Sein Leibwächter betrachtete den Fund abfällig. »Eine Waffe für Feiglinge. Wir sollten Feiglinge nutzen, um sie unbrauchbar zu machen. Die Krieger aus den Küstenprovinzen taugen nicht viel. Vor allem die, die in den letzten Wochen gekommen sind. Schickt sie voraus! Sollen sie mit ihren Leichen das Flussbett füllen. Dann können unsere Garden unbeschadet über sie hinwegschreiten.«
Kurunta lachte herzhaft. Vor zwanzig Jahren hätte er noch genauso gedacht. Seitdem war er nicht zum Menschenfreund geworden, aber er hatte begriffen, dass die Moral von Truppen mehr zählte als Waffen und starke Arme. »Es ist nicht gut, wenn unsere Männer über die Leichenberge von Kameraden hinwegsteigen. Es gibt eine viel einfachere Lösung. Wir lassen sie schlurfend vorrücken. Dann können ihnen die Fußangeln nichts anhaben.«
Der Kriegsmeister blickte zum Himmel. Muwatta müsste nun bei den Streitwagen sein. Er musste sich beeilen, wenn er den Schildwall durchbrechen wollte. Aber noch wollte er die Garde nicht einsetzen. Es war klüger, sie für den letzten, vernichtenden Schlag aufzusparen. »Ruf die Raben. Alle!«
Labarna nickte ergeben. Es war klug, die Söldner einzusetzen, solange noch harte Kämpfe zu erwarten waren. Jeder, der verreckte, sparte Muwattas Gold. Bezahlt wurden sie erst nach der Schlacht. Ein Goldstück für jeden Kopf, den sie brachten. Sollten sie sich anstrengen! Hetzte er sie auf einen zerschlagenen Schildwall und fliehende Truppen, würde er den Unsterblichen arm machen.
Im Schildwall
Kolja blickte auf die Menschenmassen von Aarons Heer, die vom rechten Flügel davonliefen. Die Elefanten waren längst durchgebrochen. Die Gefahr war vorüber, aber die Panik griff unter den Kämpfern immer weiter um sich. Selbst erfahrene Krieger warfen einfach ihren Schild und ihren Speer fort und rannten. Und Bessos, der die Verstärkungen hinter dem linken Flügel befehligte, tat nichts, um die Flüchtlinge aufzuhalten und wieder Ordnung herzustellen.
Fluchend winkte Kolja seinen Streitwagenfahrer herbei. Er sprang auf, damit seine Truppen ihn gut sehen konnten. Etwa jeder vierte der Krieger gehörte zu den Zinnernen. Das waren die, denen er vertraute. Der Rest kam aus den Leibwachen verschiedener Satrapen. Allerdings stand kein einziger der Provinzfürsten unter seinem Kommando. Sie alle hatten es abgelehnt, Befehle von einem Söldner entgegenzunehmen.
»Die ersten zehn Reihen folgen mir!«, schrie er. »Im Laufschritt marsch!« Mit diesen Worten sprang er vom Streitwagen. Er hielt nicht viel davon, sich in einem prächtigen Wagen herumfahren zu lassen und auf andere Krieger herabzublicken. Manchmal waren die Wagen nützlich, aber im Allgemeinen zog er es vor, auf seinen eigenen Füßen zu stehen.
Eine halbe Meile trennte ihn von Bessos.
Kolja trug volle Rüstung. Einen Glockenkürass, Arm- und Beinschienen und einen Rock aus zähen Lederstreifen. Aber kein Schmuck prangte auf seinem Helm. Zu oft hatte er gesehen, wie Klingen in eitlen Helmputz schlugen und den Helm vom Kopf rissen oder der plötzliche Ruck seinem Träger das Genick brach.
Bessos hingegen war nicht zu übersehen. Er stand auf einem Streitwagen, dessen Rösser herausgeputzt waren wie die Stiere, die zu den Opferaltären des großen Seefestes geführt wurden. Und nicht anders sah Bessos aus. Der eitle Geck hatte sich ganz und gar in Scharlachrot und Gold gewappnet. Sein Leinenpanzer war rot eingefärbt und mit einem goldenen Löwenhaupt geschmückt. Ein langer, roter Rossschweif wehte von seinem Helm, und in der ersten Reihe seiner Truppen gab es mehr Löwenstandarten als Speere. Der Idiot glaubte wohl, er würde zur Parade eines Tempelfestes kommen!
Koljas Atem ging schwer, als er den Streitwagen des Satrapen erreichte. Er war aus der Übung gekommen, hatte zu lange nicht mehr gekämpft. Die Monde auf Nangog hatten ihn fett gemacht.
