»Was geht vor?« fragte ich Grunt.
»Der junge Bursche will wissen, wer den anderen befreit hat, und Frauenkleid beschützt dich.«
»Ich habe ihn befreit«, sagte ich zu dem jungen Krieger und trat vor. »Übersetz das!« forderte ich Grunt auf.
»Ich glaube nicht, daß das in deinem Interesse wäre«, sagte dieser.
»Übersetz!«
Widerstrebend kam Grunt der Aufforderung nach.
Der junge Krieger musterte mich.
»Er ist natürlich nicht überrascht«, sagte Grunt. »Etwas ähnliches hat er erwartet.«
Ich nickte. Zweifellos war ich in seinen Augen der Hauptverdächtige gewesen. Offenkundig kannte ich mich im Ödland nicht aus. Ich besaß nur Grundkenntnisse des Staubfuß- und Kaiila-Dialekts. So konnte nur ich es gewesen sein, der ahnungslos die Fesseln durchschnitt.
»Canka«, sagte der junge Krieger und schlug sich mit der Faust vor die Brust. »Akicita hemaca. Isbu hemaca. Kaiila hemaca!«
»›Ich bin Canka, Feuerstahl‹«, übersetzte Grunt. »›Ich bin Krieger. Ich gehöre den Kleinen Steinen an. Ich gehöre den Kaiila an.‹«
»Tal«, sagte ich. »Ich bin Tarl Cabot.«
»Wopeton«, sagte Grunt und deutete auf mich. »Hou. Hou, Kola.« Dann wandte er sich an mich. »Dein Name hätte diesen Kriegern nichts bedeutet. Ich habe dich deshalb ›Wopeton‹ genannt, das bedeutet ›Händler‹ oder ›Kaufmann‹. Ich habe dem Anführer außerdem deine Grüße übermittelt.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
Im folgenden gebe ich das Wesentliche des Gesprächs in freier Übersetzung als direkte Rede wieder.
»Wie ich schon vermutete«, sagte Canka zu mir, »hast du diesen gemeinen Gefangenen befreit.«
»Er hat überlebt und ist stark«, antwortete ich. »Er ist ein Kaiila wie du. Respektiere ihn.«
»Er war der Sklave weißer Männer.«
»Jetzt ist er frei.«
»Er wollte keine Waffen führen. Er wollte nicht mit auf den Kriegspfad.«
»Ich hatte keinen Zwist mit den Fliehern«, warf Cuwignaka ein.
»Wir steckten ihn in das Kleid einer Frau und nannten ihn Cuwignaka«, fuhr Canka fort. »Er machte den Isbu Schande.«
»Ich hatte keinen Zwist mit den Fliehern.«
»Die Kaiila haben Zwist mit den Fliehern, und du bist ein Kaiila-Krieger«, beharrte Canka.
»Die Flieher haben mir nichts getan.«
»Dein Großvater wurde von Fliehern getötet.«
»Dafür töteten wir andere Flieher.«
»Wie hast du nur wagen können, in das Ödland zurückzukehren?« fragte Canka.
»Er wurde hierhergeschleppt«, sagte ich. »Die weißen Soldaten brachten ihn gegen seinen Willen mit.«
»Sie brachten mich hierher«, sagte Cuwignaka. »Aber ich wäre auch so gekommen.«
»Warum?« fragte Canka.
»Weil ich ein Kaiila bin«, sagte Cuwignaka stolz. »Und das nicht weniger als du!«
»Hältst du dich für einen Mann?«
»Ich bin ein Mann!«
»Du trägst aber keinen Lendenschurz. Dir würden in unserem Lager die Aufgaben einer Frau zugewiesen.«
»Ich bin keine Frau.«
»Du trägst keinen Lendenschurz, ebensowenig wie die anderen.« Und sein Blick fiel auf Grunt und mich.
»Ein Meter Stoff entscheidet in meinem Land nicht über die Männlichkeit«, sagte ich. »Ganz im Gegenteil zum Ödland, wo sie allein davon abhängt, ob ein Krieger einen Lendenschurz trägt. Das finde ich billig, denn dann kostet sie nicht mehr als ein Streifen Tuch!«
»Das stimmt nicht!« sagte Canka zu mir.
»Vorsicht!« mahnte Grunt.
»Der Lendenschurz ist nicht identisch mit der Männlichkeit«, sagte der junge Krieger. »Sie ist nur ihr äußeres Zeichen.«
»Cuwignaka ist ein Mann«, sagte ich, »und ihr gestattet ihm nicht, das Tuch zu tragen!«
»Dein Glück, daß du kein Krieger bist«, sagte Canka.
