»Das ist sein Problem«, sagte Samos, »nicht das deine.«
»Vielleicht hast du recht.«
»Es gab einen Moment, da er dich auf das Eis schickte, um von einem anderen Kur getötet zu werden.«
»Er tat seine Pflicht, wie er sie damals für richtig hielt.«
»Und du willst ihm das verzeihen?«
»Ja.«
»Aber vielleicht tötet er dich, sobald er dich sieht«, warnte Samos.
»Du hast recht, er ist mein Feind«, räumte ich ein. »Aber dieses Risiko muß ich eingehen.«
»Vielleicht erkennt er dich gar nicht«, sagte Samos.
»Möglich.« Vielleicht lag hier tatsächlich eine gewisse Gefahr. So wie Menschen oft Schwierigkeiten hatten, Kurii zu identifizieren, so hatten anscheinend die Kurii Mühe, einen Menschen vom anderen zu unterscheiden. Andererseits war ich zuversichtlich, daß Zarendargar mich erkennen würde. Ich jedenfalls würde ihn erkennen. Einen Kur wie Halb-Ohr vergißt man nicht so schnell, ein Wesen, das über den Ringen stand, ein Kriegsgeneral der Kurii.
»Ich verbiete dir diese Expedition«, sagte Samos.
»Das kannst du nicht!« rief ich.
»Im Namen der Priesterkönige verbiete ich es dir!«
»Über meine Kriege bestimme allein ich«, sagte ich, »und zwar nach eigenem Gutdünken.«
»Du spielst also ernsthaft mit dem Gedanken, in das Ödland vorzustoßen?« fragte Samos.
»Ja.«
»Du bist ein törichter, sturer Bursche!«
»Mag sein.« Ich hob das eingerollte Kailiaukfell, das ich unter dem Arm trug. »Dürfte ich das behalten?« fragte ich.
»Selbstverständlich«, sagte Samos.
Ich reichte die Haut einem meiner Männer. Sie konnte sich im Ödland als nützlich erweisen.
»Dein Entschluß steht fest?« wollte Samos wissen.
»Ja.«
»Warte!« Er wandte sich ab und kehrte in die Kabine zurück. Gleich darauf kam er wieder heraus und reichte mir das Übersetzungsgerät, das wir aus der Tarnanlage mitgebracht hatten. »Dies brauchst du vielleicht«, sagte er.
»Ich danke dir, Samos.«
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er.
»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte ich und wandte mich ab.
»Warte!«
Ich drehte mich noch einmal um.
»Nimm dich in acht!« sagte er.
»Das werde ich.«
»Tarl!« sagte er plötzlich.
Wieder schaute ich ihn an.
»Wie kommt es, daß du einen solchen Plan auch nur erwägst?« wollte er wissen.
»Zarendargar braucht vielleicht meine Hilfe«, sagte ich. »Und vielleicht kann ich ihm helfen.«
»Aber warum, warum?« fragte er.
Wie sollte ich Samos die seltsame Zuneigung erklären, die ich zu einem Wesen empfand, dem ich nur im Norden begegnet war, vor langer Zeit, mit einem Geschöpf, das nur ein Ungeheuer war? Ich erinnerte mich an den langen Abend, den ich mit Zarendargar verbracht hatte, und an unser langes angeregtes Gespräch, ein Gespräch unter Kriegern, unter Soldaten, die sich mit Waffen und Kampf und Kriegertugenden auskannten, unter Wesen, die die Erregung und Schrecknisse von Konflikten kannten, für die ein krasser Materialismus niemals etwas anderes sein konnte als der Weg zu würdevolleren Siegen, Männer, die die Einsamkeit des Kommandierenden kannten, die die Bedeutung von Worten wie Disziplin, Verantwortung, Mut und Ehre nicht vergessen hatten, die Gefahren und lange Ritte und Entbehrungen kannten, für die Bequemlichkeit und heimischer Herd weniger verlockend waren als Lager und ferne Horizonte.
»Warum? Warum?« fragte er.
Ich schaute an Samos vorbei auf den langen Kanal. Ein Urtjäger ruderte langsam vorbei; im Boot saß seine Sklavin.
»Warum?« fragte Samos.
Ich zuckte die Achseln. »Wir haben einmal Paga geteilt«, sagte ich.
3
»Vielleicht diese?« fragte der Händler.
»Ich versuche den Aufenthaltsort eines Kaufmanns festzustellen, eines gewissen Grunt«, sagte ich.
Das nackte blonde Mädchen kauerte erschrocken an der Zementwand. Sie war an einen Mauerring gefesselt.
»Sie ist nicht ohne Reize«, sagte der Händler.
»Weißt du, wo man diesen Grunt finden könnte?« fragte ich.
