Grunt und der Flieher verständigten sich hauptsächlich durch Zeichensprache, was für beide einfacher war.
Ich beobachtete die beiden aufmerksam. Es war später Abend, als Kornähre wieder aufbrach. Zum Abschied schenkte ihm Grunt einige Zuckerstücke und ein gutes Stahlmesser.
»Du scheinst niedergeschlagen zu sein«, sagte ich zu Grunt. Er war zum Feuer zurückgekehrt und starrte stumm hinein.
»Ich habe nichts«, sagte er.
»Ich sollte anfangen, die Staubfußsprache zu lernen.«
»Ich werde dir unterwegs beim Reiten Lektionen geben.«
»Mit der Staubfußsprache müßte ich mich ein wenig auch mit Kaiila-Kriegern verständigen können.«
»Mühelos«, sagte Grunt, »denn die Sprachen unterscheiden sich höchstens wie Dialekte voneinander. Außerdem könntest du von den Kailiauk verstanden werden und, mit Einschränkungen, auch von den Fliehern.«
»Über die Kailiauk weiß ich wenig«, bekannte ich.
»Westlich der Grenzzone sind sie kaum anzutreffen«, antwortete er. »Ihr Gebiet liegt südöstlich des Territoriums der Kaiila.«
»Überwiegend hast du gegenüber Kornähre die Zeichensprache benutzt.«
»Ja«, erwiderte er. »Die war leichter für uns.« Er schaute mich an. »Für dich wäre es alles in allem wohl nützlicher, die Zeichen zu lernen, als Bruchstücke der Staubfußsprache.«
»Also bring mir die Zeichen bei!« sagte ich.
»Ganz ohne Staubfuß- oder Kaiila-Worte kommst du nicht aus. Es gibt keinen Ersatz für die Möglichkeit, die Wilden in ihrer Muttersprache anzureden. Die Zeichensprache ist, soweit ich weiß, allen Stämmen des Ödlands gemein.«
»Warum werden sie Staubfüße genannt?«
»Keine Ahnung, aber ich glaube, es hängt damit zusammen, daß sie einer der letzten großen Stämme sind, die die Kaiila zähmte. Zu Fuß laufend, waren sie der Gnade der anderen ausgeliefert. In dieser Zeit mag das Fundament gelegt worden sein für ihre jetzige Rolle als Kaufleute und Diplomaten.«
»Eine interessante Hypothese«, sagte ich.
»Ich kann dir kurzfristig Hunderte von Zeichen beibringen«, sagte Grunt. »Es ist eine ziemlich begrenzte Sprache, doch in den meisten Situationen durchaus angemessen. Sie läßt sich leicht lernen, weil viele Zeichen dem Sinngehalt entsprechen. Du könntest in vier oder fünf Tagen aufnehmen, was du brauchst.«
»Ich möchte also Anfangsgründe der Staubfuß- und Kaiila-Sprache lernen, und die Zeichen.«
»Ich helfe dir gern«, sagte Grunt.
»Grunt?«
»Ja?«
»Nachdem ich ans Feuer gekommen war, ist Kornähre nicht mehr lange geblieben.«
»Er kennt dich nicht.«
Ich nickte. Nicht nur die roten Wilden, sondern die meisten Goreaner verhalten sich Fremden gegenüber sehr zurückhaltend, besonders jenen, die fremde Sprachen sprechen oder aus anderen Gebieten oder Städten stammen. In der goreanischen Sprache gibt es übrigens für die Begriffe ›Fremder‹ und ›Feind‹ nur ein Wort, dessen jeweiliger Sinn sich aus dem Zusammenhang ergeben muß. Die Goreaner wissen, daß es so etwas wie bekannte Feinde und freundliche Fremde durchaus geben kann.
»Soweit ich weiß, hat er keine Geschäfte mit dir gemacht«, bemerkte ich.
»Nein«, antwortete Grunt. »Wir haben uns unterhalten. Er ist ein Freund von mir.«
»Wie sieht das Zeichen für ›roter Wilder‹ aus?« fragte ich.
