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»Es gibt doch sicher kein Gesetz, das verbietet, dich zu befreien«, sagte ich.

»Natürlich nicht«, antwortete er. »Trotzdem würde ich nicht damit rechnen, daß die Krieger sonderlich erfreut darüber sind.«

»Das kann ich verstehen.« Aufmerksam beobachtete ich die näherkommenden Reitergruppen. Ich zählte einundfünfzig berittene Krieger.

»Die vordersten sind Sleen«, meldete Grunt. »Die Gruppe im Süden, das sind Gelbe Messer. Aus dem Osten kommen Kaiila.«

Der Junge versuchte aufzustehen, war dazu aber noch nicht kräftig genug. Schließlich mühte er sich hoch, und ich stützte ihn. Für einen Jüngling schien er ungewöhnlich stark zu sein.

»Du bist ein Kaiila«, sagte Grunt zu ihm.

»Ja.«

»Dann kannst du dich sicher bei deinem Stamm für uns verwenden.«

»Aber es waren die Kaiila, die mich angepflockt haben«, antwortete er.

»Oh!« sagte Grunt.

Ich lächelte vor mich hin. So etwas hatte ich halb erwartet.

»Vielleicht geben sie sich ja mit Geschenken zufrieden«, sagte Grunt.

Ich beobachtete die langsame Annäherung der Reiter. Sie ließen uns Zeit. In ihrer Gelassenheit schien eine besondere Drohung zu liegen.

»Es werden wohl großzügige Geschenke sein müssen«, fuhr Grunt fort.

»Meine Leute werden die gefährlichsten sein«, sagte der Jüngling voller Stolz.

Aber davon war ich gar nicht überzeugt.

»Wie heißt du?« fragte Grunt.

»Eure Leute nannten mich ›Urt‹«, antwortete er. »Bei den Staubfüßen hieß ich ›Nitoske‹.«

»Frauenkleid«, übersetzte Grunt. »Schnell, Bursche, wie heißt du bei den Kaiila? Wir können dich unmöglich ›Frauenkleid‹ nennen!«

»Cuwignaka«, sagte der Jüngling.

Angewidert spuckte Grunt ins Gras.

»Was ist los?« fragte ich.

»Es bedeutet dasselbe, nur in der Kaiilasprache«, sagte Grunt. »In beiden Dialekten ist es außerdem die Bezeichnung für das Kleid einer weißen Frau.«

»Wunderbar!« sagte ich. »Wie sollen wir dich nun nennen?«

»Cuwignaka«, antwortete er. »Frauenkleid.«

»Na schön«, sagte ich resigniert.

»Das ist nun mal mein Name.«

»Schön«, sagte ich.

Und schon hatten die Wilden uns umringt. Angstvoll wimmernd kauerten sich die Mädchen an ihrer Kette zusammen. Ein Lanzenschaft berührte mich an der Schulter. Ich hielt mich aufrecht, so gut es ging. Ich wußte, die Krieger lauerten auf das geringste Anzeichen von Zorn oder Widerstand.

»Lächelt!« sagte Grunt. »Lächelt!«

Ich konnte nicht lächeln, aber wenigstens leistete ich keinen Widerstand.

19

Evelyn schrie bekümmert auf, als die Leine an ihr festgemacht wurde. Stolpernd drängte man sie neben Ginger und Max und Kyle Hobart.

»Hi!« rief der Sleen-Krieger, ein wichtiger Mann in der Abordnung dieses Stammes, und spornte seine Kaiila an. Schnaubend und wiehernd setzte sich das Tier in Bewegung und folgte den übrigen Sleen-Kriegern, die bereits abrückten; der Anführer voraus, gefolgt von dem Bannerträger mit dem krückenähnlichen gefiederten Stab, mit dem beim Kampf Anweisungen gegeben werden.

Mit geballten Fäusten blickte Grunt der Horde nach.

In seiner Nähe standen Corinne, Lois, Inez und Priscilla, die von einem Krieger der Gelben Messer aneinandergefesselt wurden.

Ich beobachtete das Abrücken der Kriegergruppe der Sleen. Sie waren mit ihrem Anteil der Beute sehr zufrieden. Die Sklavenkette mit den Halsbändern lag achtlos hingeworfen im Gras.

»Hopa«, sagte einer der Kaiilakrieger vom Rücken seines Tiers, ein großer, breitschultriger Bursche mit langen Zöpfen, die mit roten Bändern zusammengebunden waren. Sein Blick galt dem rothaarigen Mädchen. Mit seiner langen Lanze berührte er sie am linken Arm. Erschrocken schaute sie zu ihm auf, vermochte seinem Blick aber nicht standzuhalten und senkte schnell den Kopf. »Wihopawin«, bemerkte der Krieger.