»Akicita hemaca!« sagte ich zornig in seiner Sprache und schlug mir vor die Brust. »Ich bin Krieger!«
»Nimm dich in acht, laß dich nicht in das Coup-System ziehen!«
Canka lehnte sich auf dem Rücken seiner Kaiila zurück. »Ich weiß nicht, ob du Krieger bist oder nicht«, sagte er. »Aber vielleicht hast du recht. Du hast immerhin Cuwignaka befreit. Du mußt also ein mutiger Mann sein. Canka zollt dir seinen Respekt.«
Ich war verwirrt. Eine solche Einstellung hatte ich nicht erwartet.
»Habt ihr ihn angepflockt?« fragte ich den jungen Krieger.
»Es waren Kaiila«, antwortete Canka vorsichtig.
»Es war Hei mit seinen Genossen von den Sleensoldaten, aus der Isbu-Bande, der Sohn Mahpiyasapas, des Friedenshäuptlings der Isbu!« sagte Cuwignaka.
»Dann also nicht Canka und seine Kampfkameraden?« fragte ich.
»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Aber es waren Canka und Hei mit den Kampfkameraden und den Sleensoldaten, die mich in das Frauenkleid steckten und mich später als Sklave an die Staubfüße verkauften. Damit folgten sie einer Entscheidung des Rates der Isbu, unter dem Vorsitz Mahpiyasapas.«
»Canka«, sagte ich auf goreanisch zu Cuwignaka, »scheint wegen deiner Befreiung nicht gerade bekümmert zu sein.«
»Nein«, sagte Cuwignaka.
»Du trägst das Kleid einer Frau«, sagte Canka plötzlich aufbrausend zu dem anderen. »Und du stützt dich auf eine Lanze der Kaiila! Gib sie mir!«
»Du selbst hast sie neben mir in den Boden gesteckt, als du mich angepflockt fandest. Und zwar intakt und nicht zerbrochen. Und du warst es, der das Kleid, das Hei neben mir hingeworfen hatte, aufnahm und um den Schaft wickelte.«
Canka antwortete nicht sofort. Durch die Lanze hatte er auf auffällige Weise die Stelle gekennzeichnet, an der der Junge festgebunden lag, beinahe wie mit einer Flagge. Grunt und ich hatten das Signal sofort bemerkt, als wir diesen Teil des Schlachtfeldes erreichten. Vielleicht war es auch mehr als ein Signal.
»Gib mir die Lanze!« forderte Canka.
»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Du hast sie neben mir in den Boden gesteckt, und sie ist nicht gebrochen. Wenn du sie haben willst, mußt du sie mir abnehmen.«
»Das werde ich nicht tun«, sagte Canka. »Du wurdest befreit. Jemand muß dafür bezahlen.« Sein Blick ruhte auf mir.
»Er ist mein Freund«, sagte Cuwignaka.
»Ich bin Anführer dieses Trupps«, sagte Canka. »Jemand muß mir büßen!«
»Ich werde dafür bezahlen«, sagte Cuwignaka.
»Was hier geschuldet wird«, sagte Canka, »kannst du nicht bezahlen.«
»Ich werde bezahlen«, beharrte Cuwignaka.
»Nicht du mußt bezahlen«, sagte Canka, »sondern ein anderer.«
»Ich bin Krieger«, sagte ich zu Canka, »und verlange mein Recht auf einen Kampf.«
»Ich will dich nicht töten«, sagte Canka.
Diese Antwort überraschte mich. Ich hatte den Eindruck, als brächte Canka mir eine ungewöhnliche Rücksicht entgegen. Wegen der Tauschwaren hatte er mich vor Akihoka und Keglezela beschützt. Jetzt wollte er offenbar vermeiden, sich mit mir auf einen Kampf einzulassen. Er hatte keine Angst vor mir, soviel war klar. Sicher vermeinte er mich töten zu können. Als roter Krieger hielt er sich jedem Weißen im Einzelkampf für überlegen. Weiße waren nicht einmal im Coupsystem berücksichtigt. Gleichwohl hatte er seinen Respekt vor mir zum Ausdruck gebracht; er sah mich also auch als nicht zu geringwertig an, überhaupt für einen Kampf in Frage zu kommen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Grunt auf goreanisch zu mir.
»Ich auch nicht«, gab ich zurück.
»Er scheint dir gar nicht zu grollen.«
»Nein.«
»Jemand muß dafür bezahlen«, sagte Canka.
»Dann müssen wir kämpfen«, sagte ich und trat zurück.
»Ich kann nicht gegen dich kämpfen«, sagte Canka, »aus einem Grund, den du nicht verstehen wirst. Für diese anderen aber, meine Freunde, die Kampfgefährten, gilt dieser Grund nicht.« Mehrere seiner Begleiter griffen daraufhin zu ihren Lanzen. Ihre Kaiila, die die Erregung spürten, begannen sich unruhig zu bewegen.
»Ernenne einen Champion gegen mich«, sagte ich. »Ich werde ihn bekämpfen, und dann auch jeden anderen, sollte ich Erfolg haben.«