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»O doch!« widersprach Kog. »Nur halten sie beides für real.«

»Bitte fahr fort!« bat ich.

»Hier, in seinem Traum«, sagte Kog und deutete auf eine Reihe von Piktogrammen, die einer kleinen Spirale folgten, »sehen wir, daß der Kailiauk den Mann zu einem Mahl einlädt. Vermutlich ein günstiges Vorzeichen. Zu dem Fest in das Haus des Kailiauk aber kommt ein schwarzer Gast. Seine Umrisse sind verwischt, wie du siehst. Der Mann hat Angst. Er spürt große Macht in dem schwarzen Gast. Der Kailiauk beruhigt den Mann, er brauche keine Angst zu haben. Der Mann nimmt aus den Händen des schwarzen Gastes Fleisch entgegen. Es soll sein Verbündeter und Beschützer sein. Er kann es als Medizin einnehmen. Der Mann erwacht. Er hat große Angst vor dieser seltsamen Medizin. Der Traum ist aber sehr stark, und er weiß, daß er nicht darum herumkommt. Von nun an weiß er, daß seine Medizin mit dem geheimnisvollen schwarzen Gast gleichzusetzen ist.«

»Von woher kam nach Auffassung des Mannes diese heilende Medizin?« fragte Samos.

»Gewiß nahm er an, er erhielt sie aus der Medizinwelt«, antwortete Kog.

»Das scheint mir ein interessanter Vorahnungstraum zu sein«, äußerte ich.

»Der Traum ist gewiß vieldeutig«, sagte Samos. »Siehst du? Die Umrisse des schwarzen Gastes sind undeutlich.«

»Das stimmt«, sagte ich. »Trotzdem scheinen seine Größe, seine Schrecklichkeit, seine Macht deutlich zu werden – besonders bei dem Fest.«

»Du bemerkst sicher auch«, fuhr Kog fort, »daß er hinter dem Feuer sitzt. Das ist der Ehrenplatz.«

»Könnte alles nur Zufall sein«, meinte Samos.

»Richtig«, sagte ich. »Trotzdem ist das alles sehr interessant.«

»Natürlich sind auch andere Erklärungen möglich«, fuhr Samos fort. »Vielleicht hat der Mann schon früher einmal solche Dinge gesehen oder von ihnen gehört und sie wieder vergessen.«

»Das erscheint mir durchaus möglich«, sagte ich.

»Aber warum sollte dann der schwarze Gast im Traum erscheinen, in diesem Traum?« wollte Samos wissen.

»Möglicherweise wegen der Not des Mannes, wegen der Gefahr, in der er sich befindet«, vermutete ich. »In einer solchen Situation könnte er sich einen mächtigen Helfer wünschen. Und der Traum könnte einen herbeigerufen haben.«

»Natürlich!« sagte Samos.

»In Anbetracht der Ereignisse des nächsten Tages«, meinte Kog, »erscheinen gewisse andere Erklärungen doch mehr auf der Hand zu liegen. Damit soll natürlich nicht ausgeschlossen sein, daß der Mann in seiner Verzweiflung und Not nicht doch einen mächtigen Verbündeten willkommen geheißen hätte.«

»Worauf willst du hinaus?« fragte ich.

»Daß er schon früher, im Lauf des Tages, Zeichen des Medizinhelfers wahrgenommen hatte, die er aber erst im Traum interpretierte.«

»Verstehe«, sagte ich.

»Noch plausibler erschiene mir«, warf Kog ein, »daß der schwarze Gast im mondhellen Schnee dem Mann tatsächlich erschien. Der Mann, hungrig, erschöpft, den Traum suchend, zwischen Schlafen und Wachen schwebend, ohne richtig mitzubekommen, was sich da tat, sah ihn. Dann baute er ihn in seinen Traum ein und deutete ihn, so gut er ihn begreifen konnte.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte ich.

»Man muß es doch als unwahrscheinlich bezeichnen«, wandte Samos ein, »daß sich die Wege des Mannes und des Helfers in der weglosen, schneebedeckten Weite des Ödlandes kreuzen würden.«

»Nicht, wenn beide dem Kailiauk gefolgt wären«, meinte Kog.

»Warum soll der Medizinmann den Mann nicht aufgefressen haben?« wollte ich wissen.

»Weil er vielleicht den Kailiauk jagte, nicht den Mann«, antwortete Kog. »Weil er vielleicht Sorge hatte, daß andere Menschen ihn verfolgen und töten würden, wenn er einen Menschen umbrachte.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Außerdem schmeckt Kailiauk besser als ein Mensch«, fügte Kog hinzu. »Ich habe beides schon gegessen.«

»Ah«, sagte ich.

»Wenn der Helfer den Mann besucht hätte«, fragte Samos, »müßte es dann nicht Spuren im Schnee geben?«

»Zweifellos«, sagte Kog.

»Und gab es welche?« wollte Samos wissen.

»Nein«, erwiderte Kog.

»Dann war alles nur ein Traum.«

»Das Fehlen von Spuren würde für den Mann ein Beweis sein, daß der Helfer aus der Medizinwelt kam«, sagte Kog.

