dieser Schicht hatte O’Mara gerade die Warnlichter eingeschaltet, als er die beiden Hudlarer ihrem Sprößling nachjagen sah, der sich auf einer der gerade in Montage befindlichen Flächen befand.
Er hatte ihnen durch seinen Translator nachgerufen, sie aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen und es ihm zu überlassen, den Kleinen zu verjagen — da Baby viel kleiner war als seine Eltern, würden die sich langsam schließenden Flächen länger brauchen, um es zu erreichen, und während dieser paar zusätzlichen Minuten hätte O’Mara es aus der Gefahrenzone holen können. Aber die beiden Hudlarer hatten entweder ihre Geräte abgeschaltet oder wollten ihr Kind nicht einem dieser winzigen Erdenmenschen anvertrauen. Was auch immer der Grund sein mochte, sie blieben in der Gefahrenzone, bis es zu spät war. O’Mara hatte hilflos zusehen müssen, wie die beiden Bauteile sie zuerst einschlossen und dann zermalmten.
Der Anblick des Kleinen, der wegen seiner geringeren Größe immer noch unverletzt war und zwischen den Leichen seiner Eltern schwebte, ließ O’Mara blitzartig reagieren. Er konnte den Kleinen noch aus der Gefahrenzone jagen, ehe die beiden Teile sich an der Stelle zusammenfügten, wo er sich befunden hatte. Er selbst konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen — ein paar bange Sekunden lang hatte er schon geglaubt, er müßte ein Bein zurücklassen.
Das war auch kein Platz für Kinder, dachte er und blickte auf den zuckenden Körper mit den blauen Flecken. Man sollte es einfach nicht zulassen, daß Kinder hierhergebracht wurden — nicht einmal die Kinder von Leuten, wie die Hudlarer es waren.
Aber jetzt hörte er wieder Major Craythornes Stimme.
„… nachdem, was ich hier höre“, sagte der Monitor, „kümmern Sie sich sehr gut um Ihren Schützling. Es wird unbedingt zu Ihren Gunsten sprechen, wenn Sie den Kleinen in gutem Zustand übergeben…“
In gutem Zustand, dachte O’Mara, als er wieder nach dem Seil griff. In gutem Zustand!
„… aber es gibt noch andere Überlegungen“, fuhr die ruhige Stimme fort. „Waren Sie unvorsichtig, indem Sie die Warnlichter erst nach dem Unfall einschalteten, wie man Ihnen vorwirft? Ungeachtet der guten Zeugnisse, die man Ihnen ausstellt, waren Sie hier ein streitsüchtiger Raufbold, und besonders Ihre Einstellung gegenüber Waring…!“
Der Monitor unterbrach sich und musterte ihn mißbilligend. Dann fuhr er fort: „Vor ein paar Minuten sagten Sie, Sie hätten das alles getan, weil Sie sich langweilten. Erklären Sie das.“
„Einen Augenblick, Major“, unterbrach ihn Caxton, dessen Gesicht plötzlich hinter dem Craythornes auf dem Bildschirm erschien. „Er versucht uns aus irgendeinem Grunde hinzuhalten, davon bin ich überzeugt. All diese Unterbrechungen, diese keuchende Stimme, mit der er spricht, und dieses Getue mit dem Baby, ist nur Bluff, um uns zu zeigen, was für ein großartiger Babysitter er ist. Ich denke, ich gehe hinüber und hole ihn hierher, damit er Ihre Fragen beantwortet.“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte O’Mara schnell. „Ich stehe Ihnen jetzt voll zur Verfügung.“
Er sah vor seinem geistigen Auge Caxtons Reaktion, wenn der andere das Baby in seinem augenblicklichen Zustand erblickte; Caxton würde nicht lange überlegen oder Erklärungen abwarten oder gar darüber nachdenken, ob es fair war, einen ET in die Obhut eines Menschen zu geben, der seine Physiologie überhaupt nicht kannte. Er würde nur reagieren. Und zwar unangenehm.
