»Das Haus des Ram Seibar«, sagte der Mann amüsiert, »möchte, daß ihr aus Kailiauk verschwindet.«
Mehrere andere Mädchen wurden von der Angst der Mädchen angesteckt. Auch die Rothaarige wirkte verängstigt. Die neuen Mädchen verstanden die goreanische Sprache nicht, erfaßten aber instinktiv die Furcht der anderen Sklavinnen.
»Diese beiden Mädchen, das zweite und dritte an der Kette«, sagte ich, »scheinen ziemlich beunruhigt zu sein, dich als ihren Herrn zu erblicken.«
»Sieht so aus«, räumte der Mann mit dem breitkrempigen Hut ein.
»Warum sollten sie so entsetzt reagieren?« fragte ich. »Mehr als mir angebracht erscheint, wenn es um das Verhältnis einer Sklavin zu ihrem Herrn geht?« Es ist natürlich, daß eine Sklavin ihrem Herrn mit einer gewissen Furcht begegnet.
»Ich glaube nicht, daß das Entsetzen mir persönlich gilt«, sagte der Mann grinsend.
»Wo läge dann die Ursache für diese Reaktion?«
»Wer kann schon sagen, was in den Köpfen hübscher kleiner Sklavinnen vorgeht?«
»Du scheinst mir auszuweichen.«
»Mag sein.«
»Deine Sklavenkette ist prächtig anzusehen, eine Sammlung angeketteter Schönheiten. Doch scheint hier ein deutlicher Unterschied zu bestehen zwischen den beiden ersten drei Mädchen und den letzten sieben und, wenn ich das sagen darf, auch zwischen dem ersten und den beiden nächsten.«
»Ja«, sagte er, »damit hast du recht. Schau dir die letzten sieben Mädchen an. Kennst du ihre Natur? Weißt du, was das für Mädchen sind?«
»Was denn?«
»Packesel», sagte er. »Es sind Packesel.«
»So etwas ähnliches habe ich mir gedacht«, antwortete ich. Plötzlich ging mir auf, was der Mann plante. Nicht mehr als zwei Kaiila durften in das Ödland mitgenommen werden, das hatte er mir vorhin erst gesagt.
»Und das erste Mädchen, soll es auch Lasten tragen?« fragte ich.
»Sie wird ebenfalls als Packesel dienen«, antwortete er, »wie alle. In letzter Konsequenz habe ich mit ihr aber andere Pläne.«
»Aha.«
»Sie wird fünf Felle des gelben Kailiauk erbringen.«
»Dann wirst du einen guten Gewinn mit ihr erzielen.«
»Ja«, gab er zurück. »Eine gelbe Kailiaukrobe kostet selbst in durchschnittlichem Zustand fünf Silber-Tarsk.«
Ich betrachtete das rothaarige Mädchen an der Kette, die ehemalige Millicent Aubrey-Welles. Sie wußte nicht einmal, daß wir über sie sprachen.
»Und die anderen beiden?« fragte ich und deutete auf Ginger und Evelyn.
»Durch sie kann ich mich mit dem rothaarigen Mädchen verständigen«, antwortete er. »In ihrer barbarischen Sprache können sie ihr schnell die Bedeutung ihres neuen Daseins klarmachen, und die Schnelligkeit, Intimität und Absolutheit der Dienste, die von ihr verlangt werden. Außerdem können sie ihr ein wenig Goreanisch beibringen. Das ist genug Arbeit für alle und erleichtert mir die Ausbildung.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
Er schob sich den Rest der Kette mitsamt den offenen Kragen auf der Schulter zurecht. Offenbar hatte er keine klare Vorstellung davon gehabt, wie viele Mädchen er kaufen wollte. Solche Dinge lassen sich nicht genau vorausberechnen, besonders wenn man größere Gruppen kauft. Vieles hängt von der Ware und den Tagespreisen ab. »Die Trecks sind manchmal sehr lang«, sagte er.
»Trecks?«
»Ja.«
»Mir fällt auf«, sagte ich, »daß alle Mädchen Barbarinnen sind, sogar das zweite und dritte Mädchen. Warum hast du für deinen Last-Treck nicht auch goreanische Mädchen erstanden?«
»Es ist sicher angebrachter, für den Transport von Lasten anstelle von goreanischen Mädchen Barbaren zu verwenden«, antwortete er.
»Selbstverständlich.«
»Es gibt aber noch einen anderen Grund.«
»Und der wäre?«
»Diese barbarischen Mädchen werden sich unschuldig und ahnungslos wie Kaiila an ihrer Kette bewegen.«
»Wohingegen?«
»Wohingegen goreanische Mädchen vor Angst sterben könnten.«
Ginger und Evelyn stöhnten auf.
»Diese beiden«, sagte ich und deutete auf die ehemaligen Tavernenmädchen, »scheinen nicht völlig ahnungslos zu sein.«
»Selbst diese beiden, das versichere ich dir, haben nicht die geringste Ahnung, was sie erwartet.«
Die beiden Sklavinnen erschauderten. Was sie wollten, zählte hier natürlich nicht. Sie mußten gehen, wohin ihr Herr sie schickte.
»Darf ich vermuten, daß du mit deinem Pack-Treck ins Ödland ziehen willst?« fragte ich.
»Ja.«
»Morgen früh?«
»Ja.«
»Du bist Tauschhändler?«
»Ja.«
»Ich habe im Grenzgebiet lange nach einem gewissen Grunt gesucht«, sagte ich.
