»Gut, dass du die Schlachtreihe gehalten hast«, sagte der Unsterbliche und klopfte Ashot auf die Schulter. »Du, Narek, bleibst dicht bei mir. Alle sollen wissen, dass ich dort bin, wo der goldene Löwe steht.« Aaron nickte ihm anerkennend zu. »Du bist ein tapferer Mann, Narek aus Belbek. Ich bin stolz, an deiner Seite zu stehen.«
Narek seufzte. Der Unsterbliche hatte sich seinen Namen gemerkt. Unter all diesen Männern! Hätte das nur Rahel hören können! Sie würde ihm niemals glauben, wenn er das erzählte. Niemand im ganzen Dorf würde diese Geschichte glauben! Aber er würde sie trotzdem erzählen.
»Hör auf, so dämlich zu grinsen«, sagte Ashot mit einem Lächeln. »Das passt nicht zu einem Helden.«
»Meinst du, wir können ihn mit nach Belbek nehmen? Für eine Stunde vielleicht?«
Sein Freund runzelte die Stirn. »Wen?«
»Den Unsterblichen …« Die Worte waren kaum über seine Lippen, da bereute er sie und begriff, was für einen Narren er gerade aus sich machte. »Ich meine … Keiner wird uns glauben. Das ist doch …« Er machte eine weit ausholende Geste zum Flussbett hin. »Das wird sich keiner im Dorf vorstellen können.«
Statt zu antworten, sah Ashot ihn nur mit weiten Augen an. Nein, er blickte leicht an ihm vorbei. Narek wandte den Kopf. Der Unsterbliche stand hinter ihm. Er hatte alles gehört.
»So sei es«, sagte er majestätisch. »Wenn dieser Tag vorüber ist, werde ich mit euch beiden nach Belbek gehen und von euren Heldentaten berichten, auf dass es niemals jemand wage, euch Lügenmäuler zu nennen. Doch jetzt helft mir, diese Schlacht zu gewinnen.«
Ein junger Höfling drängte sich durch die Reihen der Krieger und reichte dem Unsterblichen dessen Löwenhelm. Aaron setzte ihn auf, und sein menschliches Antlitz verschwand hinter der Fratze des Raubtiers. Aaron bückte sich und hob den Schild eines Toten auf. Dann hieb er mit seinem Schwert auf den bronzenen Schildbuckel. Es war eine trotzige Geste. Sie hatten gelitten, aber sie waren nicht geschlagen. Es brauchte mehr als ein paar graue Ungeheuer, um sie von der Böschung zu vertreiben. »Schildwall!«, rief der Unsterbliche. Seine Stimme klang dumpf durch das Metall.
»Schildwall«, rief nun auch Narek und hob einen Schild auf. Andere taten es ihm gleich, und auch sie schlugen mit der flachen Seite ihrer Schwerter auf die Schilde. Es war ein Lärm, der bis zum Götterhimmel zu hören sein musste.
»Schildwall!« Überall entlang der Uferböschung wurde der Ruf aufgenommen, und so weit Narek blicken konnte, schloss sich die Mauer aus Menschen wieder.
Keine Magie
Kurunta traute seinen Augen nicht. Er war skeptisch gewesen, ob der Einsatz der Elefanten ein Erfolg werden könnte, aber das, was sich dort unten im trockenen Fluss abspielte, überstieg seine schlimmsten Befürchtungen. Er sah es zwar nur verschwommen, aber die Elefanten waren so riesig, dass selbst ein halb blinder Greis sie nicht hätte übersehen können. Sie stoben auseinander und gebärdeten sich wie toll. Was Kurunta nicht erkennen konnte, war, warum es geschah. Er musste näher heran!
»Labarna! Ich brauche ein paar Schildträger und Bogenschützen!« Er winkte dem Hauptmann seiner Leibwache und stieg den Hügel hinab. Er würde selbst ins Flussbett hinabsteigen und nachsehen, was dort unten vor sich ging.
Ein Elefant stürmte ihm mit aufgestellten Ohren entgegen. Ein furchterregendes Ungeheuer mit einer schweren Bronzemaske, die von einem breiten Kamm rot gefärbten Rosshaars gekrönt wurde, hinter dem der Mahout, der Elefantenführer, im Nacken des Tieres saß. Der Treiber versuchte verzweifelt, das Tier mit seinem Haken zum Halten zu bringen. Er schlug die Eisenspitze immer wieder in Nacken und Hals des Elefanten. Bäche roten Blutes strömten über die zerfurchte Haut, doch das Tier schien es kaum zu bemerken. In den schwarzen Augen des Elefanten standen Panik und Entsetzen. Er hörte die verzweifelten Schreie des Treibers nicht, spürte dessen Hiebe nicht.