»Natürlich«, pflichtete ihm Samos bei.

»Dementsprechend würde der Mann nicht nach Spuren suchen.«

»Du hast also die Hypothese«, vermutete Samos, »daß solche Spuren existierten.«

»Selbstverständlich«, sagte Kog, »die dann in der Nähe des Lagers fortgefegt wurden.«

»Aus der Sicht des Mannes wäre also der schwarze Gast mit der Verstohlenheit und Rätselhaftigkeit eines Besuchers von der Medizinwelt aufgetaucht und wieder verschwunden«, sagte Samos.

»Ja«, äußerte Kog.

»Interessant.«

»Völlig klar ist, wie der Mann die Situation sah«, sagte Kog, »ob er nun recht hatte oder nicht. Auf ähnliche und unbestreitbare Weise klar sind die Ereignisse des nächsten Tages: Sie sind eindeutig dargestellt.« Mit seinen beweglichen sechsgliedrigen langen Fingern drehte er das Leder um ein Viertel und setzte die Geschichte fort.

»Am nächsten Morgen nahm der Mann, beflügelt durch den Traum, seine Jagd wieder auf. Es begann zu schneien.« Ich bemerkte die Punkte zwischen der flachen Ebene der Erde und dem Halbkreis des Himmels. »Durch Schnee und Wind wurden die Spuren verwischt. Trotzdem gab der Mann nicht auf; er kannte die Richtung, die der Kailiauk genommen hatte, und folgte im übrigen den natürlichen Konturen des Landes, so wie es auch ein langsam dahinwanderndes Tier tun mochte, das hier und dort auf der Suche nach Wurzeln oder Gras den Schnee aufwühlte. Er hatte keine Sorge, die Spur zu verlieren. Wegen seines Traums blieb er zuversichtlich. Auf Skiern kam er im Schnee schneller voran als der Kailiauk. Über lange Strecken kam er bei solchem Schnee sogar an das Tempo dahinwatender Kaiila heran. Überdies sind die Kailiauk, wie du weißt, bei Nacht selten unterwegs.«

Bei den fraglichen Kailiauk handelte es sich übrigens um die Gattung, die im Ödland anzutreffen war, ein großes gefährliches Tier, das an den Schultern oft zwanzig, fünfundzwanzig Hand groß ist und bis zu viertausend Pfund wiegen kann. Gejagt wird es nur selten zu Fuß, außer bei tiefem Schnee, der es praktisch hilflos macht. Vom Rücken einer Kaiila dagegen, neben dem angstvoll galoppierenden Tier herreitend, kann ein erfahrener Jäger mit einem einzigen Schuß zum Ziel kommen. Er reitet dicht an das Tier heran, knapp einen Meter von seiner Flanke entfernt, sich außerhalb der Reichweite des Dreizacks haltend. Auf diese Entfernung kann der Armbrustbolzen bis zu den Flugfedern einsinken. Das Ziel ist idealerweise die Höhlung des Unterleibs hinter der letzten Rippe oder ein Punkt dicht hinter dem linken Schulterblatt, wo das achtkammrige Herz getroffen wird.

»Zur Mittagsstunde«, berichtete Kog, der langsam das Leder drehte, »sehen wir, daß das Wetter aufgeklart hat. Der Wind ist schwächer geworden, es hat zu schneien aufgehört. Die Sonne ist hinter den Wolken hervorgekommen. Wir können daraus schließen, daß es ein strahlender Tag ist. Wahrscheinlich ist auch bereits die Temperatur gestiegen. Wie wir sehen können, hat der Mann seinen weitärmeligen Jagdmantel geöffnet und seine Pelzmütze abgesetzt.«

»Bevor ich dieses Leder sah«, sagte Samos, »war mir nicht bekannt, daß die Wilden solche Dinge tragen.«

»Das tun sie«, sagte Kog. »Im Ödland ist der Winter streng, und man jagt nicht in dünner Bekleidung.«

»Hier«, sagte Samos, »legt sich der Mann nieder.«

»Nein, er überquert eine Anhöhe«, berichtete Kog, »und zwar sehr vorsichtig.«

Ich nickte. Es ist nicht ratsam, vor dem Himmel eine Silhouette zu bilden. Aus solchem Winkel ist eine Bewegung nicht schwer auszumachen. Ähnlich sinnvoll ist es, sich ein Terrain zunächst gründlich anzusehen, ehe man es betritt. Diese Arbeit, diene sie nun der Stammeswanderung oder einem Kampfvorstoß, wird im allgemeinen von Kundschaftern getan. Ist ein Mann allein unterwegs, muß er natürlich sein eigener Kundschafter sein. So kommt es vor, daß einsame Reisende oder kleine Gruppen offene Flächen ohne Deckung meiden, soweit das möglich ist. Beim Ritt durch offenes Gelände wird übrigens oft mit einem Trick gearbeitet: Man legt ein Kailiauk-Fell um und beugt sich flach über den Hals seiner Kaiila. Aus der Entfernung, besonders wenn man die Kaiila stillstehen läßt, wird man dann vielleicht für ein einziges Tier gehalten, einen einsamen Kailiauk.