Heraneilende Schritte ließen sie verstummen. Ein junger Zwerg kam die Treppe hinab, die zur Empore im Amethystsaal führte. »Herrin, das Gebot liegt bei einundvierzigtausend. Wie es scheint, will das keiner mehr überbieten.«
Skorri atmete schwer aus. »Ist das wahr? Einundvierzigtausend Goldkronen! Damit kann man ein ganzes Heer aufstellen und ausrüsten.«
»Erhöhe für mich das Angebot auf fünfzigtausend«, sagte Amalaswintha ruhig. »Ich möchte nicht, dass dieses Schmuckstück in die Hände von Männern gerät, die damit nur eines im Sinn hätten.« Sie bedachte die umstehenden Zwerge mit einem spöttischen Lächeln. »Ihr denkt nur an Kriege. Dabei würde dieses Gold doch auch reichen, um eine neue Stadt irgendwo in der Wildnis zu gründen. Vielleicht sollten wir das tun. All dem hier den Rücken kehren und von vorne beginnen. Die Magie dort suchen, wo sie am lebendigsten ist – in der Natur.«
Nandalee war sich unsicher, ob Amalaswintha das nur sagte, um die übrigen Zwerge zu beschämen, oder es wirklich so meinte.
»Glaubst du nicht auch, dass die Zeit gekommen ist, für einen Krieg zu rüsten?« Amalaswintha nickte in Richtung des Amethystsaals. »Sie alle sind davon überzeugt.«
Alle Augen ruhten nun auf Nandalee. Was sollte sie tun? Sie konnte doch einem Krieg gegen die Drachen nicht das Wort reden. Aber wenn sie es nicht täte, würde sie sich verdächtig machen. »Ich glaube, den Weisen erkennt man daran, welche Schlachten er ausficht und welche er meidet.« Sie hoffte, es mit dieser Antwort jedem recht gemacht zu haben. Jedenfalls hatte sie sich damit nicht festgelegt.
Während einige der Zwerge beifällig nickten, blitzte in Amalaswinthas Augen der Schalk. »In der Ehernen Halle gibt es auch Weise? Ein Tag voller Überraschungen!«
»Wie Hornbori bewiesen hat, sind auch Drachen sterblich. Was das angeht, werden sich die Himmelsschlangen gewiss nicht von der übrigen Brut unterscheiden«, erklärte Skorri kämpferisch.
»Wie viele Zwerge waren eigentlich nötig, um den großen Drachen zu erlegen?«, fragte Nandalee.
»Drei! So göttlich sind sie, die Drachen.« Skorri lächelte grimmig. »Hornbori, Galar und Nyr. Aber viel aufwendiger, als einen Drachen zu töten, ist die Logistik, die dahintersteckt. Eine ganze Flotte von Aalen musste zusammengestellt werden, um das erforderliche Material zu transportieren und die Beute wieder zurückzubringen.«
Damit waren die Namen der Drachenmörder bestätigt, dachte Nandalee zufrieden. Vielleicht könnte sie auch noch herausfinden, wo die drei in diesem Labyrinth aus Tunneln zu finden waren. Skorri hörte sich gerne reden, wie es schien. Wenn sie das Gespräch noch ein wenig fortführte, vermochte sie vielleicht auch die letzten Informationen aus ihm herauszulocken. »Was mir offen gestanden Sorge bereitet, ist die Frage, wie die Alben es aufnehmen, wenn wir uns gegen die Himmelsschlangen wenden. Die Himmelsschlangen sind die Statthalter der Alben. Wenn wir uns gegen sie erheben, müssen die Alben das nicht so verstehen, dass wir auch ihnen den Krieg erklärt haben? Haben sich Hornbori und die anderen Gedanken darüber gemacht? Ehrlich gesagt, würde ich mit den dreien gerne einmal reden.«
Skorri blickte sie an, als habe er gerade in eine vergammelte Wurst gebissen. »Das ist doch absurd. Warum sollten die Alben …«
»Ganz und gar nicht!«, unterbrach ihn Amalaswintha scharf. »Auch ich habe dich bereits auf diese Gefahr hingewiesen und dich gebeten, dies im Rat zur Sprache zu bringen, wo ich keinen Zutritt habe.«
Skorri war das Thema sichtlich unangenehm. »Meine Liebe, ich sagte dir doch, dass ich dort nicht in den Verdacht geraten darf, dein Sprachrohr zu sein. Es ist allein die Sache von Männern …«
»Genug!«, unterbrach ihn Amalaswintha scharf. »Das haben wir wirklich oft genug besprochen. Ich frage mich, welchen Nutzen du für mich hast, wenn du nicht gewillt bist, mich im Rat zu vertreten.«
Nandalee hatte den Eindruck, dass bei diesen Worten noch etwas Unausgesprochenes mitschwang. Jedenfalls lief der Ratsherr rot an, während die übrigen Anwesenden schadenfroh grinsten.