»Das ist mir bekannt.«
»Niemand scheint seinen Aufenthaltsort genau zu kennen.«
»Ach?«
»Das fand ich irgendwie ungewöhnlich.«
»Wieso?«
»Dieser Grunt«, sagte ich, »ist angeblich ein bekannter Händler. Erscheint es dir dann nicht seltsam, daß niemand genau wußte, wo er sich befand?«
»Das ist wirklich ein bißchen seltsam«, stimmte mir der Mann zu.
»Mir kam nun der Gedanke«, sagte ich, »daß dieser Grunt wahrscheinlich viele Freunde hat, daß er seine Mitmenschen zu loyalem Verhalten inspiriert, daß diese Freunde ihn zu schützen wünschen.«
»Wenn das so ist«, sagte er, »dann muß dieser Grunt ein glücklicher Mann sein, zumindest in gewisser Hinsicht.«
»Kennst du ihn?« fragte ich.
»Ja.«
»Weißt du, wo er ist?«
»Ja.«
»Glaubst du, du könntest mich zu ihm führen?«
»Ich bin Grunt«, sagte er.
»Dachte ich mir’s doch«, erwiderte ich.
9
»Hier ist sie«, sagte Grunt und drehte sich auf seiner Kaiila um. »Siehst du die Stangen?«
»Ja«, erwiderte ich. Wir befanden uns zwei Pasangs östlich von Kailiauk.
Das Gras reichte bis zu den Knien der Kaiila und bis an die Oberschenkel der Sklavinnen, die in kurzen einteiligen braunen Reptuch-Tuniken an einer Fessel gingen und auf den Köpfen Vasen balancierten.
Die Stange vor uns war etwa sieben Fuß hoch; diese Größe sollte offenbar gewährleisten, daß sie auch bei Schnee noch zu sehen war, in den Wintermonaten wie Waniyetuwi und Wanicokanwi. Sie bestand aus geschältem Ka-la-na-Holz und wies an ihrer Spitze zwei lange, schmale gelb-schwarz abgesetzte Federn auf, die aus dem Schwanz des schuppigen Herlit stammten, eines riesigen, breitflügeligen, fleischfressenden Vogels, der unter Goreanern zuweilen auch der Sonnenschläger genannt wird oder genauer, wenn auch unschöner übersetzt: Aus-der-Sonne-schlägter-zu. Dies geht vermutlich auf seine Angewohnheit zurück, seine Beute wie der Tarn stets so anzugreifen, daß er die Sonne über und hinter sich hat. Ähnliche Stangen erblickte ich etwa zweihundert Meter entfernt links und rechts. Wie Grunt mir mitteilte, ist die gesamte Grenze mit solchen Zeichen abgesteckt, wenn auch nicht immer in Sichtweite. Die Stangen stehen natürlich in Gegenden, wo Weiße siedeln, dichter zusammen.
Grunt schaute nun wieder nach vorn über die weiten Grasflächen und die sanft auf und ab schwingenden Hügel. Das Terrain jenseits der Grenzstangen schien sich kaum von dem davor liegenden Land zu unterscheiden. Die Hügel, das Gras, der hohe blaue Himmel, die weißen Wolken – dies alles schien zu beiden Seiten der Federzeichen identisch zu sein. Die Stangen erschienen mir als Fremdkörper, als geographische Unsinnigkeit. Sie konnten gewiß keine überragende Bedeutung haben, wie sie da standen, sich im Wind neigend, der auch die Federn rascheln ließ. Es war eine frische Brise. Ich erschauderte auf dem Rücken meiner Kaiila.
Wer sich dafür interessiert: Wir erreichten die Grenzstangen im Frühlingsanfang, zu Beginn der Magaksicaagliwi, des Mondes der zurückkehrenden Gant. Der Monat davor war der Wundauge-Mond gewesen: Istawincayazanwi. Wegen der unsicheren Wetterlage, der Gefahr von Frösten und Unwettern und wegen der unangenehmen Stürme hatte Grunt diesen Monat gemieden. Der folgende Mond würde Wozupiwi sein, der Pflanz-Monat, eine Bezeichnung, die ich im gegebenen Zusammenhang sehr aufschlußreich finde. Er scheint darauf hinzuweisen, daß die Bewohner dieser Gegend irgendwann einmal fest siedelnde Bauern waren. Das mußte natürlich vor dem Auftauchen der Kaiila gewesen sein, die offenbar in dieser Gegend für einen durchgreifenden kulturellen Umschwung gesorgt hatte. Oft bildet man sich ein, eine Jagdkultur stelle gewissermaßen eine niedrigere Entwicklungsstufe dar als eine Wirtschaft, die auf Ackerbau und Viehzucht basiert. Vielleicht liegt dies an dem Umstand, daß die Landwirtschaft im allgemeinen ein stabileres kulturelles Milieu schafft und normalerweise auf kleinerem Gebiet größere Bevölkerungszahlen zuläßt. Von der Landwirtschaft ernährt, braucht ein einzelner Mensch weniger als einen Morgen Land. Derselbe Mensch, müßte er sich auf die Jagd verlassen, bräuchte ein Gebiet von mehreren Quadratmeilen. Hier scheint allerdings die bewußte Entscheidung eines Volkes gegen die Landwirtschaft und für die nomadische Jagdkultur vorzuliegen. Ermöglicht wurde diese Entscheidung zweifellos durch die Mobilität, die von der Kaiila ausging, und von der großen Zahl der Kailiauk – eine Entscheidung für die weit herumkommenden Jäger, den stolzen und freien Krieger, eine Entscheidung gegen den Bauern, dem die fernen Horizonte verschlossen blieben, der der Gnade der Elemente ausgeliefert blieb, gefesselt an seinen Boden.