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»Wie ihr?« fragte sie und betrachtete die langen grauen, rauhen, weiten Gewänder.

»Diese Gewänder helfen uns dabei, bescheiden zu bleiben und unsere Sehnsüchte zu unterdrücken«, sagte einer der Waniyanpi.

»Sie erinnern uns daran, daß wir alle Gleiche sind«, meinte ein zweiter.

»Daß wir alle in letzter Konsequenz nichts anderes sind als Waniyanpi.«

»Was geschieht mit jenen Menschen in eurem Gehege, die nicht gleich sind?« fragte ich.

»Wir versuchen sie zu bekehren.«

»Wir flehen sie an. Wir versuchen ihnen Vernunft beizubringen.«

»Und was ist, wenn ihr sie nicht von den strahlenden Vorteilen des Gleichseins überzeugen könnt?« fragte ich.

»Dann vertreiben wir sie, damit sie draußen im Ödland sterben«, sagte ein Waniyanpi.

»Das bekümmert uns natürlich sehr, aber es muß sein.«

»Die Ketzerei darf andere nicht anstecken.«

»Das Wohl des Ganzen ist wichtiger als das Wohl des einzelnen.«

»Ihr tötet solche Leute?« fragte ich.

»Nein! Wir dürfen nicht töten.«

»Das ist gegen die Lehre.«

»Aber ihr verbannt sie«, sagte ich, »in der Annahme, daß sie im Ödland umkommen.«

»Also ist es das Ödland, das sie tötet, nicht wir.«

»Wir sind unschuldig!«

»Solche Verbannungen lassen sich mit der Lehre vereinbaren?« fragte ich.

»Natürlich. Wie soll das Gehege solche unerwünschten Elemente sonst loswerden?«

»Das Anderssein greift die Wurzeln des Gleichseins an«, bemerkte ein Waniyanpi. »Gleichsein, das ist die Urvoraussetzung für jede Zivilisation. Das Anderssein bedroht die Gesellschaft und die Zivilisation.«

»Und muß folglich ausgelöscht werden!«

»Es gibt also nur einen Wert, eine Tugend?« fragte ich.

»Ja. Natürlich gefällt es uns nicht, Menschen zum Sterben fortzuschicken. Uns tut das immer sehr leid.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich.

Kürbis wandte sich an die anderen. »Wir müssen jetzt an unsere Arbeit zurückkehren«, sagte er. »Es müssen weitere Überreste eingesammelt und verbrannt werden.«

Als die Waniyanpi gegangen waren, wandte ich mich zu dem Mädchen um.

»Die sind völlig verrückt«, sagte sie und wand sich im Joch.

»Mag sein«, sagte ich. »Sicher ist das eine Sache der Definition.«

»Definition?« fragte sie.

»Wenn die Normen geistiger Vernunft soziale Normen sind, dann ist damit die Norm vernünftig.«

»Selbst wenn diese Gesellschaft zur Wirklichkeit keine reale Beziehung hat?«

»Ja.«

»Selbst wenn sie sich alle für Urts oder Echsen oder Wolken halten?«

»Ja, denn in einer solchen Gesellschaft würde derjenige, der sich nicht dafür hält, als verrückt gelten.«

»Und wäre auch verrückt?«

»Nach dieser Definition.«

»Eine unmögliche Definition«, sagte sie. »Ich halte sie für völlig verrückt!«

»Zumindest befinden sie sich in einem Irrtum«, sagte ich, »und sind in mancher Hinsicht anders als wir.«

Sie erschauderte.

»Die schädlichsten Religionen«, sagte ich, »sind im Grunde gar keine Religionen; man bezeichnet sie besser als Pseudoreligionen. Der Pseudoglaube ist nicht durch Beweise oder Vernunft angreifbar, nicht einmal theoretisch. Daß er dermaßen vor Widerlegung geschützt ist, liegt an seiner kognitiven Leere. Man kann ihn nicht widerlegen, weil er eben gar nichts aussagt; man kann nicht einmal theoretisch etwas dagegen vorbringen. Ein solcher Glaube ist nicht stark, sondern leer. In letzter Konsequenz ist er nicht mehr als eine Wortfolge, eine verbale Formel. Oft fürchten die Menschen, diesen Dingen näher auf den Zahn zu fühlen. Sie stecken diese Worte weg und kümmern sich um andere Dinge. Ihr Fundament, so fürchten sie, ist Stroh, ihre Stützbalken, so fürchten sie, sind dünne Gräser. Die Wahrheit wird gepriesen und angelegentlich gemieden. Tritt hier die menschliche Schlauheit nicht auf das Bemerkenswerteste zutage? Wer kann schon sagen, wie das Schwert der Wahrheit fallen wird? Einige, so hat es den Anschein, würden eher für ihre Überzeugungen sterben, als sie zu analysieren. Es muß wohl sehr angsteinflößend sein, dem eigenen Glauben auf den Grund zu gehen. Nur wenige Menschen tun es. Manchmal wird man des blutigen Streits überdrüssig. Kämpfe um leere Formeln werden, da nichts dagegen vorgebracht werden kann, oft durch Wunden und Eisen entschieden. Einige Menschen sind eben bereit, für ihren Glauben zu sterben. Und noch größer ist anscheinend die Zahl derjenigen, die bereit sind dafür zu töten.«

»Es ist nicht unbekannt, daß Menschentum falsche Schätze kämpfen«, sagte die Gefangene.

