Der Kriegsmeister verzog das Gesicht, als er den ersten sauren Schluck nahm. Im Osten stieg eine riesige Staubwolke auf. Muwatta hatte also den Fluss überschritten. Er sollte nicht allen Ruhm allein ernten.
Kurunta winkte seinen Hauptleuten und deutete auf die Mitte der Schlachtlinie. »Dort bei der Löwenstandarte im Zentrum steht der Unsterbliche Aaron. Ruft die Garde! Wir werden fünfzig Schritt rechts und links von ihm durchbrechen und ihn einkreisen. Sein Schildwall ist an beiden Stellen nur noch schwach. Wir werden die Schlacht entscheiden.«
Labarna deutete auf einen großen Block von Kriegern, der sich hinter der Kampflinie hielt. »Noch haben sie Reserven, Herr. Sollten wir nicht noch ein wenig warten, bevor die Garde eingreift?«
Verärgert blickte er zu dem hünenhaften Krieger. Was erdreistete er sich, ihm in Anwesenheit anderer Ratschläge zu erteilen! »Jetzt ist unser Augenblick! Seht ihr die Staubwolke im Osten? Dort rückt Muwatta vor. In einer halben Stunde ist alles vorüber. Wenn wir jetzt nicht kämpfen, wird keine Gelegenheit mehr bleiben, unsere Speere zu nutzen, und nichts vom Ruhm dieses Tages wird auf die besten Krieger Luwiens entfallen. Das dulde ich nicht. Die Garde vor! Ich selbst werde sie anführen.«
Kurunta setzte seinen Helm auf. Eine einfache Bronzeschale ohne überflüssigen Schmuck. Es war der erste Helm, den er in seinem Leben getragen hatte. Gleich in seiner ersten Schlacht hatte er einem schweren Hieb standgehalten. Noch heute war die tiefe Kerbe in der Bronze zu sehen. Der Helm hatte ihm damals das Leben gerettet. Seitdem trug er ihn in jedem Kampf. Den Helm eines einfachen Soldaten. Er hatte ihm immer Glück gebracht.
Kurunta verschnürte die Lederriemen unter dem Kinn und blickte zur Garde, die rechts und links am Hügel vorbei in vier Kolonnen zum trockenen Flussbett marschierte. Zweitausend Mann. Jeder einzelne ein handverlesener Veteran. Sie trugen scharlachrote Umhänge und wuchtige, rechteckige Schilde in derselben Farbe. Um ihre spitz zulaufenden Bronzehelme hatten sie Seidentücher in Scharlach gewickelt. Jeder besaß ein eisernes Schwert, und auch ihre Speerspitzen waren aus Eisen. Ihnen folgten die Bogenschützen der Garde in ihren langen, bronzenen Schuppenpanzern. Sie würden aus den hinteren Reihen den Angriff mit einem Pfeilhagel unterstützen.
»Sie tragen viele Standarten«, bemerkte Labarna. »Jedes der Feldzeichen kostet uns einen Speer, der zustoßen kann.«
Kurunta wusste, dass Labarna seit Langem einen Groll gegen die Garde des Unsterblichen hegte. Sie hatten ihn vor langer Zeit abgelehnt, weil sie keinen Hünen unter sich haben wollten, der alle anderen neben ihm klein aussehen ließ.
»Ein einfacher Krieger zählt Speere, Labarna«, entgegnete er seinem Leibwächter mit einem süffisanten Lächeln. »Ein Feldherr aber denkt weiter.«
Gestern Abend erst hatte er die neuen Ehrenzeichen an die Garde austeilen lassen. Jede Hundertschaft trug eine Standarte, von deren Querstange ein scharlachrotes Tuch hing, auf das in Gold die geflügelte Göttin aufgestickt war.
»Wenn wir durch den Schildwall brechen, werden unsere Feinde auch im dichtesten Kampfgetümmel sehen, wie die Feldzeichen an ihnen vorüberziehen. Im Handgemenge kann keiner sehen, was auch nur fünf Schritt entfernt geschieht. Aber die Standarten wehen deutlich erkennbar über allen Häuptern. Aaron und seine Leibwache werden wissen, wenn sie eingekreist werden. Und das wird ihre Kampfmoral tiefer treffen, als zwanzig zusätzliche Speere es könnten.«
Die Linie bricht
Artax hatte kaum noch die Kraft, seinen Schild zu halten. Mit einem Schlag aus dem Handgelenk wischte er eine feindliche Speerspitze zur Seite und versuchte dann über einen Schildrand hinwegzustechen. Doch sein Gegner war auf der Hut, duckte sich, und die Klinge traf nur seinen Helm. Eberzähne splitterten, das zähe Leder darunter war zerteilt. Der getroffene Krieger schrie auf, versuchte zurückzuweichen, doch die ineinander verkeilten Reihen der Kämpfer erlaubten keinen Rückzug. Artax setzte nach, stach ein zweites Mal zu und traf den Mann diesmal über dem Wangenschutz ins Auge.
