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»Ah«, sagte ich. Auf den Gedanken hätte ich auch kommen können. Kailiauk ist die am weitesten östlich liegende Stadt am Fuße der Thentis-Berge. Sie liegt beinahe am Rand der Ihanke, wie die Grenze genannt wird. Aus den Vororten dieser Stadt kann man die Markierungen sehen, die Federn an den langen Stangen, die das Gebiet der roten Wilden umgrenzen.

»Ich hoffe, du willst ihn nicht umbringen«, sagte der Mann.

»Nein«, erwiderte ich lächelnd.

»Du trägst das Gewand der finsteren Kaste nicht, ebensowenig ist dir ein schwarzer Dolch auf die Stirn gemalt.«

»Ich bin kein Attentäter«, beruhigte ich ihn.

»Grunt ist ein seltsamer Bursche, sehr verschwiegen, doch alles in allem tadelsfrei.«

»Ich will ihm nicht schaden«, sagte ich. »Danke für deine Hilfe.«

»Bist du zu Fuß unterwegs?« fragte er.

»Ja«, sagte ich. Meinen Tarn hatte ich vor zwei Tagen verkauft und meine Reise nach Norden zu Fuß angetreten. Die Kurii, von denen wir die Haut mit den Bildern erhalten hatten, mußten diese ihrerseits von einem in dieser Gegend tätigen Agenten bekommen haben. Als Wanderer erregte ich sicher weniger Neugier als auf dem Rücken eines Tarn.

»Wenn du dich mit Grunt in Verbindung setzen willst, solltest du das schleunigst tun. Wir haben En’Kara, und er wird bald in das Ödland ziehen.«

Ich versuchte meinem Auskunftgeber einen kleinen Tarsk in die Hand zu drücken, doch er wehrte ab.

»Ich habe nichts getan«, sagte er lächelnd.

»Sei bedankt!« erwiderte ich und wandte mich zum Gehen.

»Bursche!« sagte er.

»Ja?« Ich drehte mich noch einmal um.

»Zur Mittagsstunde fährt ein Sklavenwagen nach Norden ab«, sagte er. »Ich könnte dich bis Fort Haskins mitnehmen.«

»Sei bedankt«, sagte ich.

»Keine Ursache.«

Wieder wanderte mein Blick zu den beiden blonden Sklavinnen.

4

Mit der Schulter stemmte ich mich gegen das riesige Holzrad des Sklavenwagens.

Weiter vorn hörte ich die Rufe des Fahrers, das Knallen seiner langen Peitsche über dem Rücken der beiden Zug-Tharlarion. »Zieht, ihr lahmen Viecher!« brüllte er.

Bis zu den Knien im Schlamm stehend, ausrutschend, schob ich mit voller Kraft. Das Rad bewegte sich, und der Wagen ruckelte ächzend und knackend vorwärts.

Ich watete um das Fahrzeug herum, erreichte die kiesbedeckte Fläche, lief los und sprang, den Wagen einholend, vorn auf den Kutschbock, neben den Fahrer.

»Warum suchst du Grunt?« fragte dieser, ein junger Mann mit zottigem Haar, das im Nacken kurz geschnitten war.

»Ich suche etwas, das sich vielleicht im Ödland befindet«, gab ich Auskunft.

»Das Gebiet solltest du lieber nicht betreten«, sagte der junge Mann warnend. »Der Aufenthalt dort kann tödlich sein.«

»Wie ich gehört habe, kommt und geht Grunt dort nach Belieben.«

»Etliche Kaufleute und Tauschhändler haben von gewissen Stämmen die Erlaubnis dazu«, sagte der junge Mann.

»Er soll sie von allen haben«, sagte ich. »Ich habe erzählen hören, er sei im Ödland sehr willkommen und dringe von allen Fremden am tiefsten in diese Zone ein.«

»Das mag stimmen«, sagte der junge Mann.

»Ich frage mich, warum das so ist«, bemerkte ich.

»Er spricht ein wenig den Staubfuß-Dialekt und andere Stammessprachen. Außerdem kennt er sich mit den Zeichen aus.«

»Zeichen?«

»Handsprache«, erklärte der junge Mann. »So verständigen sich die roten Wilden aus verschiedenen Stämmen miteinander. Ihre Sprachen verstehen sie nicht.«

»Sicher nicht.«

Somit war vermutlich die Zeichensprache der Schlüssel zur Fähigkeit der Stämme, sich gegen Gefahren von außen zu verbünden, und auch für die ›Erinnerung‹.

»Gewiß kennen mehrere Händler die Handzeichen«, sagte ich.

»Gewiß«, erwiderte der junge Mann.

