»Wir können nicht länger auf einen Boten warten!«, rief Bessos. »Du da!« Er deutete auf den Krieger mit der zu kurzen Nase. »Such nach dem Unsterblichen! Hol uns unseren Angriffsbefehl!«
Der Krieger verneigte sich und eilte ins Kampfgetümmel.
Bessos blickte zu den scharlachroten Feldzeichen. Sie waren wieder vorgerückt. Nicht mehr lange. Sein Bote würde nicht mehr zurückkommen. Bald wäre Aaron eingekreist.
Bessos schloss die Augen. Wenn das Warten nur schon vorüber wäre! Hoffentlich kam nicht noch ein Bote. Ein zweites Mal könnte er diese Scharade nicht aufführen. Er schob sein Schwert zurück in die Scheide. Blut war auf seine Hände gespritzt.
Morgen würde er Satrap von ganz Garagum sein. Das war der Preis, den er bei Kurunta dafür eingefordert hatte, seine Truppen zurückzuhalten. Der Kriegsmeister hatte ihm geraten, Scharlach zu tragen wie die Garde des Unsterblichen Muwatta. So würden die Luwier erkennen, dass er auf ihrer Seite stand. Und er würde verschont werden, wenn die Schlacht verloren ging und das Massaker begann.
Todesstoß
Muwatta konnte sehen, dass seine Garden den Schildwall durchbrochen hatten. Die scharlachroten Feldzeichen rückten vor, und die letzte Reserve Arams rührte sich nicht vom Fleck. Ihre Streitwagen waren Meilen entfernt. Eine halbe Stunde höchstens, und alles würde entschieden sein.
Nur einige schwarzgewandete Gestalten standen noch zwischen ihm und dem Sieg. Ein Häuflein Verlorener, das beim Anblick der Streitwagen auseinanderlief. Sie würden sie gnadenlos niedermachen. Die Front, auf der die Streitwagen vorrückten, war doppelt so lang wie die dieses letzten Trüppchens.
Muwatta blickte auf die funkelnde Sichel, die in der Radnabe steckte. Er hatte noch nie jemanden auf diese Weise getötet. Dabei war er ein erfahrener Wagenlenker.
Der Unsterbliche lächelte. Nun war die Stunde gekommen.
Er hob seinen Speer hoch über den Kopf. »Freie Jagd!«, rief er aus Leibeskräften und stellte sich vor, wie die Plänkler unter donnernden Hufen zermalmt wurden, von Sicheln niedergemetzelt, und wie die Bogenschützen in den leichten Wagen die letzten Überlebenden zu Tode hetzten, während er das Gros der Truppe zur Flanke des Schildwalls führte, um Aarons Bauernheer den Todesstoß zu verpassen.
Es war ein guter Gedanke.
Jaguare
Die Zahl ihrer Feinde war eindrucksvoll, doch keiner seiner Männer zeigte Angst. Sie waren die Jaguare der Gefiederten Schlange. Ihnen kamen allenfalls noch die Adlerritter gleich, die er am Ende ihrer allzu kurzen Schlachtlinie aufgestellt hatte. Sie waren es, die Angst und Schrecken verbreiteten. Sie selbst fürchteten nichts.
»Die Gefiederte Schlange ist hier«, rief Necahual seinen Männern zu. »Atmet den Duft des Himmels und riecht sie. Nie zuvor haben Krieger Zapotes auf fremdem Boden gekämpft. Die Götter selbst blicken zu uns herab. Vergießt das Blut vieler Luwier, um sie zu ehren, und sterbt wie Jaguare! Die Fänge in die Kehlen unserer Feinde geschlagen. Ich wünsche euch eine gute Jagd, Brüder. Und ich bin stolz, euer Anführer gewesen zu sein.«
Seine Männer liefen davon, um sich möglichst weit zu verteilen. Die Streitwagen würden wie eine Flutwelle gegen einen Felsen branden, wenn sie heran waren. Necahual löste den schwarzen Lederriemen, den er um seine Hüften geschlungen hatte. Er prüfte das Gewicht der beiden schwarzen Steine an den Enden des Riemens der Bola. Jeder von ihnen war fast faustgroß. Die Schnur selbst hatte er aus verschiedenen Lederstreifen geflochten. Sie war stark.
Der Anführer der Jaguarmänner und Adlerritter atmete tief aus. Er dachte an seine Schwester Quetzalli, die so große Schande über seine Familie gebracht hatte. Die Priester hatten ihr verziehen, denn sie war lange Zeit eine gute Spinnenfrau gewesen, in deren Netzen sich viele goldhaarige Fremde verfangen hatten. Doch der letzte, dem sie begegnet war, musste einen starken Zauber besessen haben. Necahual hatte den Mann aus der Ferne im Lager beobachtet. Er war groß und stattlich, und doch hielten die Adligen dieses Königreichs ihn für einen Dummkopf. Er beherrschte nicht einmal die Sprache seiner Herren. Necahual konnte nicht begreifen, was seine Schwester an diesem Kerl gefunden hatte. Vielleicht musste man mit ihm eine Liebesnacht verbracht haben, um dieses Geheimnis zu ergründen.
