»Na also, du lernst es auch noch«, zischte Hornbori. »Bei Anlässen wie diesem muss man immer lächeln, ganz gleich was geschieht. Kuck nicht so. Weiterlächeln!«
Er würde damit anfangen, dem Mistkerl das Pilz ins Gesicht zu schütten, dachte Galar. Darauf musste Hornbori reagieren. Das wäre ein guter Auftakt. Nicht einmal Hornbori konnte so eine Demütigung mit ein paar Worten abtun. Ein Zwerg, der etwas auf sich hielt und von anderen respektiert werden wollte, konnte darauf nur mit den Fäusten antworten.
»Ich werde demnächst für einige Zeit fortmüssen«, eröffnete Hornbori ihm im Flüsterton und schob ihn weiter vor sich her. »In ein paar Tagen ist es so weit und …« Er hielt inne und schüttelte ein paar Hände von Gesandten, die, nach ihren merkwürdig gezwirbelten Schnauzbärten zu urteilen, aus einer der Städte unter den Mondbergen stammen mussten.
Hornbori wurde erstaunlich schnell mit ihnen fertig, ohne dabei unhöflich zu werden. Das war seine Welt. Galar entschied, dass sich für eine zünftige Prügelei auch später noch ein Anlass finden ließe. Er musste erst wissen, wohin der Schisser reisen wollte. Und vor allem, warum. Er hatte einen Verdacht, und sollte sich der bestätigen, würde er Hornbori in einen Zustand versetzen, der es ihm unmöglich machte, in einem der Aale zu reisen.
Hornbori bugsierte ihn durch die Menge. Endlich gelangten sie durch ein weites Portal in eine der angrenzenden Gildenhallen. Ein prächtiger Bilderfries, der Schmiede bei der Arbeit zeigte, erstreckte sich über die Stirnwand. Die Decke war weit weniger hoch als im Amethystsaal. Holzkohle glomm dunkelrot in flachen Gruben, die in den Boden eingelassen waren. Unstetes Licht tanzte über die Wände. Galar atmete tief durch. Auch hier hielten sich einige Dutzend Zwerge auf, aber das war kein Vergleich zum Gedränge in der großen Halle, der sie entflohen waren.
Hornbori winkte flüchtig einer Gruppe von Schmieden, dann wandte er sich wieder ihm zu. »Sie hauen ab«, flüsterte er.
Galar runzelte die Stirn und zuckte zusammen. Es hatte sich angefühlt, als wolle sich seine Haut aufs Neue von der Stirn schälen. »Von wem redest du?«
»Die Familien des Rates. Die Sippe des Herrschers in der Tiefe. Alle, die Rang und Namen und genügend Gold haben. Kein Aal verlässt den Hafen mit Drachentrophäen, ohne auch ein paar Mitglieder prominenter Familien an Bord zu haben. Sie fürchten, dass die Drachen die Elfen schicken werden. Die Meuchler werden sicherlich ein Gemetzel anrichten. Es wird fürchterlich werden und …«
»Und du willst dich rechtzeitig verpissen, nicht wahr?« Das war genau, was er zu hören erwartet hatte. Aber so würde es nicht kommen. Dieser …
»Nein, verdammt. Ich will bleiben. Du musst mit mir eine Schlägerei anfangen. Verprügel mich. Wenn ich nicht reisefähig bin, kann ich bleiben. Aber schlag nicht zu fest zu, wenn es geht. Und brich mir nicht die Nase. Ich …«
Galar wäre fast der Pilzhumpen aus der Hand gefallen. »Ich soll was? Dich verprügeln?« Das musste ein Scherz sein. Der Schisser verarschte ihn doch!
»Jeder weiß, dass du cholerisch bist und wir uns nicht gut verstehen, obwohl wir gemeinsam auf Drachenjagd gehen. Niemand wird sich wundern, wenn du mich …«
»Vergiss es. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?« Galar hatte seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Er würde dem Drecksack niemals einen Gefallen tun, und wenn es ihn auch noch so sehr in den Fingern juckte. »Wie kommst du darauf, dass die Elfen kommen werden?«
Hornbori sah sich misstrauisch um. »Lass uns weitergehen. Es ist besser, wenn wir nicht stehen bleiben. Niemand darf uns belauschen.« Er führte ihn aus der Gildenhalle in einen weiten Tunnel, in dem sie immer noch nicht allein waren. Galar staunte über die vielen fremden Trachten. Jetzt, bei weniger Gedränge, konnte er die Gesandten eingehender mustern. Aus allen Gegenden Albenmarks schienen sie hierhergekommen zu sein. Er erkannte Zwerge aus den Ehernen Hallen und aus Ishaven. Unglaublich, wie schnell sich die Kunde über die Versteigerung verbreitet hatte.