»Mein lieber Skorri, du kennst mich als eine Freundin des offenen Wortes. Ich hoffe, du weißt diese Offenheit auch zu schätzen, wenn sie dich betrifft. Ich habe in der Vergangenheit große Hoffnungen in dich gesetzt. Während Hornbori von Drachen träumte, habe ich deinen Traum geteilt und erhebliche Mittel aufgewendet, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen. In zwei Tagen werden wir sehen, ob es klüger gewesen wäre, mich an Hornbori zu halten. Ich hoffe sehr, dass dein Freund hier uns helfen wird, unsere letzten Probleme zu lösen. Er soll mich begleiten.« Sie wandte sich Nandalee zu. »Und du, Arbinumja aus der Ehernen Halle, wohin soll dein Weg dich führen? Von welcher Zukunft träumst du? Bist auch du ein Mann mit Visionen?«
»Ich bin hier, um nach der Magie zu greifen. Ich werde jedem Weg folgen, der mich zu ihr führt«, entgegnete Nandalee und blickte auf all die silbernen Kisten und Kästen, in denen die Überreste des Kadavers ihres Lehrers verwahrt wurden. Sie waren Narren, die Zwerge! Da waren sie einem wahrhaft großen Zauberweber begegnet, und alles, was ihnen einfiel, war ihn zu töten. So würden sie niemals finden, wonach sie suchten.
»Dann sehen wir einmal, ob deine Möglichkeiten reichen, Träume wahr werden zu lassen.« Sie wandte sich ab und ging zum Ausgang. Ohne sich umzublicken, schnippte sie mit den Fingern. »Komm, sei ein braves Hündchen und folge mir.«
»Du solltest gehen«, raunte ihm Skorri zu. »Du möchtest sie nicht erleben, wenn sie zornig ist.«
Nandalee sah den Ratsherren überrascht an. Sie hätte erwartet, in ihm von nun an einen erzürnten Nebenbuhler zu haben. Stattdessen wirkte er besorgt. »Geh!«, sagte er noch einmal, drängender nun. »Du bist nun in ihrer Hand.«
Gerüchte
Galar verabscheute das Gedränge und den Pomp. Hinter sich hörte er Hornbori laut auflachen. Der Aufschneider war ganz in seinem Element. Hatte tatsächlich er diesem weißen Drachen den Todesstoß versetzt? Galar konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieser händeschüttelnde Windbeutel wahrhaftig eine Heldentat vollbracht haben sollte.
Der weite Amethystsaal erschien dem Schmied jetzt bedrückend eng. Er hasste es, inmitten einer Menge eingekeilt zu sein. Dutzende klopften ihm anerkennend auf die Schulter. Zwerge, die er noch nie gesehen hatte, führten sich auf, als seien sie seine Freunde. Schweiß stand Galar auf der Stirn und brannte auf der dünnen, roten Haut seines Gesichtes, in das der Drachenodem geschlagen war. Er musste hier heraus! Noch ein blöder Witz, noch ein Spruch über das Drachentöten und er würde jemanden erschlagen. Sahen sie denn nicht, was kommen musste? Dieser weiße Drache war zu groß gewesen! Sein Verschwinden würde auffallen! Seine Brüder würden ihn rächen. Statt zu feiern, sollte man sich besser auf einen Kampf mit den Drachen vorbereiten. Und mit deren niederträchtigen Meuchlern, den Drachenelfen. Sie würden kommen, daran gab es für Galar keinen Zweifel. Und sie würden sich in der Tiefen Stadt eine blutige Nase holen.
»Du siehst aus, als wolltest du gleich jemanden umbringen.« Hornbori war plötzlich aus der Menge erschienen und drückte ihm einen Pilzhumpen in die Hand. »Trink«, fügte er leiser hinzu, »das beruhigt das Gemüt.«
»Ich will mich nicht beruhigen«, entgegnete Galar streitlustig und so laut, dass es alle ringsherum hören konnten.
»Er hat die schrecklichen Ereignisse noch immer nicht ganz verarbeitet«, erklärte Hornbori mit einem breiten Lächeln den Umstehenden, packte ihn am Ellbogen und zog ihn mit sich.
»Was für Lügen verbreitest du über mich?« Galar hatte nicht übel Lust, dem Aufschneider sein blasiertes Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Sollten alle sehen, was für eine Sorte Held Hornbori war, wenn er wimmernd und Zähne spuckend auf dem Boden lag. Die Vorstellung entspannte Galar ein wenig. Der Anflug eines Lächelns spielte um seine verkrusteten Lippen. Warum eigentlich nicht? Eine muntere Schlägerei tat immer gut.