»Nein, natürlich nicht«, räumte ich ein.
»Ob sie wohl wissen, daß wir hier sind?«
»Wenn sie leben, wissen sie es.«
»Vielleicht.«
»Was ist der Zweck der Zusammenkunft?« fragte ich.
»Keine Ahnung«, antwortete Samos.
»Es ist doch ungewöhnlich, daß solche Wesen mit Menschen verhandeln.«
»Stimmt.« Samos blickte sich in dem verfallenen Gebäude um. Auch ihm gefielen die Ruinen nicht sonderlich.
»Was sie wohl von uns wollen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aus irgendeinem Grund scheinen sie die Hilfe der Menschen zu brauchen«, sagte ich nachdenklich.
»Das erscheint mir unglaublich«, meinte Samos.
»Im Grunde hast du recht.«
»Vielleicht wollen sie um Frieden bitten?«
»Nein«, sagte ich.
»Woher willst du das wissen?«
»Sie sind den Menschen zu ähnlich.«
»Ich mache die Lampe an.« Samos hockte sich nieder und zog einen kleinen Feueranzünder aus seinem Beutel, eine Vorrichtung, die einen winzigen Vorrat Tharlarionöl und darüber einen ölgetränkten Docht enthielt. Entzündet wurde das alles durch den Funken eines kleinen Stahlrades, das über einen Daumengriff mit einem Stück Feuerstein in Berührung gebracht wurde.
»Muß das Treffen denn unbedingt so geheim ablaufen?« fragte ich.
»Ja.«
Wir hatten diesen Ort in einer umschlossenen Barke erreicht, mit der wir durch das Tor in das nordöstliche Delta gefahren waren. Ich hatte durch die engen Lamellenfenster nur mühsam verfolgen können, wohin unsere Fahrt ging.
Ich hörte das Rädchen gegen den Feuerstein kratzen. Dabei nahm ich den Blick nicht von den Gebilden, die am entfernten Ende des Raums, hinter einem großen Tisch halb verborgen, auf dem Boden hockten. Der offene Bereich hinter den dunklen Erscheinungen führte in den zerstörten Tarnkäfig. Es ist nicht ratsam, den Blick von solchen Wesen zu wenden, wenn sie sich in der Nähe befinden, oder ihnen gar den Rücken zuzudrehen. Ich wußte nicht, ob sie schliefen oder nicht. Vermutlich waren sie hellwach. Meine Hand lag auf meinem Schwertgriff. Wesen dieser Art, das wußte ich nur zu gut, konnten sich erstaunlich schnell bewegen.
Der Docht des Feueranzünders brannte. Vorsichtig hielt Samos die winzige Flamme an den Docht der geöffneten Laterne, die ebenfalls mit Tharlarionöl betrieben wurde.
Das zusätzliche Licht stärkte meine Überzeugung, daß die Geschöpfe nicht schliefen. Beim Scharren des Feueranzünders war es nur zu einer winzigen Muskelreaktion gekommen. Wären sie aus dem Schlaf gerissen worden, hätte es bestimmt eine heftigere Bewegung gegeben. So ging ich weiter davon aus, daß sie von Anfang an unsere Gegenwart registriert hatten.
»Je weniger Leute von den Kriegen zwischen den Welten wissen, desto besser«, bemerkte Samos. »Was nützt es schon, eine unvorbereitete Bevölkerung aufzuscheuchen? Sogar die Wachen, die wir draußen zurückgelassen haben, wissen nicht genau, in welcher Angelegenheit wir hier sind. Wer würde außerdem glauben, daß es solche Geschöpfe gibt, wenn er sie nicht gesehen hat? Er würde sie als Mythos oder als Sagen über wundersame Tiere wie Pferd, Hund und Greif abtun.«
Ich lächelte. Pferde und Hunde gab es auf Gor nicht. Die Goreaner kannten diese Geschöpfe nur aus Legenden, die bestimmt aus vergessenen Zeiten stammten, aus Erinnerungen, die vor langer Zeit von einer anderen Welt nach Gor gebracht worden waren. Solche Geschichten reichten wahrscheinlich viele tausend Jahre zurück, in die Zeit der frühen Eroberungsreisen, unternommen von abenteuersuchenden, neugierigen Angehörigen einer fremden Rasse, die den meisten Goreanern als Priesterkönige bekannt ist. Heute allerdings lebt in nur wenigen Priesterkönigen noch solche Neugier oder begeisterte Neigung nach Entdeckungen und Abenteuern. Die Rasse der Priesterkönige war alt geworden. Alt ist man wahrscheinlich nur, wenn man das Bedürfnis verloren hat, Neues zu erfahren. Solange man sich seine Neugier und sein Mitgefühl bewahrt, kann man nicht wirklich alt genannt werden.