»Dir reicht es also nicht als Indiz, dass die Reichen und Mächtigen ihre Familien fortbringen lassen. Sagt dir der Name Hannar etwas?«
Galar nickte. »Einer unserer erfahrensten Jäger. Nyr kennt ihn ganz gut.«
»Würdest du ihn einen Schisser nennen, so wie mich?« Ein süffisantes Lächeln begleitete Hornboris Worte.
»Im Gegensatz zu dir hat sich Hannar diesen Titel nicht verdient.«
Hornbori sah ihn auf eine Art an, die Galar bei ihm noch nicht kannte, verletzt und wütend, aber er ging mit keinem Wort auf die Beleidigung ein. »Gestern habe ich Hannar getroffen. Er war völlig außer sich. Er meinte, etwas sei im Wald, oben auf dem Berg. Geister!«
Galar nahm einen Schluck aus seinem Humpen. Er glaubte nicht an Geister. Bisher hatte er Hannar für einen vernünftigen Kerl gehalten. Wie man sich täuschen konnte!
»Es ist nicht so, wie du denkst«, empörte sich Hornbori. »Da gab es keine durchscheinenden Gestalten oder ähnlichen Humbug aus Kindermärchen. Es war … Eine gut getarnte Falle ist ausgelöst worden, aber es fand sich keine Spur. Auch nicht von Wildtieren. Und er sagt, er habe Stimmen im Wind gehört. Wie Gesang. Aber es sei niemand dort gewesen. Und er erzählte mir von einer Lichtung, auf der ein riesiger Felsfinger aus dem Boden ragt. Als er mit seiner Patrouille dorthin kam, sei es weder ihm noch irgendeinem seiner Kameraden möglich gewesen, zum Felsen zu blicken. So als habe eine unsichtbare Macht ihnen die Köpfe verdreht.«
Galar konnte nicht länger an sich halten. Er lachte laut auf. »Eine unsichtbare Macht hat ihnen die Köpfe verdreht! Hörst du eigentlich, was du redest? Was hat Hannar getrunken, bevor er hinaus in den Wald gegangen ist?«
»Alle Männer aus seiner Patrouille reden davon!«, beharrte Hornbori. »Etwas stimmt da oben im Wald nicht.« Er verdrehte die Augen zur unregelmäßigen Decke des Tunnels, als könne er durch Hunderte Schritt massiven Granits bis hinauf zum Wald blicken. »Da oben ist es nicht mehr geheuer. Ich weiß von Nyr, dass du daran gedacht hast, Hannar auf die nächste Drachenjagd mitzunehmen.«
»Was ich mir jetzt gut überlegen werde …«
»Sei nicht so verbohrt! Wo ist der Galar mit seinen großen Visionen? Der Schmied, der es wagt, Dinge zu tun, die andere nicht einmal erträumen! Warum sollte Hannar plötzlich ein anderer sein? Akzeptiere doch einfach, dass dort oben etwas vor sich geht. Im Wald sind Zauberweber. Elfen sind dort oben! Und es kann nur einen Grund geben, warum sie hierherkommen. Sie wollen Rache für den Weißen Drachen üben.«
Galar wollte über seinen Bart streichen, wie er es oft tat, wenn er tief in Gedanken war, aber er griff ins Leere. Ärgerlich kratzte er über die kümmerlichen Stoppeln auf seinen verbrannten Wangen. Er würde es nicht zugeben, aber ganz unrecht hatte Hornbori nicht. Hannar war nie ein Spinner gewesen. Wenn ein gestandener Zwerg wie er seltsame Geschichten erzählte, sollte man das nicht einfach abtun, sondern der Sache auf den Grund gehen.
Hornbori wies zu einem Seitentunnel, der vom Hauptgang abzweigte. Nach ein paar Schritten waren sie endlich allein. Es war ein kühler, ungemütlicher Ort. Die Laternen standen hier in sehr weiten Abständen in den Wandnischen. In der Ferne hörte Galar Wasser rauschen. Der Hafen war nicht mehr fern.
Hornbori hielt das Schweigen nicht länger aus. »Wir sollten hinauf in den Wald und herausfinden, was dort vor sich geht«, platzte es aus dem Großmaul heraus.
Galar grunzte abfällig. »Und du willst einmal König sein? Unser Volk anführen?«
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Eine ganze Menge. Stell dir vor, dort oben laufen wirklich Zauberweber der Elfen herum … Drachenelfen. Die schneiden dir so schnell die Kehle durch, dass du gar nicht mitbekommst, dass sie dir die Klinge an den Hals gesetzt haben. Mal angenommen, sie können tatsächlich einen Zauber wirken, mit dem sie uns zwingen können, nicht an einen bestimmten Ort zu blicken – und ich sage jetzt nicht, dass ich Hannar glaube, es ist nur ein Gedankenspiel –, dann bringen sie dich um, ohne dass du auch nur gemerkt hast, wie sie in deine Nähe kommen. Was gewinnen wir also, wenn wir dort hinaufgehen?«