Mit dem rechten Zeigefinger rieb Grunt vom Handgelenk zu den ersten Knöcheln seines linken Handrückens. »Ein Mann ganz allgemein wird so angezeigt«, sagte er, hob die rechte Hand vor die Brust, den Zeigefinger nach oben gerichtet, und bewegte sie vor sein Gesicht. Dann wiederholte er das Zeichen für den roten Wilden. »Ich weiß nicht genau, welche logische Grundlage dieses Symbol hat«, fuhr er fort. »Du merkst aber, daß bei beiden Zeichen derselbe Finger benutzt wird, der Zeigefinger. Die Herkunft mancher Zeichen liegt im dunkeln. Es werden Ansichten vertreten, daß das Zeichen für den roten Wilden mit dem Verteilen von Kriegsbemalung zu tun habe. Andere meinen, es werde ein Mann symbolisiert, der sehr aufrecht geht, oder ein Mann, der der Erde, der Natur sehr nahe ist. Zweifellos gibt es darüber hinaus andere Erklärungen. Dies ist das Zeichen für Freund.« Er legte die beiden ersten Finger zusammen und schob sie neben seinem Gesicht nach oben. »Wahrscheinlich wird damit die Geschichte zweier Männer angedeutet, die zusammen aufwachsen.«
»Interessant«, sagte ich. »Was heißt das hier?« Ich legte den Mittelfinger der rechten Hand auf den rechten Daumen und streckte Zeigefinger und kleinen Finger. Es ergab sich ungefähr das Bild einer spitzen Schnauze mit Ohren.
»Du hast die Staubfüße dieses Zeichen machen sehen«, antwortete Grunt. »Es zeigt einen wilden Sleen an und wird zugleich für den Sleen-Stamm verwendet. Weißt du, was dies bedeutet?« Er spreizte den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand und führte sie vor seinem Körper von links nach rechts.
»Nein.«
»Dies ist das Zeichen für einen gezähmten Sleen«, sagte er. »Verstehst du? Das Zeichen ähnelt den beiden Stangen eines Lastenschleppers, der von einem solchen Tier gezogen wird.«
»Ja«, sagte ich.
»Und das hier?« fragte er und führte seinen rechten Zeigefinger vor der Stirn von links nach rechts.
»Ein Weißer?«
»Ja! Gut!«
»Eine Linie wie eine Hutkrempe über der Stirn«, sagte ich.
»Gut. Und das hier?« Er krümmte die Finger beider Hände ein wenig und vollführte abwärts gerichtete Bewegungen von der Höhe seines Kopfs bis zu den Schultern. Es sah etwa so aus, als kämme er Haar.
»Eine Frau?« fragte ich.
»Gut. Gut. Und dies?«
»Eine weiße Frau?«
»Ja.« Er hatte sich mit dem rechten Zeigefinger eine Linie auf die Stirn gezeichnet, von links nach rechts, dann die Hand geöffnet und in kämmender Bewegung nach unten zu seiner Schulter geführt. »Und was liest du daraus?« fragte er. Er setzte die kämmenden Bewegungen mit der Hand fort, senkte dann den Kopf und schaute auf sein linkes Handgelenk, das er sodann fest mit der rechten Hand umfaßte.
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich.
»Das zweite Zeichen bedeutet Unterwerfung.«
»Eine Sklavin?«
»Ja«, sagte Grunt, »doch es wird auch im allgemeinen für jede freie Frau verwendet.«
»Aha, die Zeichen für eine weiße Frau und eine Sklavin sind also identisch?«
»Ja«, antwortete er. »Im Ödland gelten alle weißen Frauen als Sklavinnen. Die rothäutigen Sklavinnen werden mit dem Zeichen für Frau angegeben, gefolgt von dem Symbol für die roten Wilden, gefolgt von dem Zeichen der Unterwerfung.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Was ist das?« fragte Grunt. Er hielt sich die linke Hand vor die Brust, die Handfläche nach innen, und setzte dann Zeigefinger und Mittelfinger der Hand rittlings auf die Handkante.
»Ein Reiter?«
»Eine Kaiila«, berichtigte er mich und bewegte dann die Hände in unveränderter Stellung in kleinen Kreisen, als sei die Kaiila in Bewegung. »Das steht für reiten.« Dann hielt er sich die linke Faust vor den Mund und hämmerte mit der linken Handkante zwischen der Faust und dem Gesicht nach unten.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Messer! Verstehst du? Man hält das Fleisch zwischen Hand und Zähnen. Dann schneidet man sich einen Bissen ab.«
»Gut«, sagte ich. »Und was heißt das?« Ich zog mit dem rechten Zeigefinger eine Linie quer über meine Kehle. Ich hatte Kornähre dieses Symbol machen sehen.
Grunts Blick verdüsterte sich. »Das ist das Zeichen für die Kaiila, den Stamm der Halsabschneider.«