»Du musst den rechten Flügel retten! Befiehl deine Männer nach vorn!«
»Du vergisst wohl, wer vor dir steht, Barbar.«
Man musste in Seidenlaken geboren sein, um diesen hochnäsigen Tonfall zu beherrschen. »Wenn es Euch nichts ausmachen würde, hochwohlgeborener Bessos, würde es zur Rettung des Sieges wohl von Vorteil sein, wenn Ihr Euren Kriegern befehlt, den Schildwall zu verstärken.«
»Ich weiß, wie Schlachten gewonnen werden. Es gibt eine Befehlskette. Nur Narren handeln danach, wie ihnen gerade der Sinn steht. Ein kluger Befehlshaber wartet auf seine Befehle. Und du, Barbar, hast gerade deinen Posten in der Mitte der Schlachtlinie verlassen.« Er winkte seinen Kriegern. »Packt den Kerl! Der Unsterbliche Aaron wird nach der Schlacht seinen Kopf wollen.«
»Bogenschützen!«, rief Kolja. Er hatte geahnt, dass sich Bessos weigern würde. Ein Dutzend seiner Zinnernen legten auf den Satrapen an. »Sollte auch nur einer seiner Krieger Hand an mich legen, legt ihr dieses Schwein in Scharlach um.« Er wandte sich an die Kämpfer der Satrapen. »Männer Arams, der Unsterbliche Aaron braucht euch. Jetzt! Rettet die Schlacht für ihn. Folgt mir!«
»Wir warten auf die Befehle des Unsterblichen!«, rief Bessos herrisch. »Seid keine Narren! Der Sieg hängt einzig davon ab, dass ihr zur Stelle seid, wenn ihr gerufen werdet.«
Koljas Blick wanderte über die Gesichter der Krieger. Manche wirkten unentschlossen, doch die Mehrheit vertraute dem Satrapen.
»Wir sehen uns nach der Schlacht, Bessos. Dann komme ich mit einem Befehl des Unsterblichen, und der wird lauten, dir deinen Leib aufzuschlitzen und dich vor den Augen dieser Memmen hier mit deinen eigenen Gedärmen zu erwürgen.« Er wandte sich ab. »Bogenschützen, ihr behaltet Bessos und seine Krieger im Auge. Ich will nicht mit einem Pfeil im Rücken verrecken. Ihr geht langsam zurück.« Kolja zog sein Schwert und ließ die schlanke Klinge aus der ledernen Prothese fahren. »Speerträger! Folgt mir!«
Er lief am Kadaver eines gestürzten Ungeheuers vorbei. Der Elefant war erst zusammengebrochen, nachdem er durch die Linien gelangt war. Etliche Pfeile und abgebrochene Speere ragten aus den Flanken des Tieres. Die Männer im Kampfturm waren niedergemetzelt worden.
Kolja lächelte. Wenn er das hier überstand, wollte er auch einen Elefanten haben. Sie waren groß und hässlich und hart im Nehmen, genau wie er.
»Wovor flieht ihr?«, schrie er die Männer an, die ihm entgegenkamen. »Die Elefanten sind hier hinten. Vorne gibt es keine mehr. Zurück mit euch!«
Seine Worte hatten so gut wie keine Wirkung. Die Männer schienen ihn nicht einmal zu hören. Kaum einer kam zurück. Aber wenigstens fassten jene, die geblieben waren, neuen Mut.
»Wir bilden einen Schildwall!«, rief er seinen Kriegern zu. »Die Erschöpften und Verwundeten gehen zurück.«
Kolja stieg über abgetrennte Gliedmaßen und zerschmetterte Körper. Noch nie hatte er ein solches Massaker gesehen. Er konnte verstehen, warum die Bauern davonliefen. Er nahm einem Bauern eines der goldenen Feldzeichen aus den Händen, das Aaron an die Truppen hatte verteilen lassen. Am Rand der Uferböschung rammte er es in den sandigen Boden. »Hier stehen die Zinnernen«, brüllte er über den Fluss hinweg. »Und wir werden nicht weichen!«
Drei Kolonnen aus Speerträgern kamen ihnen gegenüber die Uferböschung hinab. Schwärme von Bogenschützen unterstützten ihren Vormarsch. Sie alle gingen seltsam schlurfend wie alte Männer.
Kolja fluchte, als ihm klar wurde, warum sie das taten. Kaum einer von ihnen strauchelte, weil er in eine Fußangel getreten war.
Der Hauptmann der Zinnernen duckte sich hinter den Schild seines Nebenmannes, als die ersten Pfeile auf sie niedergingen. »Haltet den Schildwall«, befahl er ruhig. »Lasst sie kommen. Und dann stecht sie ab.«
Kolja war sich bewusst, wie verwundbar er in der ersten Reihe ohne einen Schild war. Aber mit der Lederprothese würde er keinen Schild halten können. Er wusste, was auf sie zukam. Sie hatten diese Art des Kampfes geübt, aber nichts kam der Wirklichkeit auch nur nahe.
»Senkt die Speere!« Die vorderen Reihen der drei Angriffskolonnen hatten fast den Fuß der Böschung erreicht. Klappernd senkten sich Speere auf bronzeverstärkte Schildränder. Auch die Angreifer senkten ihre Waffen. Die Speerspitzen der zweiten Reihe reichten noch ein gutes Stück über die Schilde hinweg. Das waren die Männer, die das meiste Blut vergießen würden.