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Ištas Zorn

Fühlst du Schmerzen?

Es war die Stimme des Löwenhäuptigen. Was für ein Hohn! Natürlich spürte er Schmerzen!

Dann lebst du noch. Išta gaukelt dir vor, was du siehst. Bleib liegen, und du wirst wirklich sterben. Muwatta wird deinen Kopf holen und auf seinen Speer spießen.

Artax blinzelte. Er lag noch immer im Flussbett. Die Luwier jubelten, doch er sah sich nicht mehr von oben.

Der Speer in seiner Brust ruckte. Schon glitt er aus der Wunde, war aber noch im Schild verfangen.

Unbändiger Zorn ergriff Artax. Er würde nicht dulden, dass es so endete. Er schuldete es seinen Toten zu kämpfen, solange noch Leben in ihm war. Mit der Rechten griff er nach dem Schaft des Speeres, der in seiner Hand aufbockte, als sei er ein lebendiges Wesen. Einen Herzschlag lang dachte er daran, den Speer, der nie sein Ziel verfehlte, nach Muwatta zu werfen. Doch seine Ehre verbot es ihm. Auf diese Weise wollte er nicht siegen.

Artax zwang die verwunschene Waffe zu Boden, schob seine Knie über den Schaft aus Elfenbein und griff nach seinem Schwert.

Muwattas Streitwagen war noch knapp fünfzig Schritt entfernt. Der Unsterbliche hatte den Arm vorgestreckt, bereit, seinen Speer aufzufangen.

Artax legte all seine Wut in einen einzigen Hieb und ließ sein Geisterschwert auf den Speerschaft niedersausen. Das Elfenbein splitterte. Der Schaft war hohl. Eine dunkle Flüssigkeit sickerte in den Sand. Das weiße Elfenbein wurde gelb, dann braun und zerfiel zu Staub. Nur das Stichblatt des Speeres blieb im Sand zurück.

Muwattas Streitwagen war nur noch zwanzig Schritt entfernt. Der Luwier wollte ihn von den Pferden in den Boden stampfen lassen.

Artax sprang auf, packte seinen Schild und lief dem Streitwagen entgegen. Er wollte sich nicht einfach den Sichelklingen oder Hufen ausliefern. Er hielt genau auf die Mitte des Gespanns zu. Dort, wo die Deichsel zwischen den vier Pferden aufragte. Im letzten Augenblick ließ er sich nach vorn fallen, drehte sich auf den Rücken und hob den Schild über sich. Rechts und links von ihm wühlten Hufe den trockenen Boden auf. Er schob den Schild über den Bauch. Der Boden des Streitwagens war über ihm. Mit beiden Händen griff er nach einer der Querstreben, die den federnden Lederboden stützten. Er wurde vom fahrenden Wagen fortgerissen. Seine Fersen und Waden schleiften über den Sand. Er wurde halb herumgerissen, kam den Speichen der Wagenräder gefährlich nah. Artax biss die Zähne zusammen, arbeitete sich weiter vor, während Muwatta im nunmehr staubverhangenen Flussbett wendete. Artax griff um die Kante des Bodens, packte die Fahnenstange. Über ihm schwang der scharlachfarbene Umhang Muwattas. Artax packte ihn mit beiden Händen.

Muwatta verlor das Gleichgewicht und stürzte vom Wagen.

Artax lag lang auf den Boden gestreckt. Er keuchte. Er war fast am Ende seiner Kräfte. Die Wunde in seiner Schulter blutete und seine Fersen und Waden waren tief aufgeschürft. Er stemmte sich hoch. Muwatta war schon auf den Beinen. Der Luwier griff nach seinem Schwert, doch die Klinge hatte sich beim Sturz in der Lederscheide verbogen und wollte nicht hinausgleiten.

Artax’ Schwert lag zu weit entfernt, dort wo er Muwattas Speer zerstört hatte. Er stürmte vor, rammte dem Unsterblichen die unverletzte Schulter gegen die Brust und packte dessen Gürtel. Er musste sich mit beiden Händen daran festhalten, um auf den Beinen zu bleiben.

Muwatta ließ von seinem Schwert ab. Er versuchte nicht, sich aus dem Griff zu lösen, sondern hob die Rechte und stieß mit steifen Fingern nach Artax’ Schulterwunde.

Der sengende Schmerz ließ den Unsterblichen aufschreien.

»Du bist tot!«, rief Muwatta, legte ihm die Hände um die Kehle und drückte mit aller Kraft zu.

Artax dachte an die schmutzigen Kampftricks, mit denen Kolja so gerne angab, und stieß Muwatta seinen Kopf ins Gesicht. Er hörte das Nasenbein des Unsterblichen brechen. Artax blinzelte benommen. Grelle Lichtpunkte tanzten ihm vor den Augen. Das kam in Koljas Erzählungen nie vor.