Ein zweites Mädchen, ebenfalls blond, war in meine Nähe gekrochen. »Bitte kauf mich, Herr!« flüsterte sie unterwürfig. »Ich werde dir gut dienen.« Die Unterschiede zwischen Sklavinnen sind zuweilen sehr interessant. Das erste Mädchen war offenbar gerade erst gefangen worden; sie trug noch nicht einmal ein Brandzeichen. Das andere dagegen kannte die Berührung durch einen Herrn.
»Ich glaube, er ist nach Norden gezogen, durch die Grenzzone«, sagte der Händler.
»Kauf mich, ich flehe dich an!« flüsterte das vor mir kniende Mädchen.
»Du scheinst ihr zu gefallen«, sagte der Sklavenhändler.
Ich schwieg. Ein Mädchen, das in einen Sklavenmarkt eingeliefert wird, weiß, daß sie verkauft werden soll. Dementsprechend wird sie versuchen, einen Mann, den sie attraktiv findet, zum Kauf zu verleiten. Wenn er sie nicht nimmt, kommt vielleicht einer, der viel schlimmer ist. Die meisten Mädchen möchten am liebsten von einem Mann erworben werden, der aufregend und anziehend ist, den sie unwiderstehlich finden und dem sie gern dienen – und nicht einen Herrn, der ungehobelt und widerlich ist. Als Sklavinnen hatten sie natürlich keine andere Wahl, als beiden Herren perfekt zu dienen. Die Entscheidung über den Kauf liegt in letzter Konsequenz allein beim Mann. Und diese Entscheidung muß das Mädchen hilflos abwarten. So gesehen hat sie so wenig Kontrolle über ihr Schicksal wie eine sächliche Ware in einem Ladenschaufenster auf der Erde.
»Haben die beiden Mädchen schon Namen?« wandte ich mich an den Händler.
»Nein«, antwortete dieser. »Ich habe ihnen noch keine gegeben.«
»Du meinst also, der Kaufmann Grunt sei nach Norden gezogen?« fragte ich.
»Ja.«
Ich versetzte dem Mädchen vor mir einen Stoß mit dem Fuß. Wimmernd kroch sie zur Wand zurück, wo sie sich zusammenrollte, ohne mich aus den Augen zu lassen. Das andere Mädchen kauerte an der Wand. Sie musterte mich voller Entsetzen und Angst, doch bemerkte ich auch einen neuen Ausdruck in ihren Augen, Faszination und Staunen. Vermutlich begann sie zu begreifen, was es bedeutete, Sklavin zu sein. Sie würde einer strengen Disziplin unterworfen sein. Unsere Blicke begegneten sich. Ich sah in ihren Augen die Erkenntnis, daß sie wie jede andere Sklavin unter absoluter männlicher Herrschaft stehen würde. Sie erschauderte und senkte den Kopf. Ich sah sie vor Angst und Wonne erschaudern. Ich wußte, daß sie bei richtiger Ausbildung ihrem Herrn eine hervorragende Sklavin abgeben würde.
»Die nächste im Norden gelegene Stadt ist Fort Haskins«, sagte ich. Die Ortschaft lag am Fuße des Boswell-Passes. Ursprünglich hatte es sich um eine Handelsniederlassung der Haskins-Gesellschaft gehandelt, einer Kaufmannsfirma, die in Thentis beheimatet war. Später wurde am gleichen Punkt ein militärischer Vorposten unter der Thentis-Flagge eingerichtet, bemannt von Söldnern. Militärisch und strategisch war die Kontrolle über das Ostende des Boswell-Passes von großer Bedeutung. Zu jener Zeit kam die Bezeichnung Fort Haskins auf. Auch heute noch gibt es ein Fort, doch gilt der Name heute eher der Stadt, die in der Nähe der Festungsanlage entstanden ist, vorwiegend westlich und südlich. Das eigentliche Fort wurde übrigens zweimal niedergebrannt, einmal von Soldaten aus Port Olni, ehe die Stadt der Salerianischen Konföderation beitrat, und das zweite Mal durch räubernde Wilde des Staubfuß-Stamms, der im Innern des Ödlands beheimatet ist. Die militärische Bedeutung des Forts hat mit dem Anwachsen der Bevölkerung in der Gegend und dem Aufbau von Tarnkavallerien in Thentis nachgelassen. Das Fort dient heute vorwiegend als Warenumschlagplatz und wird von der Kaufmannskaste aus Thentis unterhalten.
»Ich würde vermuten«, sagte mein Nachbar nachdenklich, »daß der Mann, den du suchst, der Händler Grunt, nicht nach Fort Haskins will, sondern nach Kailiauk.«