Grunt hob die rechte Hand, bis sich der Handrücken in der Nähe der rechten Schulter befand. Der Zeigefinger deutete dabei vorwärts, während der Rest der Hand zur Faust geballt war, wobei der Daumen auf dem Mittelfinger ruhte. Dann bewegte er die Hand ein wenig nach rechts und bildete gleichzeitig mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, das Zeichen für ›Ja‹. Anschließend senkte er die Hände mit den Handflächen nach unten und signalisierte damit seinen Dank.
Der Flieher grinste und nahm die Lanze wieder in die andere Hand. Mit einem lauten Kriegsschrei trieb er seine Kaiila plötzlich an und galoppierte davon.
»Mit den Fliehern bin ich immer gut zurechtgekommen«, sagte Grunt.
Ich schaute dem davonstürmenden Krieger nach. Er gehörte den Reitern zum Blauen Himmel an. Solch eine Mitgliedschaft fällt keinem Krieger in den Schoß. Ich schwitzte.
»Ich dachte schon, er wollte ein oder mehrere Mädchen haben«, sagte ich.
»Wahrscheinlich hat er mindestens so gute oder bessere Sklavinnen in seinem Lager«, meinte Grunt.
»Möglich«, sagte ich. »Gleichwohl war er beeindruckt.«
»Ich bin stolz auf meine Mädchen«, sagte Grunt. »Und ich bin dir dankbar, daß du mir hilfst, ihnen ihre Sklaverei bewußt zu machen.«
Ich zuckte die Achseln. Ich hatte viel Freude daran gehabt, das eine oder andere Mädchen zu mir auf die Decke zu holen. »Es sind eifrige Schülerinnen«, sagte ich, »die allmählich verstehen, daß sie echte Sklavinnen sind.«
»Gut«, sagte Grunt.
Ich fragte mich, warum sich Grunt nicht selbst in entsprechender Weise um seine Mädchen kümmerte. Sicher wußte auch er um ihre Schönheit und Anziehung.
»Nehmt die Lasten auf, meine hübschen Ungeheuer!« rief er. »Glaubt ihr, ich ernähre euch für nichts? Meint ihr, wir können hier den ganzen Tag herumtrödeln? Nein! Wir müssen weiter!«
»Was hat der Flieher hier gesucht?« fragte ich.
»Wahrscheinlich wurde er zurückgelassen, um Überlebende zu töten«, sagte Grunt.
»Wir befinden uns bereits im Territorium der Flieher?«
»Er trug Kriegsbemalung.«
»Aber er hat sich nicht feindselig verhalten.«
»Wir hatten mit der anderen Gruppe nichts zu tun.«
»Dann müßte das Massaker ganz in der Nähe stattgefunden haben.«
»Ich befürchte es«, sagte Grunt.
»Vielleicht sollten wir ein Stück vor der Kette reiten«, schlug ich vor.
»Das ist sicher ein guter Gedanke«, meinte Grunt.
16
»Hier muß es gewesen sein, kein Zweifel«, sagte Grunt.
Von der Anhöhe schauten wir in das vor uns liegende Tal.
»Ich hatte eigentlich eine schlimmere Szene befürchtet«, sagte ich und dachte an die blutigen Spuren des Angriffs auf die Gruppe der Hobarts.
Auf den ersten Blick lagen vor uns umgeworfene und zum Teil verbrannte Wagen. Geschirre waren durchgeschnitten worden. Hier und dort ragte ein toter Zug-Tharlarion aus dem Gras. Die meisten Tiere waren anscheinend losgeschnitten und fortgetrieben worden.
»Vielleicht ist es schlimmer, als du denkst«, sagte Grunt. »Die Toten können noch überall im Gras liegen.«
»Möglich.«
»Doch scheint es kaum Aasgetier zu geben«, stellte er fest.
Ich blickte mich um. Hinter uns stand das rothaarige Mädchen, das erste an der Kette. Die anderen Sklavinnen und die Hobarts drängten sich um sie.
»Wie es aussieht, hat der Angriff nicht im Morgengrauen stattgefunden«, sagte Grunt, »und sicher auch nicht spät am Nachmittag.«
»Das verrät dir der Umstand, daß die Wagen weit verstreut sind«, sagte ich, »und keine Wagenburg bilden. Sie haben in einer Reihe gestanden, wie zum Abmarsch bereit.«
»Ja«, sagte Grunt.
