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Ich trat an den Straßenrand.

»Vorwärts!« brüllte der Offizier und hob den Arm. Zornig blickte die Dame mich an; ihre Hände hatte sie um die Stuhllehnen gekrallt. Dann hob sie den Kopf und blickte starr geradeaus. »Ho!« rief der Offizier. Sein Arm fiel herab. Die Reihen der Söldner, die rings um das Fahrzeug angeordnet waren, setzten sich wieder in Bewegung, nordwärts ziehend, in Richtung Kailiauk. Ich setzte mich am Wegrand in den Schatten einiger Felsbrocken und beobachtete den Vorbeimarsch. Nachdem ich die Zahl der Männer geschätzt hatte, zählte ich sorgfältig die Vorratswagen. Meine Vermutung erwies sich als stichhaltig. Wenn man die Zahl der Felle bedachte, die im Ödland verfügbar waren, gab es in dem Zug etliche Wagen zuviel.

Als die Kolonnen und Wagen vorbei waren, kam ich zwischen den Felsen hervor und folgte der Prozession in einigem Abstand auf der Straße nach Kailiauk.

Die Kaufleute von Port Olni konnten sich eine dermaßen große Expedition auf keinen Fall leisten. Sie hatten keinen großen Anteil am Fellhandel, und selbst wenn sie stärker daran beteiligt gewesen wären, hätten sie als Kaufleute zunächst Verhandlungslösungen gesucht und keine militärischen. Im mindesten Falle hätten sie, wenigstens zu Anfang, durch Kaufleute am Ort zu arbeiten versucht oder etwa durch die Staubfuß-Wilden. Für mich bestand kein Zweifel, woher Motiv und Mittel für eine solche Expedition kamen. Ähnlich sicher glaubte ich zu wissen, wer in den geschlossenen Wagen hockte, die von der Expedition mitgeführt wurden.

Auf der Straße nach Kailiauk warf ich den Kopf in den Nacken und lachte herzlich. Ich, Tarl Cabot, hatte von Agenten der Kurii das Angebot erhalten, in ihre Dienste zu treten! Ich war überzeugt, daß Kog und Sardak und andere Artgenossen ungeduldig in den vor mir fahrenden Wagen saßen und sich unbequem hin und her wanden, begierig, endlich zur Sache zu kommen. Die selbstgewählte Enge mußte nahezu unerträglich sein. Ich bewunderte die Disziplin, die darin zum Ausdruck kam. Ich hoffte nur, daß sie sich halten würde. Und es tat gut zu wissen, wo die Kurii waren.

Ich bückte mich, nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn vor mich auf die Straße. Dann setzte ich meinen Weg nach Kailiauk fort.

Noch etwas war mir an der seltsamen Streitmacht aufgefallen. Sklavenwagen hatte es in der Kolonne nicht gegeben. Darin sah ich den Einfluß und die große Macht der Lady Mira aus Venna. Als freie Frau waren ihr Sklavinnen zweifellos verhaßt, jene lasziven, schamlosen Mädchen, die in den Männern unbezwingbare Begierden weckten. Auch schmeichelte es gewiß ihrer Eitelkeit, die einzige Frau unter so vielen Männern zu sein. Ich hatte ihr kaum verhülltes Gesicht gesehen und fragte mich unwillkürlich, wie sie in Tanzseide aussehen würde, geschmückt von einem Stahlkragen, vor mir kniend. Vermutlich würde sie nicht mehr ganz so stolz aussehen. Die Kurii, das mußte ich anerkennen, erwählten sich beinahe ausnahmslose sehr schöne Agentinnen; sicher nicht ohne Hintergedanken.

Ich warf einen weiteren Stein die Straße entlang, hinter der Kolonne her.

Vermutlich hätte ich nicht so offen zu erkennen geben dürfen, wie geschickt ich mit dem Schwert umgehen konnte. Ich war auch fest entschlossen gewesen, mich ungeschickt anzustellen. Doch sobald sich die beiden Klingen berührten, hatte ich mir dennoch größte Mühe gegeben, aus einem Reflex heraus. Der Stahl schien plötzlich für sich selbst zu denken, wie es bei solchen Gelegenheiten oft geschieht. Allerdings bedauerte ich nicht, was ich getan hatte. Ich lachte leise. Sollten sie ruhig das Können eines Mannes sehen, der in den Kriegskünsten Ko-ro-bas unterwiesen worden war. Ich lachte. Was die Agenten der Kurii wohl denken würden, wenn sie wüßten, daß Tarl Cabot unter ihnen gewesen war? Sie hatten keinen Anlaß zu der Vermutung, daß er sich in der Nähe des Ödlandes aufhielt. Sie wußten nur, daß man wegen eines Mannes gehalten hatte, der nicht ungeschickt war mit der Waffe.

Wieder dachte ich an Lady Mira aus Venna. Ja, überlegte ich. Sie würde sich gut machen als nackte Sklavin zu Füßen eines Mannes.

6

Auf das hüfthohe Geländer gestützt, blickte ich in die breite, runde Senke, in der neunzehn angekettete Mädchen zur Schau gestellt waren.

»Barbaren«, sagte der Mann neben mir.

»Das sieht man«, äußerte ich.