Und was den Monitor anging…
O’Mara dachte, er würde, was den Unfall betraf, mit einem blauen Auge davonkommen. Aber wenn der Kleine auch starb, hatte er keine Chance mehr. Die Krankheit des Babys war ungewöhnlich, und es hätte schon vor Tagen auf die Behandlung reagieren müssen. Statt dessen wurde sein Zustand von Tag zu Tag schlechter, und es würde zweifellos sterben, wenn O’Maras letzter Versuch, die Umweltbedingungen seines Heimatplaneten zu reproduzieren, mißlang. Was O’Mara jetzt brauchte, war Zeit. Und zwar, wenn das Lehrbuch recht hatte, vier oder fünf Stunden.
Plötzlich wurde ihm bewußt, wie nutzlos das alles war. Der Zustand des Babys hatte sich nicht gebessert — es zuckte und schlug um sich und sah ausgesprochen krank und bedauernswert aus. O’Mara fluchte hilflos. Was er jetzt versuchte, hätte er schon vor Tagen versuchen müssen. Sein Baby war so gut wie tot, und wenn er die jetzige Behandlung noch fünf oder sechs Stunden fortsetzte, würde ihn das wahrscheinlich töten oder zumindest sein Leben lang zum Krüppel machen.
6
Die Tentakel des Babys krümmten sich in der Art und Weise, von der O’Mara wußte, daß dies der Auftakt zu neuem Gebrüll war. Er stemmte sich mühsam auf die Ellbogen, um erneut mit dem „Streicheln“ zu beginnen. Es war das mindeste, was er tun konnte. Obwohl er davon überzeugt war, daß das alles nutzlos war, wollte er dem Baby die Chance geben. O’Mara mußte Zeit haben, um seine Behandlung ohne Unterbrechung fortzusetzen, und um sich diese Zeit zu verschaffen, mußte er die Fragen dieses Monitors ausführlich und zufriedenstellend beantworten. Wenn Baby wieder zu schreien anfing, würde er das nicht tun können.
„… für Ihre Unterstützung“, sagte der Major trocken. „Erst möchte ich eine Erklärung für Ihren plötzlichen Persönlichkeitswechsel.“
„Ich langweilte mich“, sagte O’Mara. „Hatte nicht genug zu tun. Vielleicht war ich auch ein wenig durchgedreht. Aber der Hauptgrund, daß ich mich so unbeliebt machte, war, daß es hier einen Job gab, den ein netter Junge einfach nicht schaffte. Ich habe eine Menge studiert und halte mich für einen ziemlich guten Psychologen…“
Und dann kam plötzlich die Katastrophe. O’Maras Ellbogen glitt aus, als er nach dem Seil an der Decke griff, und er krachte aus einer Entfernung von zweieinhalb Fuß auf den Boden. Bei drei G entsprach das einem Fall aus zwei, Meter Höhe. Zum Glück trug er einen schweren Anzug und gepolsterten Helm, so daß er die Besinnung nicht verlor. Aber er schrie auf und hielt sich instinktiv am Seil fest, als er stürzte.
Das war sein Fehler.
Ein Gewicht stürzte, das andere schoß zu weit in die Höhe. Es traf krachend gegen die Decke und lockerte die Klammer, die das leichte Metallgitter mit dem Gewicht trug. Das ganze Gebilde stürzte bei vier G auf das Baby herunter. In seinem benommenen Zustand konnte O’Mara sich die Wucht des Aufpralls nicht vorstellen — ob das mehr als der gewöhnliche Klaps war, vielleicht soviel wie ein kräftiger Schlag auf das Hinterteil oder etwas viel Gefährlicheres. Das Baby war nachher jedenfalls sehr ruhig, und das machte ihm Sorgen.
„… zum drittenmal“, schrie der Monitor, „was zum Teufel geht dort vor?“
O’Mara murmelte etwas, was er selbst nicht verstand. Dann mischte Caxton sich ein.
„Irgend etwas stimmt dort nicht, und ich wette, es hat mit dem Baby zu tun! Ich gehe hinüber und sehe nach.“
„Nein, warten Sie!“ sagte O’Mara verzweifelt. „Geben Sie mir sechs Stunden…“