»Meine Hunde sind hübscher«, sagte Subai lachend.
Shaya stellte sich vor, wie sie ihrem Bruder mit einem langen Messer die Kehle durchschnitt. Sie würde diesen aufgeblasenen …
»Ausatmen«, befahl der Heiler, zog an ihrem Arm und drückte zugleich auf das Schulterblatt.
Shaya stieß einen gepressten Laut aus. Ein unangenehm schnappendes Geräusch erklang. Schmerz wogte durch die Schulter den Arm hinab und versiegte. Vorsichtig bewegte sie ihren Arm. Sie spürte ein unangenehmes Ziehen, doch das war kein Vergleich zu den vorherigen Qualen.
»So es Euch beliebt, solltet Ihr den Arm in den nächsten Tagen tunlichst schonen, ehrenwerte Prinzessin Shaya. Das wäre der weiteren Heilung förderlich. Es ist noch nicht ganz …«
»Dies ist also, was du dir unter dem Umgang mit einer Dame vorstellst«, unterbrach ihr Vater den Heiler mit schneidender Stimme. »Vermagst du dir vorzustellen, wie ein Vater bei diesem Anblick empfindet?« Er klatschte laut in die Hände. »Bringt den Tisch! Wir werden uns nun dem widmen, worum es heute Abend eigentlich geht. Herauszufinden, ob Shaya noch in der Lage ist, ihrem Volk in jener Weise zu dienen, die einer Prinzessin bestimmt ist.«
Jetzt begriff Shaya endlich, warum ihr Vater sie hierhergerufen hatte. »Du willst doch nicht vor all den …«
»Was nun geschieht, erfordert die Anwesenheit von Zeugen«, entgegnete Madyas kalt.
Sie starrte in die schwarzen Augen ihres Vaters. »Das ist nicht nötig. Ich bin keine …«
»Schweig!« Madyas’ Stimme war wie ein Peitschenhieb. »Du wirst es über dich ergehen lassen und kein Wort sagen, solange du nicht gefragt wirst.«
»Bitte …«
»Ob du eine Zunge hast, ist von weitaus geringerer Bedeutung als deine Jungfräulichkeit, Shaya. Fordere mich nicht heraus. Die meisten Männer, die ich kenne, schätzen stille Frauen.« Er bedachte Subai mit einem ärgerlichen Blick. »Ich bin wahrlich neugierig zu erfahren, ob eine Schlampe oder ein Lügner meinem Samen entsprossen ist.«
Der Eingang öffnete sich, und vier stämmige Männer trugen einen Tisch herein, wie ihn Shaya noch nicht gesehen hatte.
»Leistet besser keinen Widerstand, Prinzessin«, hauchte ihr der Heilkundige ins Ohr. »Die vier haben heute Morgen bereits mehrere Frauen auf den Tisch gebunden und … Sie sind stärker.«
»Du trittst meiner Tochter nahe, wenn ich es dir befehle«, sagte Madyas mit kalter Ruhe, die furchteinflößender war als jedes Geschrei.
Shaya betrachtete noch immer entsetzt den seltsamen Tisch. Zwei hohe, ledergepolsterte Keile waren darauf befestigt und etliche breite Ledergürtel.
»Leg dich hin und spreiz deine Beine.« Die Worte ihres Vaters waren von einer Geste begleitet, als wolle er sie einladen, an einer Festtafel Platz zu nehmen.
Sie schüttelte sich, konnte nicht glauben, was jetzt geschehen sollte. Kein Vater tat so etwas seiner Tochter an.
»Dein Stolz wird geringeren Schaden nehmen, wenn du es selbst tust, meine Tochter.«
Sie schluckte hart und sah zu den vier großen, muskelbepackten Kerlen. Wenn ihr Widerstand Erfolg haben sollte, war es besser, wenn zunächst alle glaubten, dass sie sich fügte. Jetzt zu kämpfen wäre aussichtslos.
Shaya setzte sich auf den Tisch.
»Schwing die Beine hoch, sodass deine Kniekehlen auf den Holzkeilen liegen«, erklärte ihr Subai mit anzüglichem Lächeln. »Dann wird allen offenbar werden, was für ein Leben du geführt hast.«
Sie hatte das Gefühl, als wachse ein riesiger Eisklumpen in ihrem Inneren. Sie musste gehorchen, sonst würden die Handlanger ihres Vaters sie mit den Lederbändern an den Tisch schnallen. Das war offensichtlich. Doch ihr Kleid würde ihr bis zu den Hüften rutschen, wenn sie gehorchte. Sie blickte starr zur hohen Kuppel der Jurte, um nicht in die Gesichter der Männer sehen zu müssen. Männer, auf deren Knien sie als Kind gesessen hatte. Hinter dem Rauch unter dem Zeltdach funkelten Edelsteine auf dem dunkelblau gefärbten Fell. Sie flüchtete in Gedanken zu diesen falschen Sternen und versuchte ihre Seele vor dem zu verschließen, was geschah.
»Bindet sie fest, sie wird sonst nicht liegen bleiben«, befahl ihr Vater.
Shaya rührte sich nicht mehr. Sie wurde an Armen und Beinen gepackt und auf den Tisch gedrückt. Es war sinnlos, gegen die Übermacht anzukämpfen.
»Wir brauchen mehr Licht. Holt Öllampen.« Das war die Stimme ihres Bruders.
Ein Lederriemen wurde um ihre Hüften geschlungen und so fest gezurrt, dass er durch das Seidenkleid in ihr Fleisch schnitt.
