»Sie ist ziemlich hübsch«, sagte Ginger zu mir; vom Ufer aus sahen wir zu, wie das neue Mädchen sich mit dem Kamm aus Kailiaukhorn durch das Haar fuhr.
»Finde ich auch«, antwortete ich. Sie war schlank und hatte eine hübsche Figur.
»Sie könnte vier Felle bringen«, sagte Ginger.
»Möglich«, sagte ich und schickte Ginger fort. Das andere Mädchen ließ ich nicht aus den Augen.
Sie war wunderschön, und ihre Schönheit war tausendmal aufregender als die einer freien Frau, denn sie war Sklavin.
»Der Herr sieht mich offen an«, sagte sie scheu.
»Du bist Sklavin«, erwiderte ich.
»Ja, Herr«, antwortete sie, drehte den Kopf zur Seite und bewegte langsam den Kamm. »Darf ich daraus schließen, daß der Herr mich nicht ganz abstoßend findet?«
»Darfst du«, sagte ich.
»Ob ich wohl wirklich vier Felle wert bin?«
»Das ließe sich leicht feststellen. Du siehst in der Tat schon anders aus als vorhin bei deinem Kauf.«
»Es ist schwierig, frisch und hübsch zu bleiben«, sagte sie, »wenn man neben einer Kaiila durch Büsche und Gräser laufen muß.«
Ich nickte. »Wie wurdest du von den Staubfüßen genannt?«
»Wasnapohdi«, antwortete sie.
»Und was bedeutet das?«
»Pickel.«
»Du hast doch aber gar keine Pickel.«
»Ich wurde als Waniyanpi geboren, in einer der Waniyanpi-Siedlungen der Kailiauk«, sagte sie. »Meine Eltern, die sich vorher nicht kannten, wurden von den roten Herren, obwohl sie Gleiche waren, am Tag der Waniyanpi-Fortpflanzung gezwungen, den häßlichen Akt zu vollziehen.«
»Ich verstehe kaum, was du mir da erzählst«, sagte ich. »Was sind Waniyanpi? Und die Kailiauk?«
»Viele Stämme lassen es zu, daß in ihren Gebieten kleine ackerbautreibende Gruppen existieren«, sagte sie. »Die Angehörigen dieser Gemeinschaften sind an den Boden gebunden und stehen als Ganzes im Besitz des Stammes, auf dessen Territorium sie leben dürfen. Sie bauen für ihre Herren allerlei Nahrungsmittel an, zum Beispiel Wagmeza und Wagmu, Mais oder Getreide, und andere Pflanzen wie Kürbisse und Melonen. Im Notfall müssen sie auch als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen – und als persönliche Sklaven, wenn den Herren der Sinn danach steht. Wird ein solches Gemeindemitglied aus der Enklave genommen, hört er oder sie auf, Waniyanpi zu sein, und verwandelt sich in einen ganz gewöhnlichen Sklaven, der einem bestimmten Herrn gehört. Normalerweise werden dazu Töchter genommen, denn die roten Herren finden sie als Sklaven sehr begehrenswert, doch manchmal hat man es auch auf junge Männer abgesehen. Das Wort ›Waniyanpi‹ bedeutet wörtlich ›zahmes Vieh‹ und bezieht sich auf die kollektiv im Eigentum stehenden Sklaven dieser winzigen landwirtschaftlichen Enklaven. Die Kailiauk sind ein Stamm, der mit den Kaiila verbündet ist. Die Stämme sprechen eng verwandte Dialekte.«
»Kommen deine Eltern aus derselben Gemeinschaft?«
»Nein«, antwortete sie. »Am Tag der Fortpflanzung werden die Männer in eine andere Gemeinschaft geführt.«
»Du hast von einem häßlichen Akt gesprochen«, bemerkte ich. Diese Worte gefielen mir nicht. Sie erinnerten an eine ferne und kranke Welt, eine Welt voller Kopfschütteln, verlegenem Schweigen und schmutzigen Witzen. Da sind doch die goreanischen Sklavenkragen weitaus ehrlicher.
»Die Gleichen«, erklärte sie, »sind grundsätzlich gegen sexuelle Beziehungen zwischen Menschen, und besonders zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts, da das herabwürdigend und gefährlich sei.«
»Wieso gefährlich?«
»Nicht gesundheitsgefährlich«, antwortete sie, »sondern gefährlich für die Lehre.«
»Welche Lehre?«
»Die Lehre, daß Männer und Frauen gleich sind. Das ist der Kern des Glaubens der Waniyanpi.«
»Glauben sie das wirklich?«
»Sie tun so«, erwiderte sie. »Ob sie wirklich davon überzeugt sind, weiß ich nicht.«
»Sie glauben, daß Männer und Frauen gleich sind«, sagte ich staunend.
»Außer daß Frauen irgendwie überlegen sein sollen.«
»Dann scheint mir dieser Glaube nicht nur offensichtlich falsch, sondern nicht einmal in sich schlüssig zu sein.«
»Vor der Lehre muß man die eigene Vernunft aufgeben«, sagte sie. »Die Lehre zu prüfen, ist ein Verbrechen. Sie in Frage stellen, gilt als Blasphemie.«
»Sie bildet aber die Grundlage der Gesellschaft der Waniyanpi?« fragte ich.