»Richtig.«

»Aber in letzter Konsequenz glaube ich nicht, daß die Kämpfer sich nur um die leeren Formeln drehen. Diese sind nur die Standarten und Flaggen, die in die Schlacht getragen werden und das Fußvolk anheizen und der Elite nützen.«

»Vielleicht hast du recht«, sagte ich nachdenklich. Der Mensch und seine Motive, das ist ein komplexes Feld. Die Antwort aber, mochte sie falsch oder richtig sein, erinnerte mich daran, daß dieses Mädchen eine Agentin der Kurii war. Diese Wesen sahen die Dinge vorwiegend in Begriffen wie Frauen, Gold oder Macht. Ich grinste sie an. Diese Agentin war nun wirklich ausgeschaltet. Sie nahm an dem Spiel, das ringsum im Gange war, nicht mehr teil; sie war nun nichts anderes als ein Beutestück.

»Schau mich nicht so an!« sagte sie.

»Ich bin kein Waniyanpi«, sagte ich, »Frau!«

»Befreie mich, ich werde dir viel zahlen.«

»Nein.«

»Du könntest mich diesen Dummköpfen mühelos wegnehmen.«

»Ich nehme es an.«

»Dann nimm mich mit!«

»Ich werde dich lassen, wo du bist«, sagte ich, »meine hübsche Söldnerin!«

»Söldnerin?« fragte sie. »Ich bin keine Söldnerin! Ich bin Lady Mira aus Venna, Angehörige der Kaufmannskaste!«

Ich lächelte nur.

Sie kauerte sich zusammen. »Was weißt du von mir?« fragte sie. »Was tust du im Ödland? Wer bist du?«

»Ein Reisender«, sagte ich.

»Du wirst mich hier zurücklassen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Aber ich möchte nicht mit diesen Leuten gehen!«

»Ich würde dir raten, das Spiel mitzumachen und so zu tun, als nähmest du ihre Lehre an. So wird es leichter für dich.«

»Aber ich will nicht heucheln müssen! Wenigstens werde ich im Lager der Waniyanpi frei sein.«

»Die Waniyanpi sind ausnahmslos Sklaven«, erklärte ich, »Sklaven der roten Wilden.«

»Leben die Wilden in den Gehegen?«

»Normalerweise nicht. Sie lassen die Waniyanpi weitgehend in Ruhe.«

»Dann sind sie ja praktisch Sklaven ohne Herren.«

»Mag sein.«

»Und ich wäre eine Sklavin ohne Herr.«

»Praktisch gesehen ja«, sagte ich. Die Waniyanpi stehen übrigens nicht im Besitz von Individuen, sondern ganzer Stämme. Das kollektive Sklavendasein mag die eigene Situation etwas verschleiern, doch in letzter Konsequenz ändert sich nichts.

»Das ist doch die beste Art der Sklaverei«, sagte sie. »Ohne Herrn!«

»Ach, wirklich?« Einsam und unerfüllt ist die Sklavin, die keinen Herrn bei sich weiß. »Warum bist du nicht mit den anderen weiblichen Gefangenen von den Wilden versklavt und mitgenommen worden?«

»Sie haben mich verschont.«

»Ach, wirklich?«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Du wurdest bei den Soldaten gefunden«, erklärte ich, wandte mich ab und erstieg meine Kaiila.

»Ja?«

»Die anderen Mädchen wurden einfach zu Sklavinnen gemacht«, sagte ich. »Sie haben jetzt die Ehre, ihren Herren angemessen zu dienen.«

»Und ich?«

»Du, der du bei den Soldaten gefunden wurdest und somit eine wichtige Persönlichkeit sein mußtest, wurdest zur Strafe separiert.«

»Strafe?«

»Ja«, sagte ich und führte mir vor Augen, wie sehr die roten Krieger die Soldaten und ihre Begleiter hassen mußten und wie verschlagen und subtil sie gehandelt hatten.

»Aber man wird mich respektieren und mir meine Würde lassen!« sagte sie, die da vor mir im Gras kniete. »Ich soll bei den Waniyanpi leben!«