Sie spürte warmen Atem auf ihren Oberschenkeln. Eine grobe Hand strich über ihr Bein. Shaya blickte fest auf einen großen Diamanten über ihr, in dem sich das helle Licht brach, das man zwischen ihre Schenkel hielt. Sie wollte zumindest in Gedanken fliehen, doch die Stimmen holten sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie würde sich jeden von ihnen merken. Würde genau darauf achten, wer wenigstens ein letztes bisschen Anstand wahrte. An den anderen aber würde sie sich rächen. Nicht jetzt oder in nächster Zeit. Sie würde überleben, was sie ihr antaten, und sie würde stärker werden. Und eines Tages würde sie zurückkehren und sich an jedem von ihnen rächen.
Noch während sie dies dachte, wusste sie, dass es kindliche Träume waren. Aber an diese Träume wollte sie sich klammern, um nicht vollends zu zerbrechen.
»Würdet Ihr bitte zur Seite treten, hochwohlgeborener Subai? Wenn ich den Allweisen Madyas nicht falsch verstanden habe, sollte es meine Aufgabe sein, über den Zustand der hochwohlgeborenen Prinzessin zu urteilen.«
Warme Hände spreizten nun vorsichtig ihre Schenkel. Sie konnte ein Schluchzen nicht länger unterdrücken. Tränen traten ihr in die Augen, und sie hasste sich dafür. Das wollten sie doch, sie jammernd und gefügig sehen. Wenigstens diesen Gefallen sollte sie ihnen nicht tun. Das war alles, was noch in ihrer Macht lag. Sie musste ihren Stolz als Kriegerin bewahren.
»Was siehst du, Miau?«
Der alte Heiler räusperte sich. »Nun … Es besteht kein Zweifel daran, dass das Tor zum Garten der Freuden geöffnet wurde.«
»Wie ich es dir gesagt habe, Vater. Sie hat es mit den Männern getrieben, die unter ihrem Befehl standen. Sie ist eine mannstolle Schlampe. Eine …«
»Ich möchte in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass dies nicht dem entspricht, was ich gesagt habe«, unterbrach der Heiler Subais Beleidigungen.
»Was soll das heißen?«, fuhr ihr Vater ihn an. »Ist sie eine Jungfrau, oder ist sie es nicht?«
»Die zarte Blüte wurde gebrochen …«
»Weniger blumig, Heiler! Ich bin ein Mann der klaren Worte.«
»Sie ist keine Jungfrau, doch möchte ich zu bedenken geben, dass sie einen schweren Sturz erlitten hat. Ihr selbst wart Zeuge des Unfalls, allmächtiger Madyas. Und die Narben an ihren Armen und Beinen weisen sie als tapfere Kriegerin aus, die vor keinem Feind zurückgewichen ist. Sie ist eine ungewöhnliche Maid, und es wäre überraschend, wenn das Tor zu ihrem geheimen Garten auf ganz gewöhnliche Weise geöffnet worden wäre.«
»Sie hat in der Tat mehr Narben als die meisten meiner Krieger«, bekundete eine heisere Stimme. »Ich würde mir so ein Weib nicht auf mein Lager holen.«
»Bei Nacht sind alle Katzen grau«, warf eine andere unbekannte Stimme ein.
Shaya fror. Die Kälte aus ihrem Inneren kroch in ihre Glieder. Sie wünschte sich, sie wäre tot. Nie wieder würde sie die Sternenjurte betreten. Nie wieder einem der Berater ihres Vaters in die Augen blicken. Bis der Tag ihrer Rache gekommen war.
»Ich habe dich richtig verstanden, Miau? Es gibt keinen Beweis dafür, dass meine Tochter jemals unkeusch war?«
»So ist es, Allweiser Madyas. All meine Kunst erlaubt mir nur, mit Sicherheit zu sagen, dass das Siegel der Jungfräulichkeit zerbrochen wurde. Wie dies geschah, wird wohl hinter dem Siegel der lieblichen Lippen Eurer Tochter verborgen bleiben.«
»Ganz ohne Zweifel war es der schwere Sturz heute Mittag«, entschied Madyas.
»Aber es gibt Männer, die beschwören, dass sie es …«
»Es finden sich immer Männer, die einem Herrscher nach dem Mund reden, Subai. Die Weisheit eines großen Königs besteht darin, jene um sich zu versammeln, die den Mut haben, wahr zu sprechen. Wie stehst du dazu, Arimaspu?«
»Ich denke«, entgegnete die heisere Stimme, »einem Prinzen und einer Prinzessin sind heute ihre Wege und Grenzen aufgezeigt worden. Und wir schätzen uns glücklich, eine Wahrheit gefunden zu haben, die zum Nutzen unseres Volkes ist und der Ehrenrettung der Prinzessin Shaya dienen mag. Wer von heute an wagt zu behaupten, sie habe sich jemals unkeusch verhalten, wird mit seinen Worten den Zorn des Rates auf sein Haupt ziehen.«
Shaya hörte ihren Bruder nach Luft schnappen. Auch sein Wort fand kein Gehör. Das zu erleben tat gut.
Eine Decke wurde über ihre Beine gebreitet, aber die Lederriemen wurden nicht gelöst.
»Miau, du weißt, was mit ihr zu tun ist. Die Diener werden deine Nadeln bringen und was du sonst noch brauchst.«
»Lasst es mich nicht heute tun, großherziger Madyas. Wir sollten ihr keinen weiteren Schmerz mehr zufügen. Ich bitte Euch darum.«
»Einen Tag noch, Heiler. Einen einzigen schenke ich ihr. Dann endet ihr Leben als Kriegerin.«