»Ja. Ohne sie würde diese Gesellschaft zusammenbrechen.«
»Na und?«
»Die Waniyanpi nehmen die Auflösung ihrer Gesellschaft nicht so leicht wie du«, antwortete sie lächelnd. »Du wirst außerdem begreifen, wie nützlich solche Ansichten sind. Darin liegt eine ausgezeichnete Philosophie für Sklaven.«
»Dessen bin ich gar nicht so sicher«, sagte ich.
»Wenigstens gibt die Lehre Männern einen Vorwand, keine Männer zu sein.«
»Das scheint mir richtig zu sein.«
»Die Lehre hilft ihnen, Waniyanpi zu bleiben«, fuhr sie fort. »So sind sie weniger in Gefahr, die Aufmerksamkeit oder den Zorn ihrer roten Herren zu erregen.«
»Die roten Herren amüsieren sich immer sehr über die Waniyanpi-Enklaven«, sagte das Mädchen.
Ich mußte an die ›Erinnerung‹ denken, die von den roten Wilden manchmal beschworen wurde. »Die Lehren der Waniyanpi gingen ursprünglich gewiß von den roten Herren aus und wurden den Waniyanpi aufgezwungen, nicht wahr?«
»Das weiß ich nicht genau. Vielleicht haben die Waniyanpi sie erfunden, um vor sich selbst eine Entschuldigung für ihre Feigheit, Schwäche und Ohnmacht zu haben.«
»Möglich«, räumte ich ein.
»Wenn man nicht stark ist, neigt man dazu, aus der Schwäche eine Tugend zu machen.«
»Das ist wohl richtig«, sagte ich. Vielleicht lag hier wirklich keine Unterdrückung durch die roten Wilden vor, vielleicht hatten die Waniyanpi sich selbst und ihre Kinder betrogen. Mit der Zeit pflegten sich solche Lehren, so absurd sie auch sein mochten, in die Selbstverständlichkeit zu entwickeln, erhielten Bestätigung durch die Tradition – welche der beliebteste Denkersatz der Menschen war und ist.
»Du selbst scheinst von dem Wahn der Waniyanpi kaum angesteckt zu sein«, sagte ich.
»Nein«, antwortete sie. »Ich hatte rote Herren. Von ihnen habe ich neue Wahrheiten erfahren. Außerdem wurde ich in jungem Alter aus der Gemeinschaft herausgenommen.«
»Wie alt warst du?«
»Acht Jahre«, antwortete sie. »Mich nahm ein Kaiila-Krieger als hübsche kleine weiße Sklavin für seinen zehnjährigen Sohn mit. Ich lernte früh, mit Männern umzugehen.«
»Was geschah dann?« fragte ich.
»Es gibt nicht mehr viel zu erzählen«, antwortete sie. »Sieben Jahre lang war ich die Sklavin meines jungen Herrn. Er behandelte mich freundlich und beschützte mich vor anderen Kindern. Obwohl ich seine Sklavin war, habe ich ihm wohl gefallen. Erst mit fünfzehn entdeckte er die Frau in mir.« Sie schwieg. »Ich bin mit dem Kämmen fertig.«
»Komm her und knie nieder!« befahl ich. Ihr wasserglänzender Körper eilte zu mir ans Ufer. Ich nahm die Bürste zur Hand, kniete mich hinter sie und begann ihr das Haar zu bürsten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß goreanische Herren ihre Sklaven auf diese Weise pflegen.
»War es der Junge, der dir den Namen Pickel gab?« fragte ich.
»Ja, zu Beginn meiner Pubertät. Aus irgendeinem Grund wurde er nie geändert. ›Wasnapohdi‹ – das schien meinen Herren zu amüsieren.«
»Jedenfalls hast du keine Pickel«, stellte ich fest.
»Vielleicht erbringe ich dir vier Felle«, sagte sie lachend.
»Unmöglich wäre das wohl nicht«, erwiderte ich und zog sie zu mir herum.
»Dies ist Wagmezahu, Kornähre«, stellte Grunt vor. »Er ist ein Flieher.«
»Hou«, sagte Kornähre.
»Hou«, sagte ich.
»Ist die neue Sklavin zufriedenstellend?« wollte Grunt wissen.
»Durchaus«, antwortete ich.
»Gut.«
Mit untergeschlagenen Beinen setzte ich mich ein Stück vom Feuer entfernt nieder. Nun wußte ich, warum Grunt so ausgiebig in die Ferne geschaut hatte, warum er am Tauschpunkt hatte bleiben wollen. Zweifellos hatte er auf diesen Flieher-Krieger gewartet. Zweifellos lag hier auch der Grund, warum er mich ermutigt hatte, mir mit dem neuen Mädchen Zeit zu lassen: Er wollte nicht gestört werden. Obwohl die Flieher eine Sprache sprechen, die mit den Dialekten der Kaiila und Staubfüßen verwandt ist, gab es oft Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen. So hatte der Flieher den richtigen Moment abgewartet, sich zu zeigen. Wenn den Staubfüßen bekannt gewesen war, daß er sich in ihrem Territorium herumtrieb, so hatten sie deswegen nichts unternommen, vielleicht aus Rücksicht auf Grunt.