Unter den Priesterkönigen hatte ich insbesondere zwei Freunde, Misk und Kusk, die, so gesehen, wohl niemals alt werden konnten. Aber es waren nur zwei, zwei von einer Handvoll Überlebender einer einstmals mächtigen Rasse. Vor langer Zeit war es mir zwar gelungen, das letzte weibliche Ei der Priesterkönige in das Nest zurückzubringen. Zu den Überlebenden, die davor bewahrt werden konnten, durch die vorhergehende Generation ermordet zu werden, gehörte außerdem ein junges Männchen. Ich hatte aber keine Informationen darüber, was sich seit der Rückkehr des Eis im Nest ereignet hatte. Ich wußte nicht, ob es reproduktionsfähig gewesen war oder nicht. Ich hatte keine Ahnung, ob inzwischen im Nest eine neue Mutter herrschte oder nicht. Und wenn es so war, wußte ich nicht, was aus der älteren Generation geworden war oder wie die jüngere aussah. Würden die jungen Priesterkönige die Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, so gut verstehen wie ihre Vorfahren? Würde die junge Generation, wie die ältere, solche riesigen, zottigen, dunklen Geschöpfe begreifen, wie sie wenige Fuß von mir entfernt lagen? »Ich glaube, du hast recht, Samos«, sagte ich.
Er hob die Laterne, die mit voller Leuchtkraft strahlte.
So betrachteten wir die Wesen vor uns.
»Sie werden sich langsam bewegen«, meinte ich, »um uns nicht zu erschrecken. Ich finde, wir sollten ebenso handeln.«
»Einverstanden«, sagte Samos.
»Im Tarnkäfig warten Tarns«, stellte ich fest. Ich hatte soeben eine Bewegung bemerkt: Mondlicht spiegelte sich auf einem sichelförmigen langen Schnabel. Dann sah ich, wie das Geschöpf zweimal in schneller Folge mit den Flügeln schlug. In den Schatten waren mir die Tiere bisher nicht aufgefallen.
»Zwei«, sagte Samos. »Die Reittiere dieser beiden.«
»Wollen wir uns dem Tisch nähern?« fragte ich.
»Ja.«
»Langsam.«
Behutsam gingen wir auf den Tisch zu. Dann standen wir davor. Im Licht der Laterne vermochte ich auszumachen, daß eines der Wesen ein dunkelbraunes Fell hatte, während das des anderen Fremden beinahe schwarz war. Sie wirkten riesig. Wie sie so umschlungen vor uns lagen, ragte der Kamm des lebendigen Hügels, der Rücken eines der beiden Wesen, einige Zoll über die Tischplatte. Die Köpfe waren nicht auszumachen, ebenso blieben Füße und Hände verborgen. Wegen des Tisches hätte ich nicht ohne weiteres die Klinge ziehen und nach den beiden hauen können. Die Position, die uns hier geboten wurde, war sicher kein Zufall. Auch aus meiner Sicht war es kein Unglück, den schweren Tisch vor mir zu haben ... ich hätte es sogar lieber gesehen, wenn er noch breiter gewesen wäre.
Samos stellte die Laterne auf die Holzplatte. Dann verharrten wir abwartend.
»Was soll nun geschehen?« fragte Samos.
»Keine Ahnung.« Ich hatte zu schwitzen begonnen. Ich fühlte mein Herz schlagen. Meine rechte Hand, vor dem Körper herumgebeugt, lag auf dem Schwertgriff. Mit der linken hielt ich die Waffenscheide fest.
»Vielleicht schlafen sie«, flüsterte Samos.
»Nein.«
»Sie geben aber nicht zu erkennen, daß sie uns wahrgenommen haben«, meinte Samos.
»Sie wissen genau Bescheid.«
»Was sollen wir tun?« fragte Samos. »Soll ich einen berühren?«
»Lieber nicht«, gab ich angespannt zurück. »Eine unerwartete Berührung könnte einen Angriffsreflex auslösen.«
Samos zog die Hand zurück.
»Außerdem sind solche Wesen meistens stolz und eitel. Selten ist ihnen die Berührung durch einen Menschen willkommen. Selbst ein unabsichtlicher Verstoß gegen diese Grundregel hat im allgemeinen zur Folge, daß der Betreffende sofort zerrissen wird.«
»Angenehme Zeitgenossen«, meinte Samos.
»Wie alle vernunftbegabten Wesen haben sie ein Gefühl für Anstand und Etikette.«
»Wie kannst du sie vernunftbegabt nennen?« fragte Samos.
»Offensichtlich sind sie durch ihre Intelligenz und ihre Raffinesse als Vernunftwesen qualifiziert«, antwortete ich. »Es interessiert dich vielleicht zu erfahren, daß sie ihrerseits die Menschen als unvernünftig einstufen, als unterlegene Spezies, als Wesen, die für sie kaum etwas anderes als Nahrung sind.«