Der Hauptmann hob die Bola und ließ sie über seinem Kopf kreisen. Der Boden zitterte unter Tausenden Hufen. Seine Feinde sahen großartig aus. Ihre Wagen wurden von schönen Pferden gezogen. Gold und Silber schmückten ihre Kleidung und Waffen. Es war ein würdiger Kampf. Die Besten aus Luwien waren ihre Feinde.
Necahual konnte fühlen, dass die Gefiederte Schlange ganz nah war. Er würde ihr einen guten Kampf schenken.
Ohne Kampfschrei und ohne Zorn im Herzen lief er los, den Streitwagen entgegen.
Sichelwagen
Muwatta ließ die Zügel über den Pferden hinwegknallen. In rasendem Lauf schossen sie über die Ebene dahin. Der harte, ausgetrocknete Boden war das ideale Gelände für Streitwagen. Wie ein Orkan würden sie über diese Schattengestalten hinwegfegen. Die Formation der Streitwagen begann sich aufzulösen. Es war ein wilder Wettlauf darum, wer zuerst bei diesen Unglücklichen ankam.
Muwatta gab die Zügel an seinen Wagenlenker ab und griff nach einem der Wurfspeere im Köcher neben sich. Diese Gestalten hatten sich wie Katzen angezogen. Der Unsterbliche lachte laut auf. Was für ein albernes Gewand, um darin zu sterben! Die Verrückten stürmten den Wagen jetzt entgegen. Dabei schwenkten sie einen Arm über dem Kopf. Aber sie hielten keine Waffe darin. Jedenfalls konnte er nichts erkennen. Vielleicht war es ein Gruß an ihre Götter, denen sie gleich entgegentreten würden.
Plötzlich brach eines der Pferde im Gespann zusammen. Der Wagen scherte nach links aus und kam ins Trudeln. Der benachbarte Streitwagen wich ebenfalls aus und prallte mit dem Wagen links von ihm zusammen, der nach rechts ausgeschert war.
Muwatta klammerte sich mit beiden Händen an die vordere Wagenwand, während sein Wagenlenker verzweifelt versuchte, den Streitwagen wieder in seine Gewalt zu bekommen. Sie wurden zwar langsamer, doch schlingerten sie dabei hin und her. Die Wagen hinter ihnen waren beängstigend dicht aufgefahren. Das nächste Pferdegespann war keine zwei Schritt mehr entfernt.
Muwatta sah das Sonnenlicht auf den Sicheln des Wagens hinter sich funkeln.
Sein Wagenlenker schrie auf.
Der Katzenmann kam ihnen entgegengelaufen und sprang zwischen den Pferden hindurch auf die Deichsel. Er griff mit links in eine Pferdemähne und hieb dem Ross mit der freien Hand einen gedrungenen schwarzen Dolch ins Ohr. Das Pferd sackte zusammen wie vom Blitz getroffen.
Muwatta schleuderte seinen Wurfspeer nach dem Katzenmann, doch der Wagen machte einen wilden Schlenker, und der Speer verfehlte sein Ziel. Der Katzenmann sprang seitlich ab, als die Deichsel, von dem toten Hengst niedergedrückt, in den Boden rammte.
Der Streitwagen überschlug sich.
Muwatta wurde hinausgeschleudert. Pferde rasten auf ihn zu, kaum dass er auf den harten Boden aufschlug. Er kam auf die Knie und schwenkte die Arme, um die Tiere zu erschrecken. Der Wagenlenker zerrte mit schreckensweiten Augen an den Zügeln, als er erkannte, wen er zu überrollen drohte.
Das Gespann verfehlte Muwatta knapp.
Die Sichel an der Radnabe nicht.
Die Linie halten
Narek stand Rücken an Rücken mit dem Unsterblichen. Sie waren eingekreist. Überall ringsherum ragten die Scharlachstandarten von Muwattas Garde auf. Die Verstärkung war nicht gekommen. Vielleicht hatte der Bote es nicht geschafft, sich durchzuschlagen.
Immer dichter wurden sie von den Speerträgern Muwattas zusammengedrängt. Allein vor dem Unsterblichen war der Druck nicht so groß. Sein Geisterschwert war zum Schrecken der Luwier geworden. Immer wieder hörte Narek die Schreie der Männer, die unter Aarons Klinge geraten waren. Das ganze Schlachtfeld hallte von den Schreien Verwundeter und Sterbender, doch jene, die von diesem verwunschenen Schwert getroffen wurden, schrien anders.