Das Duell
Volodi kniete nieder und rieb seine Hände über den trockenen Sand.
Artax ging neben ihm in die Hocke und tat es ihm gleich. »Angst?«
»Sind sich nur meine Hände feucht. Ist nicht gut für sich halten Zügel.«
Artax wusste, was ihn erwartete. Er hatte Angst und hoffte, dass er sie würde überspielen können. Das feierliche Getue, das Gerede von Ehre – all dies diente nur einem Zweck. Es gab den Rahmen ab für die Hinrichtung eines Unsterblichen.
Seiner Hinrichtung.
Der Löwenhäuptige war recht deutlich geworden. Was Artax erreichen wollte, gefiel den Devanthar nicht. Sie gaben Muwatta einen magischen Speer. Und für ihn gab es ein paar Worte.
Artax blickte auf. Die Sonne neigte sich dem Himmel im Westen zu. Die fernen Berge hatten sich in rotgoldene Wolken gehüllt. Garagum war ein karges Land, die Hochebene von Kush fast eine Wüste. In all den Wochen, die er hier war, hatte er nie einen Blick für die wilde Schönheit des Landes gehabt. So war es mit vielen Dingen in seinem Leben gewesen, dachte er wehmütig. Wie oft hatte er im Sommer das satte Gelb der Felder bestaunt? Viel zu selten. Wie oft mit seinen Freunden in Belbek gefeiert und sich daran ergötzt, jung, gesund und voller verrückter Träume zu sein? Nicht oft genug. Wie viel Zeit hatte er in den Armen der Frau verbracht, die er liebte? Nicht eine einzige Nacht von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Und nun war er auf einer Hochebene am Ende der Welt angelangt, und das Einzige, was er noch erwarten durfte, war, von einem Zauberspeer durchbohrt zu werden und elendig zu verrecken. Ach, Shaya, dachte er, schloss die Augen und versank in der Erinnerung an ihre stürmischen Küsse.
»Muwatta steigt sich auf Wagen.«
Artax nickte. Dann stand er auf. Er fühlte sich seltsam schwer. Es war nicht allein durch den langen Kampf im Schildwall zu erklären.
Tausende Krieger aus beiden Heeren waren entlang der Uferböschungen aufmarschiert, um dem Spektakel beizuwohnen. Und inmitten der Menschen standen die geflügelte Išta und der Löwenhäuptige. Auch die anderen Devanthar waren hier, vor den Blicken der Menschen verborgen. Der Löwenhäuptige hatte ihm kurz einen Blick auf seine Brüder und Schwestern gewährt. Noch eine Gunst, um die Artax nicht gebeten hatte.
Sie waren unheimlich … Der riesige Weiße Wolf, der von einem toten Elefanten gefressen hatte. Die Sturmruferin mit dem sich windenden Schlangenhaar. Diese Kreatur, halb Mensch, halb Eber. Der gedrungene, hässliche Kerl mit den unnatürlich langen Armen, der den Speer für Muwatta erschaffen hatte. Und all die anderen.
Artax tätschelte über die Nüstern der beiden Hengste, die ihren Streitwagen zogen. Ihre Flanken waren von Staub bedeckt. Der linke hatte eine lange, von getrocknetem Blut überzogene Schramme auf der Schulter. Die Lederwände des Wagens wiesen schmale Löcher von Pfeilen und Speerspitzen auf.
Artax stieg auf und blickte zur anderen Seite des Kampffeldes. Der Streitwagen Muwattas hätte unterschiedlicher nicht sein können. Er war groß und aus schneeweißem Holz gefertigt. Auf die Frontwand war mit Gold eine geflügelte Göttin gemalt. Sie zierte auch das Seidenbanner, das an einer langen Stange hinter dem Fahrer wehte. Vier prächtige Schimmel zogen den Streitwagen. Ihr Ledergeschirr war scharlachrot gefärbt, und scharlachrote Federn waren in die Mähnen der Tiere geflochten.
Muwatta blickte geradewegs zu ihnen herüber. Er hob seinen Speer zum Gruß. Der Unsterbliche war zu weit entfernt, um seine Gesichtszüge zu erkennen, aber Artax war überzeugt, dass Muwatta siegessicher lächelte.
»Warum hast du diesen Wagen ausgewählt, Volodi?«
»Bringt er sich Glück. Ist sich wichtig das.«
»Das weißt du sicher?«
»Bin ich gefahren mich in Schlacht mit Wagen. Und ist mich nicht nix kaputt.« Er schüttelte den Kopf, und seine Augen blickten in unerreichbare Fernen. »Hättest du dich sehen müssen Schlachtfeld von Wagen …« Er klopfte mit der flachen Hand auf den Griff an der Vorderfront. »Ist sich viel guter Wagen.«
Artax nahm den Rundschild auf, den er auf dem Schlachtfeld gefunden hatte, und schob den Arm durch die breiten Lederschlaufen. Auf den Schild war ein Löwenkopf gemalt. Vielleicht würde das den Löwenhäuptigen gnädig stimmen.