»Darüber hinaus kennt er aber mehrere Stammessprachen.«

»Aber nicht sehr gut«, schränkte der junge Mann ein. »Ein paar Worte und Sätze. Die Wilden kommen manchmal an die Umschlagplätze. Da lernt man ein wenig von der Sprache des anderen. Nicht sehr viel.«

»Dann läuft die Verständigung also weitgehend über die Zeichensprache.«

»Ja.« Der junge Mann stand auf und ließ erneut die Peitsche über den Tharlarion knallen, ehe er sich wieder setzte.

»Wenn etliche Kaufleute die Zeichen kennen und einige andere auch Dialektkenntnisse haben, was hebt Grunt dann so heraus? Warum darf er allein so tief in das Ödland vordringen?«

»Vielleicht meinen die Wilden, daß sie von Grunt nichts mehr zu gewinnen haben«, sagte der junge Mann lachend.

»Das verstehe ich nicht«, gab ich zurück.

»Du wirst es noch verstehen.«

»Können wir von hier die Grenze sehen?« fragte ich. Wir befanden uns gerade auf einem Hügelkamm.

»Nicht eindeutig, aber sie liegt dort draußen.« Er deutete nach rechts. »Siehst du die flachen grasbedeckten Hügel am Horizont?«

»Ja.«

»Sie liegen schon auf der anderen Seite der Grenze.«

»Wann sind wir in Fort Haskins?«

»Morgen früh«, antwortete er. »Heute abend schlagen wir ein Lager auf.«

»Herr«, sagte eine weiche Mädchenstimme hinter uns. »Darf eine niedere Sklavin etwas fragen?«

»Ja«, sagte der junge Mann.

Der Wagen beförderte zehn Mädchen, die auf der Ladefläche an den Füßen so angekettet waren, daß sie sich einigermaßen frei bewegen konnten.

»Unsere Fesseln sind schmerzhaft eng, ihr Herren«, sagte das Mädchen. »Wir bitten darum, sie zu lockern, nur ein wenig.«

Zornig drehte sich der junge Mann auf dem Kutschbock um und blickte das Mädchen stirnrunzelnd an. Sie wich zurück.

»Freu dich, daß ich nicht anhalte und euch bestrafe!«

»Ja, Herr«, sagte das Mädchen leise.

Ich lächelte. Die Männer der Grenzzone verziehen ihre Sklaven nicht.

»Ich finde es interessant«, sagte ich, »daß ihr keine bewaffnete Eskorte habt.«

»Du bist doch nicht etwa ein Räuber?« fragte er.

»Nein.«

»Hier an der Grenze sind Frauen im allgemeinen billig.«

»Und warum?« fragte ich überrascht.

»In unserer Grenzzone ist es seit über hundert Jahren sehr ruhig«, antwortete er. »Dementsprechend sind Frauen hier nicht rarer als anderswo.«

»Aber warum sind sie billig?«

»Die Wilden«, erklärte er. »Sie machen Beutezüge im Süden und verkaufen im Norden. Sie rauben im Norden und verkaufen im Süden.«

Die Grenzzone war viele tausend Pasangs lang. Es gab viele vereinzelt liegende Höfe, zahlreiche Siedlungen und Dörfer.

»Verkaufen sie alle Mädchen, die sie erbeuten?«

»Nein. Einige nehmen sie mit ins Ödland.«

»Und was tun sie mit ihnen?«

»Keine Ahnung!« rief der junge Mann lachend. »Zweifellos haben sie eine gute Verwendung dafür.«

»Zweifellos«, stimmte ich ihm zu. Die roten Wilden hatten bestimmt manche nützliche Arbeit für hilflose weiße Sklavinnen.

»Um welche Zeit treffen wir morgen in Fort Haskins ein?«

»Es ist vorgesehen, daß ich meine Fracht um eine halbe Ahn nach der zehnten Ahn beim Sklavenhändler Brint abliefere«, antwortete er, »Vielleicht willst du den Wagen ja schon vorher verlassen.«

Ich nickte. Es wäre sinnlos gewesen, länger als unbedingt notwendig bei dem Fahrzeug zu bleiben. Mir nützte das Mitfahren nur, wenn es mich auf meinem Weg nach Kailiauk weiterbrachte.

»Was soll mit diesen Sklavinnen geschehen?« fragte ich. »Kommen sie in Fort Haskins zum Verkauf?«

»Ich glaube, sie sind für den Weitertransport über den Boswell-Paß bestimmt, um von dort auf Märkte im Westen zu kommen.«

»Wenn es über den Paß geht, sollte man ihnen etwas anzuziehen geben«, sagte ich.

»Man wird sie in Felle einwickeln«, antwortete der junge Mann. »Wegen des lebhaften Handels sind Felle in Orten wie Fort Haskins und Kailiauk sehr billig. Übrigens gibt es noch einen zweiten Grund, warum Mädchen in dieser Gegend billig sind.«

»Und der wäre?«