»Nebenan gibt’s noch zwei Gruben«, sagte der andere. »Hast du sie dir angeschaut?«

Eine Nacht hatte ich auf der Straße verbracht und war gestern hungrig und verdreckt nach der zehnten Ahn, der goreanischen Mittagsstunde, in Kailiauk eingetroffen. Als ich mich den Ausläufern der Stadt näherte, hatte ich den Ton der Zeitglocke vernommen, die auf dem Dach des Ladens angeschlagen wurde, der dem Administrator gehört. In Kailiauk wie auch in anderen Städten der Grenzzone stammt der Administrator aus der Kaufmannskaste. Der Handel in dieser Stadt konzentrierte sich vorwiegend auf Felle und Kaiila. Die Ortschaft Kailiauk hatte darüber hinaus auch eine Funktion als gesellschaftliches und geschäftliches Zentrum für viele einsam liegende Höfe. Obwohl ein lebhaftes Treiben in den Straßen herrscht, ist die Bevölkerung nicht sehr seßhaft. Ich schätzte, daß es nicht mehr als vier- oder fünfhundert ständige Einwohner gab. Wie zu erwarten war, gab es mehrere Schänken und Tavernen, die an der Hauptstraße lagen.

Das auffälligste Merkmal Kailiauks waren wohl die Fellschuppen. Unter den Dächern dieser offenen Bauwerke liegen auf Plattformen Tausende von Fellen, die zu Bündeln gebunden sind. An anderen Stellen erheben sich große Haufen Knochen und Hornreste, oft dreißig oder mehr Fuß hoch. Diese Ablagerungen sind das Ergebnis der Ausdünnung von Kailiaukherden durch rote Wilde. Zum täglichen Bild der Stadt gehört das Kommen und Gehen von Fellwagen und Fahrzeugen für den Transport von Horn und Knochen. Im Ödland gibt es unzählige Kailiauk, denn sie finden hier geradezu ideale Lebensbedingungen, ohne natürliche Feinde. Die meisten Kailiauk haben gewiß nie einen Menschen oder Sleen zu Gesicht bekommen.

Zahlreiche Herden ziehen durch das Ödland. Die vier oder fünf bekanntesten Herden (zum Beispiel die Boswell-Herde, benannt nach dem Mann, dessen Name sich auch im Boswell-Paß wiederfindet, und die Bento-Herde und die Hogarthe-Herde, benannt nach den ersten weißen Männern, die sie erblickten), diese Herden umfassen zwischen zwei und drei Millionen Tiere. Die Bodenerschütterungen, die eine solche Tiermasse hervorruft, sind über Entfernungen von fünfzig Pasangs zu spüren. Eine Herde braucht zwei bis drei Tage, um einen Fluß zu überqueren. Gelegentlich kommt es vor, daß verfeindete Stämme an verschiedenen Punkten über eine Herde herfallen und erst hinterher zu ihrer Bekümmerung und Belustigung merken, wie nahe sie sich gewesen sind. Neben diesen Hauptherden gibt es etliche kleinere, identifizierbare Herden, die Hunderttausende von Tieren umfassen. Außerdem existieren natürlich, wie man nicht anders erwarten durfte, sehr viele kleinere Herden, deren Zahl nicht einmal von den roten Wilden geschätzt wird, Herden, die wenigen hundert bis etlichen tausend Kailiauk eine Heimat bieten.

Es wird berichtet, daß manche dieser kleineren Herden Unterherden größerer Herden sind, zu gewissen Jahreszeiten, je nach Futter und Wasser, von der großen Herde getrennt. Wenn das zutrifft, ist die Zahl der Kailiauk vielleicht nicht ganz so groß, wie manchmal angenommen wird. Jedenfalls gibt es Kailiauk im Überfluß. Interessanterweise haben solche Herden ein bestimmtes Futterverhalten: Beim Grasen bewegen sie sich im Verlauf eines Jahres meistens in einem gigantischen Oval, das jahreszeitlich beeinflußt ist und viele tausend Pasangs umfaßt. Diese Wanderungen führen die Herden natürlich in die Einflußgebiete verschiedener Stämme. So kann im Lauf eines Jahres dieselbe Herde von verschiedenen Stämmen gejagt werden, ohne daß die Krieger sich auf gefährliche Ausflüge außerhalb der eigenen Gebiete einlassen müssen.

Der Kailiauk ist ein Wandertier, doch nur in einem ganz bestimmten Sinne. So bewegt er sich nicht etwa wie ein Zugvogel auf mehr oder weniger geraden Wegen von Norden nach Süden und wieder zurück. Der Kailiauk muß beim Wandern fressen und ist für solche Wanderungen einfach zu langsam. Er könnte in der zur Verfügung stehenden Zeit die nötigen Entfernungen nicht zurücklegen. Dementsprechend weichen die Kailiauk den Jahreszeiten nicht aus, sondern bewegen sich eher mit ihnen, wobei das ovale Muster im Sommer nach Norden führt und im Winter nach Süden. Der Geruch der Fellschuppen verleiht der Stadt Kailiauk übrigens eine ganz spezielle Atmosphäre. Ist man aber erst einige Stunden in der Stadt, erweist sich der Geruch als vertraut und allesdurchdringend und verschwindet aus dem Bewußtsein.