»Wird sich eng in Wagen mit Schild. Musst du dich stehen links von mir«, beschwerte sich Volodi.
»Wenn ich rechts von dir stehe, kann ich dich mit dem Schild beschirmen.«
»Und wie soll ich benutzen Zügel? Das ist nicht nix guter Einfall.«
Artax wechselte die Position im Wagen. Er zog einen der Wurfspeere aus dem Köcher an der Wagenseite. Die Spitze war aus Eisen und funkelte, als sei sie frisch geschliffen. Wie es schien, überließ Volodi nicht alles dem Glück.
»Musst du dich werfen Speer auf Pferd«, flüsterte ihm der Drusnier zu. »Dann nicht nix nutzt großes Wagen.«
»Das ist nicht ehrenhaft.«
Volodi seufzte und sagte nichts mehr.
Ein Fanfarenstoß hallte über das trockene Flussbett. Der Drusnier ließ die Zügel knallen. Die beiden Hengste gaben ihr Bestes, aber sie waren noch erschöpft von der Schlacht.
Muwattas Streitwagen war viel schneller. Der Unsterbliche hatte auf einen Schild verzichtet. Auf dem Wagen war er vor dem Geisterschwert sicher. Er hob seinen schweren Wurfspeer und hielt sich mit der Linken am Wagenkleid fest.
»Fahr rechts an ihm vorbei, so nah du kannst«, befahl Artax. Er hoffte darauf, vielleicht doch in Schwertreichweite zu gelangen. Zumindest für einen Hieb. Er schob den Wurfspeer in den Köcher zurück und zog seine verwunschene Klinge.
Muwatta schleuderte den Speer.
Volodi fluchte und riss die Zügel herum. Die Pferde wichen nach links aus.
Der Speer änderte seine Flugrichtung, beschrieb einen leichten Bogen und schlug dem Hengst mit der verwundeten Schulter durch den Hals. Einen Augenblick lang rannte das Wagenross einfach weiter. Dann ruckte der Speer in der Wunde, glitt aus dem Hals des Hengstes und kehrte wieder in die Hand seines Besitzers zurück.
Blut schoss in pulsierenden Stößen aus der Wunde und spritzte bis zum Wagen. Der Hengst schüttelte den Kopf, als wolle er lästige Fliegen vertreiben. Immer noch lief er weiter, wurde aber langsamer. Mit verzweifelter Entschlossenheit stemmte er sich in sein Geschirr. Dann brach er zusammen. Seine Läufe zuckten. Er spuckte blutigen Schaum.
»So viel zu sich ehrenhaft kämpfen«, knurrte Volodi.
Artax klopfte dem Söldner auf die Schulter. »Du hattest recht. Nun ist es allein meine Sache. Bring dich in Sicherheit!« Mit diesen Worten sprang er vom Streitwagen.
Muwattas Streitwagen hatte sie passiert und wendete hinter ihnen im weiten Flussbett.
Artax ging ihm entgegen. »Steig ab!«, rief er. »Bringen wir es zu Ende! Mann gegen Mann!«
Statt zu antworten, schleuderte Muwatta erneut seinen Speer.
Artax blieb stehen. Er wusste, dass es sinnlos wäre, fortzulaufen oder sich zur Seite zu werfen. Der Speer war für ihn kaum zu sehen. Nur ein Funkeln der stählernen Spitze verriet, wie er näher kam. Er flog viel weiter, als ein menschlicher Arm ihn hätte schleudern können. Es war der Zorn der Götter, der nun auf ihn herniederfuhr, dachte Artax. Er musste sich dem stellen. Davor gab es keine Flucht.
Ein sorgenvolles Raunen ging durch die Reihen seiner Leute. Einige Männer riefen, er solle sich hinwerfen. Manche stürmten schreiend die Böschung hinab. Doch keiner vermochte das trockene Flussbett zu betreten. Es war, als habe ihn ein unsichtbarer Wall von der Welt der Menschen getrennt. Er war jetzt unerreichbar für die Seinen.
Artax riss seinen Schild hoch. Der Speer traf ihn mit einer Wucht wie ein Pferdetritt. Er hatte den Schild weit von sich gehalten, doch der Treffer ließ seinen Arm einknicken. Der Schild wurde auf seine Brust gepresst. Die Speerspitze durchdrang die Lederschichten und selbst seinen Brustpanzer. Der kalte Stahl schnitt in seine Brust, dicht unterhalb der Schulter. Einen Augenblick lang bekam er durch die Wucht des Treffers keine Luft mehr.
Alles schien von ihm fortgleiten zu wollen. Er erhob sich über das Schlachtfeld. Sah die jubelnden Luwier und seinen niedergestreckten Körper. Blut rann von seinen Lippen. So also endet es, dachte er.