»Außerdem konnte der Angriff nicht am späten Nachmittag stattfinden, weil dann die Gefahr bestanden hätte, daß sich Überlebende im Schutze der Dunkelheit davonmachten.«
»Genau. Ich vermute, die Wagen wurden gerade zur Abfahrt fertiggemacht.«
»Wenn das stimmt, müßten wir die Überreste von Abendfeuern und Kochstellen finden, mit kreisförmig aufgeschichteten Steinen.«
»Ja.«
Wir lenkten unsere Kaiila den Hang hinab und auf die Wagen zu. Es waren mehrere. Einige standen schräg, andere waren umgeworfen, und wieder andere erwarteten uns stumm und kahl auf ihren Rädern, unbeaufsichtigt, als stünden sie zum Gebrauch bereit, das Gras hoch zwischen den Achsen, die schweren Deichseln schräg herabhängend. Die meisten Wagen wiesen mehr oder weniger starke Brandspuren auf. Bei keinem war die schützende Plane intakt, die entweder abgerissen oder verkohlt war. Die runden Streben für die Planen, die aus Metall bestanden, hatten den Angriff überstanden. Vor dem Himmel bildeten sich makabre, skelettartige Umrisse, glichen sie doch freigelegten Brustkörben. Die Wagenreihe war etwa einen Pasang lang. Im Näherkommen sahen wir hier und dort verstreute Gegenstände, zuweilen auch auf den Ladeflächen. Truhen waren umgestoßen und aufgebrochen worden. Ich sah eine Puppe liegen, daneben einen Männerstiefel. Aus aufgerissenen Säcken hatte sich Mehl ins Gras ergossen.
»Hier sind die Reste der Abendfeuer«, sagte ich und führte meine Kaiila an einigen Steinringen vorbei.
»Ja«, bestätigte Grunt. Diese Feuerstellen hatten sich vermutlich im Kreis der Wagenburg befunden. Nun schien klar zu sein, daß der Angriff am Morgen begonnen hatte, wahrscheinlich während des Anschirrens der Zug-Tharlarion. Die Anzahl der durchschnittenen Zügel deutete darauf hin. Hier und dort sah ich Pfeile im Gras stecken. Die relative Starrheit dieser Objekte, die sich schräg erhoben, stand im Gegensatz zur fließenden, vom Wind getriebenen Bewegung der Grashalme.
Schaudernd sprang meine Kaiila plötzlich nach rechts. Ich hielt mich im Sattel und zog heftig die Zügel an. Dann schaute ich ins Gras.
»Was ist?«
»Ein Toter«, sagte ich. »Der aber nicht auf gewöhnliche Weise gestorben ist.«
Grunt ritt zu mir. »Muß ein Überlebender gewesen sein«, sagte er schließlich. »Der Mann war bekleidet. Er muß zu den Wagen zurückgekehrt sein, wahrscheinlich um Nahrung zu suchen.«
»Ich nehme es an.«
»Und dann muß ein wilder Sleen über ihn hergefallen sein.«
»Der Sleen jagt vorwiegend nachts«, sagte ich, denn ich hatte solche Wunden schon gesehen. Ich nahm nicht an, daß der unglückliche Mann von einem Sleen angefallen worden war.
»Ja, das Gras und der Boden sind frisch aufgewühlt«, bestätigte Grunt. »Das Blut ist noch nicht getrocknet.«
»Spann deine Armbrust!« sagte ich. Ich war ziemlich sicher, daß dieser Angriff vor kaum einer Ahn stattgefunden hatte.
Grunt wickelte die Zügel seiner Kaiila um den Sattelknauf.
Ich richtete mich auf und schaute in die Runde.
Ich hörte, wie Grunt seinen Bogen mit Hilfe des Steigbügelkabels schußbereit machte.
Erschaudernd stieg ich wieder auf den Rücken meiner Kaiila, wo ich mich doch wesentlich sicherer fühlte.
»Der Angreifer muß hier noch irgendwo sein«, sagte ich und blickte auf Grunts Armbrust. Im Zweifel würde er damit nur einmal schießen können.
»Was ist denn das für ein Raubtier?« fragte Grunt. »Ein Ungeheuer von der Sorte, wie du sie suchst?«
»Ich nehme es an. Außerdem ist es wie der andere Bursche ein Überlebender. Daß es sich in der Nähe der Wagen aufgehalten hat, deutet darauf hin, daß es verwundet wurde.«
»Dann ist es also äußerst gefährlich.«
»Ja«, bestätigte ich. Schmerz, Hunger und Verzweiflung machten ein solches Geschöpf auf keinen Fall weniger gefährlich.
Einige Fuß links von der Kaiila lag eine beschädigte Zuckertonne. Eine etwa vier Zoll breite Zuckerspur erstreckte sich drei oder vier Meter weit durch das Gras. Wahrscheinlich hatte jemand diese Last unter dem Arm geschleppt. Der Zucker war nun das Ziel vieler tausend Ameisen aus Hunderten von Ameisenhaufen in der Umgebung. Um den Zucker mochten in der nächsten Zeit zahlreiche unbemerkte kleine Kriege entbrennen.