Blut schoss aus Muwattas Nase, doch er lockerte seinen Griff nicht. Artax’ Lungen schienen in Flammen zu stehen. Seine Finger lösten sich von Muwattas Gürtel und streiften den Griff seines Dolches. Entschlossen packte er zu, zog die Waffe und stieß sie Muwatta in die Taille.

Sofort lockerte sich der Würgegriff um seinen Hals.

Artax stieß ein zweites Mal zu und wich von Muwatta zurück. Der Unsterbliche brach in die Knie. Blut rann in Strömen aus seiner Nase.

Artax packte das lange Haar des Luwiers, riss dessen Kopf nach hinten und setzte ihm den Dolch an die Kehle.

»Genug!«, rief Išta.

»Dein Leben liegt in meiner Hand, Muwatta«, rief Artax. »Ich bin des Streitens mit dir müde. Tausende waren Zeugen deiner Niederlage. Die Götter erlauben nicht, dass ein Unsterblicher den Tod findet. Ich füge mich ihrem Gebot. Doch ich erkläre dich für tot. Du bist nur noch ein Schatten. Du herrschst nur noch dank meiner Gnade.« Artax trat zurück und schleuderte den Dolch von sich. Er taumelte, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Muwatta hob den Kopf. »Du glaubst, du hast gesiegt. Dabei hast du das verloren, was dir am meisten bedeutet.«

Artax wandte sich ab. Er wollte dieses erbärmliche Geschwätz nicht hören. Wollte allein sein.

»Ich habe deine Prinzessin bestiegen. Und mein halbes Königreich hat zugesehen. Du hättest hören sollen, wie sie geschrien hat. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen.«

»Du lügst«, zischte Artax angewidert und zugleich erschrocken darüber, dass Muwatta offenbar von Shaya wusste.

»Willst du wissen, wie es war? Zwei Stunden lang habe ich sie auf jede erdenkliche Art genommen. Sie hat geschrien, bis ihre Kehle wund war. Vor lauter Leidenschaft hat sie den Verstand verloren. Als ich von ihr abließ, war sie nur noch eine brabbelnde Irre, die mich darum gebeten hat weiterzumachen. Erst habe ich nicht verstanden, was du an diesem hageren, narbigen Weib gefunden hast. Aber als ich mit ihr fertig war, wusste ich es.«

Artax drehte sich langsam um. Er sollte gehen und sich dieses Gerede nicht weiter anhören. Es konnte nicht stimmen. »Die Götter erlauben nicht, dass ein Unsterblicher die Tochter eines anderen Unsterblichen zum Weib nimmt.«

Muwatta kniete noch immer. Er presste eine Hand auf die Wunden in seiner Hüfte. Blut rann durch seine sehnigen Finger. Hatten diese Hände Shaya berührt? Unmöglich!

»Du glaubst mir nicht? Soll ich dir ihre Narben beschreiben? Besonders hässlich war eine dicht unter ihrem Schlüsselbein. Ich musste immer wieder darauf starren, als sie für mich die Beine breitgemacht hat. Es ist eine rote Mulde voller runzligem Narbengewebe zurückgeblieben.«

Artax war wie vom Donner gerührt. Er dachte an die Nacht unter den Zwillingsmonden Nangogs, als sie ihr Wams geöffnet und seine Hand unter ihre Tunika geführt hatte. So weich war ihre Haut gewesen. Zart wie Frühlingsblüten. Er hatte die Narbe berührt. Sie befand sich genau an der Stelle, die Muwatta gerade beschrieben hatte, dicht unter dem Schlüsselbein. Eine luwische Dornaxt hatte sie dort getroffen, als sie erst sechzehn gewesen war.

»Jetzt glaubst du mir. Ich sehe es in deinen Augen.« Muwatta stand schwankend auf. »Und, König Geisterschwert – wie schmeckt dir dein Sieg jetzt?«

»Du hast recht«, sagte Artax ruhig. »Unsere Fehde endet noch nicht.«

Aller Schmerz war vergessen. Kalter Zorn gab ihm neue Kraft. Sein Schwert lag etwa zwanzig Schritt entfernt. Er würde Muwatta töten. Ganz gleich, was geschah. Er würde …

»Aaron von Aram!«, rief Išta mit Donnerstimme. »Du verlässt diesen Richtplatz nicht! Ich klage dich des Betrugs an.«

Artax achtete nicht weiter auf die Worte der Göttin. Er wollte sein Schwert. Wollte Muwattas Kopf. Wollte … Tränen schossen ihm in die Augen. Was hatte der Luwier Shaya angetan? Wie hatten die Götter das dulden können!