Kurunta beeilte sich, dem rasenden Ungeheuer aus dem Weg zu kommen. Es stürmte den Kolonnen entgegen, die dicht gedrängt hinter den Hügeln standen. Der Kriegsmeister fluchte. Nichts würde das Mistvieh aufhalten. Es würde vielleicht noch Dutzende Krieger zu Tode trampeln. Die Männer in den Angriffskolonnen könnten ihm kaum ausweichen. Wenn er je wieder Elefanten in eine Schlacht führte, würde er dafür sorgen, dass die Mahouts ein Mittel besaßen, die Untiere zum Halten zu bringen, wenn sie sich gegen ihre eigenen Leute wandten. Vielleicht einen Dolch oder besser noch einen scharfen Meißel, den die Mahouts mit einem kräftigen Hammerschlag zwischen die Nackenwirbel der Tiere treiben konnten. Das würde auch einen Elefanten aufhalten.
Labarna erreichte ihn mit einem Gefolge von Kriegern. Sofort hielten sie schützende Schilde vor ihn. Der Hauptmann seiner Leibwache bedachte ihn mit einem tadelnden Blick, weil er sich ohne Eskorte in die Nähe des Elefanten begeben hatte.
»Führ dich nicht auf wie eine Glucke, Labarna. Wir sind noch fast hundert Schritt von der feindlichen Schlachtlinie entfernt.«
»Aber ihre Bogenschützen, Herr!«
»Die haben jetzt anderes im Sinn, als auf einen halb verbrannten Krüppel zu schießen. Folgt mir!« Kurunta führte die Männer zur Uferböschung. Die Mehrzahl der Elefanten war außer Gefecht. Er sah, wie einige der Tiere mit ihren Rüsseln nach ihren Füßen tasteten.
Inzwischen waren die Plänkler Aarons vor die Schlachtlinie zurückgekehrt. Die wenigen Lücken, die die Elefanten in den Schildwall gerissen hatten, schlossen die Bauern bereits wieder. Nur auf dem linken Flügel, wo mehrere Tiere durchgebrochen waren, herrschte noch Unordnung. Und das würde sich auch nicht schnell ändern, dachte er mit aufkeimender Zuversicht. Er hätte mehr Plänkler zum Schutz der Elefanten abstellen sollen. Seine Bogenschützen und Speerwerfer schlugen sich zwar tapfer, aber sie würden bald aus dem Flussbett zurückgedrängt sein.
»Wir sollten nicht näher herangehen, Herr. Wir sind in Reichweite ihrer Bogenschützen.«
»Ich bin nicht Kriegsherr geworden, weil ich mich wegen ein paar Pfeilen anpisse«, entgegnete Kurunta unwirsch und stieg die Böschung herab. Er musste herausfinden, was dort unten geschehen war, sonst konnte er keine weiteren Angriffe führen. Er wollte nicht mit ansehen, wie die Angriffskolonnen auseinanderbrachen und in Panik gerieten.
Labarna nahm einem der Speerträger aus der Eskorte den Schild ab und beschirmte Kurunta damit, während die Bogenschützen auf der Böschung blieben und darüber wachten, dass ihnen niemand zu nahe kam. Die Schützen gehörten zur Leibgarde Muwattas und trugen knielange Schuppenpanzer aus Bronze. Ihr Haar war mit breiten, purpurnen Bändern zurückgebunden. Solche Krieger konnte Aaron einfach nicht aufbieten, dachte Kurunta stolz. Sie würden das Heer von Aram zerschmettern. Er hätte gleich mit seinen Speerträgern angreifen sollen.
Der Blick des Kriegsmeisters schweifte über das Flussbett. Einige Plänkler Aarons kauerten hinter einem toten Elefanten und schleuderten mit Lederschlingen Steine nach ihm, doch Labarna schützte ihn mit dem Schild, und die Bogenschützen sorgten schnell dafür, dass sich die Schleuderer nicht mehr hinter der Deckung des gefallenen Kriegselefanten hervorwagten.
Ein funkelnder Dorn im Sand erweckte die Aufmerksamkeit des Kriegsmeisters. Er bückte sich danach und zog eine der Fußangeln aus dem Sand. Vier dreikantige Stacheln, so gegeneinander versetzt, dass stets einer von ihnen nach oben wies, ganz gleich wie die Fußangel auf den Boden fiel. Kurunta war erleichtert. Insgeheim hatte er befürchtet, es sei irgendeine Art von Magie gewesen, die seine Elefanten verrückt gemacht hatte und vielleicht auch seine Krieger in blinden Wahn getrieben hätte, sobald sie ins Flussbett hinabstiegen. Mit etwas so Handfestem wie Fußangeln hingegen würde er fertigwerden. Er hielt sie Labarna hin. »Das ist ihr Geheimnis. So besiegt man Elefanten. Und wenn wir unsere Speerträger schicken, werden alle Kolonnen in Unordnung geraten.«