Im hellen Sonnenschein war das feine, grüne Licht, das um die Klinge seines Schwertes spielte, fast nicht zu sehen. Artax ahnte, dass sein Schwert etwas von jedem nahm, der unter seiner Schneide starb. Mehr als nur ein Leben. Es war eine verfluchte Waffe. Sie hatte ihm den Namen König Geisterschwert eingebracht. Er sollte die Klinge in der Scheide ruhen lassen, aber ihre Lage war viel zu verzweifelt, um auf irgendeinen Vorteil verzichten zu können.
Der Schildwall war durchbrochen. Rechts und links konnte er die Feldzeichen von Muwattas Leibgarde sehen. Ein Stück voraus kämpfte ein hünenhafter Krieger mit einer Keule und zerschmetterte Schilde wie Helme, so leicht, als seien es nur Eierschalen. Zwei Mal schon hatte Artax versucht, zu dem Krieger durchzubrechen, aber in dem Gedränge kam er nicht voran.
Datames wehrte einen Speerstoß ab, der auf Artax’ Gesicht gezielt hatte. Der Hofmeister schien nie zu ermüden. Kein Tropfen Schweiß stand auf seinem Gesicht, und er kämpfte mit einer Leichtigkeit, als sei die Schlacht nur ein Tanz, bei dem sein Schwert schillernde, silberne Fächer in die Luft wob, die kein Angriff zu durchdringen vermochte. Nie zuvor hatte Artax einen Mann so fechten sehen. Datames war ein Krieger! Warum hatte er das bislang verborgen?
Etwas schlug hart gegen seinen Helm. Die Wucht des Treffers riss ihm den Kopf in den Nacken, er sah nur noch das makellose Blau des Himmels und tanzende Lichtpunkte. Aber er stürzte nicht. Er stieß mit dem Rücken gegen Narek, der hinter ihm die Standarte hochhielt.
»Bitte, Herr, Ihr müsst besser auf Eure Deckung achten. Sie zielen mit den Speerstößen auf Eure Augen. Selbst dieser Helm der Götter vermag nicht allen Schaden von Euch abzuwenden.« Die Stimme von Datames ging fast im Schlachtenlärm unter.
Artax schüttelte den Kopf. Immer noch flackerten die Lichtpunkte in seinem Gesichtsfeld. Ashot hatte sich vor ihn geschoben und schirmte ihn, so gut es ging, mit seinem Schild ab. Artax drehte den Kopf, so weit er konnte. Der Hüne mit der Keule arbeitete sich immer weiter voran. Keiner wagte es mehr, sich ihm in den Weg zu stellen. Vor ihm wich die Linie zurück.
»Siehst du den Riesen dort hinten, Datames? Du musst ihn aufhalten! Er ist gefährlicher als ein Kriegselefant.« Ein Pfeil traf seinen Helm. Das Metall tönte wie eine Glocke und löschte alle anderen Geräusche der Schlacht aus.
Wütend warf Artax sich nach vorne. Sein Schwert schnitt durch einen Schild und zerteilte den Arm des Kriegers vor ihm. Ein Rückhandhieb zerteilte den dichten Bart und drang in die Kehle seines Gegners. Hände packten nach dem Sterbenden und zerrten ihn in Sicherheit. Ein Krieger, der sich eine nackte Frau, die zwei Schlangen hielt, auf seinen Schild gemalt hatte, nahm den Platz des tödlich Verwundeten ein. Sie kämpften mit verbissenem Mut, diese Luwier. Sie wussten, dass der Sieg nahe war.
»Narek!«, rief Artax aus Leibeskräften.
Hinter sich hörte er eine Antwort, die in Schreien und Waffengeklirr nicht deutlich zu verstehen war. Artax wusste, dass sein Helm seine Stimme dämpfte, aber er wagte es nicht, ihn abzunehmen. Er war das Ziel der meisten Angriffe. Wenn er zu Boden ging, wäre die Schlacht entschieden. Er konnte ihn nicht abnehmen.
»Such einen flinken Läufer und schick ihn zu Bessos. Jetzt ist die Zeit, die letzten Reserven in die Schlacht zu werfen. Er muss sich durchschlagen, bevor wir umzingelt werden. Die Zeit drängt. Wenn du mich verstanden hast, dann stoß mir deinen Ellenbogen in den Rücken.« Artax wehrte einen erneuten Speerstoß nach seinem Helm ab. Der Kerl mit der nackten Frau auf dem Schild gebärdete sich wie ein Irrer. Er hüpfte auf der Stelle, wiegte den Oberkörper nach links und rechts, soweit das im Gedränge möglich war, und ließ immer wieder seinen Speer vorzucken.
Artax trennte mit einem wütenden Hieb das Stichblatt vom Speerschaft, als ihn ein Ellenbogenstoß in den Rücken traf. Er atmete erleichtert auf. In dem Moment traf der Speerschaft auf den Sehschlitz seines Maskenhelms. Er kniff die Augen zusammen. Zu spät. Ein sengender Nadelstich brannte in seinem linken Auge.