Dicht neben dem Mädchen hockte ein Krieger der Gelben Messer. Als er seine Hand nach der Rothaarigen ausstreckte, spürte er plötzlich die bläuliche Steinspitze der Lanze am Hals. Zornig stand er auf, die Waffe zur Seite drückend, die Hand auf den Messergriff gelegt. Die Lanzenspitze kehrte in die bedrohliche Stellung zurück, leicht und elegant wie ein Ast, der, vom Wind bewegt, seine ursprüngliche Stellung wieder einnahm. Der Kaiilakrieger spannte die Beinmuskeln an. Ein Tritt mit den Fersen würde die Kaiila lossprinten lassen, womit dann die Lanze den Gelben Messer durchbohren mußte. Krieger der Gelben Messer und Kaiila, seit jeher verfeindet, erstarrten.

Corinne, Lois, Inez und Priscilla, Beutesklavinnen der Gelben Messer, wurden zur Seite gezogen.

Einer der Gelben Messer sagte etwas zu seinem Stammesgenossen, der von der Lanze bedroht wurde. Dieser trat zornig einen Schritt zurück. Er blickte auf die vier gefesselten Mädchen. Der Anführer der Gelben Messer sagte etwas zu dem Mann. Dieser wandte sich zornig ab und bestieg seine Kaiila. Die Gelben Messer hatten ihren Anteil der Beute erhalten. Außerdem herrschte in der Umgebung des Schlachtfelds zunächst Waffenstillstand.

Urt, auch Cuwignaka genannt, Frauenkleid, hatte die ganze Zeit im Gras gesessen, tief durchgeatmet und seine Hand- und Fußgelenke gerieben. Ihm fiel sichtlich jede Bewegung schwer. Jetzt erhob er sich mühsam und ging zu der Lanze, die im Gras steckte. Kurz hielt er sich am Schaft fest, bis er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Dann löste er das Kleid von der Lanze und zog es sich über den Kopf. Den unteren Teil des Kleides riß er ab, bis der Saum ein gutes Stück über den Knien endete. Auch an der linken Seite riß er den Stoff auf, um sich freier bewegen zu können. Schließlich zog er die Lanze aus dem Boden. Die Arbeit hatte ihn überfordert, und er mußte sich abstützen.

»Sleen-Tarsks, sie alle!« knurrte Grunt auf goreanisch und blickte den abziehenden Gelben Messern nach.

»Was hatten die gelben Lanzen an den Flanken der Sleen-Kaiila zu bedeuten?« fragte ich.

»Es handelte sich um Sonnenlanzer, eine Kriegergemeinschaft des Sleen-Stammes.«

»Und die Zeichen an den Kaiila der Gelben Messer?«

»Das Symbol der Urt-Soldaten, einer Gemeinschaft der Gelben Messer.«

Ich nickte. Es war üblich, daß die Kriegergemeinschaften zusammen auf den Kriegspfad zogen.

»Bei den Kaiila sind zwei Gemeinschaften vertreten«, fuhr Grunt fort. »Die meisten gehören den Kampfgefährten an, ein Mann den Reitern der Gelben Kaiila, und zwar der Krieger dort hinten mit dem Kampfschild. Er ist an der symbolischen Kaiila-Darstellung erkennbar, gelb mit roter Umrandung über roten waagerechten Streifen.«

Ich nickte. Waagerechte Streifen, soviel hatte ich schon mitbekommen, stellten in der Regel den Kaiila-Stamm dar, den Stamm der Halsabschneider. Die Kaiila des Mannes wies an Schnauze und Vorderbeinen zahlreiche Coupzeichen auf.

»Es ist eine sehr ruhmreiche Gemeinschaft«, sagte Grunt. »Nur erfahrene Krieger mit vielen Coups und großer Erfahrung auf dem Kriegspfad und beim Kaiilastehlen dürfen Mitglied werden.«

»Das Zeichen der Kampfgefährten ist das Herz mit der Lanze«, stellte ich fest.

»Ja«, bestätigte Grunt. »Nach dem Zeichen werden sie manchmal auch die Kämpfenden Herzen genannt. Komm, rühr dich nicht!« fügte er hastig hinzu und legte mir besänftigend die Hand auf den Arm. Zwei Kaiilakrieger hatten sich unseren Tauschwaren zugewandt.

»Schön«, sagte ich. »Der Reiter der Gelben Kaiila«, erklärte Grunt, »heißt Kahintokapa, Mann-der-vorausgeht, aus der Bande der Casmukrieger, was man mit Sandkrieger übersetzen kann.«

»Er ist der Anführer?« fragte ich.

»Das glaube ich nicht«, sagte er, »nicht bei einem Trupp von Kampfgefährten. Ich glaube, er ist eher als Beobachter dabei. Wahrscheinlich soll er jüngere Kämpfer beraten und unterrichten.«

Ich nickte.

»Wie du siehst, hält er sich im Hintergrund.«

»Dann ist der Anführer also der junge Mann, der sich für deine Rothaarige interessiert?« fragte ich.

»Ich nehme es an«, antwortete Grunt. »Ich kenne ihn nicht. Er kommt aus der Isbu-Bande, aus der Bande der Kleinen Steine.«