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Datames räusperte sich leise. »Bessos …«, sagte er noch einmal.

»Brich ihm Arme und Beine und leg ihn zu den toten Pferden. Er ist ein Stück Aas. Sollen ihn die Aasfresser holen«, brach es aus Artax heraus. »Seinetwegen sind viele gute Männer gestorben.«

»Wollt Ihr die Entscheidung vielleicht noch einmal überdenken? Das klingt nicht wie der besonnene Aaron, den ich zu schätzen gelernt habe.«

Doch, es klingt ganz genau wie Aaron, dachte Artax und starrte seinen Hofmeister an. Datames trug wieder einen Wickelrock. Nichts erinnerte mehr an den tödlichen Krieger, der er noch vor ein paar Stunden gewesen war. Er war unverletzt, obwohl er stets im dichtesten Kampfgetümmel gefochten hatte.

»Du hast recht«, gestand Artax ihm müde zu. »Lass Bessos in meinen Palast bringen. Sperrt ihn in den tiefsten Kerker! Ich werde später über ihn richten. Und nun lass mich bitte allein. Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich … Morgen früh werde ich wieder einen klaren Kopf haben.« Artax bezweifelte das, aber er konnte den Staatsgeschäften nicht länger als ein paar Stunden davonlaufen. Das wusste er nur zu gut.

»Ich weiß, Ihr seid erschöpft, Unsterblicher, aber vor Eurem Zelt steht Hauptmann Ashot. Es ist dringend.«

Artax seufzte. »Dann soll er hereinkommen.«

»Ich glaube, es wäre besser, wenn Ihr hinausgeht.«

Der Unsterbliche erhob sich. Wieder versetzte die Wunde ihm einen Stich. Vor dem Zelt hatten sich die Löwen von Belbek versammelt. Sie alle hatten ihre Rüstungen poliert und standen stramm, als seien sie zu einer Parade auf dem Hof seines Palastes angetreten. Die Hälfte von ihnen trug Fackeln. Sie wirkten seltsam feierlich. Ashot hatte gerötete Augen. Ein hässlicher Schnitt lief quer über sein Gesicht, und ein blutiger Verband war lose um seinen rechten Oberschenkel geschlungen.

»Hauptmann Ashot, was ist dein Begehr?« Artax hatte das Gefühl, dass auch er sich förmlich geben sollte.

Sein Freund aus Belbek trat zur Seite. Auf einem großen Schild, in die scharlachroten Umhänge von Muwattas Leibgarde eingehüllt, lag ein Toter.

»Mächtiger Aaron«, Ashots Stimme zitterte, als er sprach. »Herrscher aller Schwarzköpfe, Ihr habt meinem Freund heute Morgen ein Versprechen gegeben. Ich weiß, wie vermessen es ist, Euch daran zu erinnern …« Ashot rang mit den Tränen. »Ihr sagtet: Wenn dieser Tag vorüber ist, werde ich mit euch beiden nach Belbek gehen und von euren Heldentaten berichten, auf dass es niemals jemand wage, euch Lügenmäuler zu nennen. Es hätte ihm viel bedeutet …« Seine Stimme brach. Er setzte noch zwei Mal an zu sprechen, brachte aber kein Wort mehr hervor.

Epilog

Streitwagen jagten über die nächtliche Ebene. Ashot glaubte es immer noch nicht. Der Unsterbliche hatte es wirklich getan! Er würde Nareks Wunsch erfüllen. Der Hofmeister war entsetzt gewesen. Und ganz unrecht hatte Datames nicht. Es hatte Tausende Tote gegeben. Wenn Aaron einen von ihnen mit allen Ehren persönlich in ein kleines Dorf brachte, würde es Gerede geben. Warum dieser Mann? Warum nicht unser Ehemann, Vater, Bruder, Freund? Und dennoch hatte der Unsterbliche nicht einen einzigen Augenblick gezögert. Ashot war überrascht gewesen, wie betroffen Aaron gewirkt hatte, als er den toten Narek gesehen hatte. Man hätte glauben mögen, die beiden wären Freunde gewesen.

Narek war auf einem großen, vierrädrigen Wagen aufgebahrt worden. Und fünfzig Streitwagen folgten ihm als Eskorte. Etliche Krieger aus der Garde der Himmelshüter befanden sich in ihrem Gefolge. Prächtige Gestalten mit wehenden, weißen Umhängen, Bronzepanzern und hohen Helmen, die mit weißen Pferdeschweifen geschmückt waren. Sie waren Aarons Leibwachen, wenn er in seinen schwebenden Palästen über die Himmel von Nangog zog. Zumindest hatte man es Artax so erzählt. Doch wirklich vorstellen konnte er sich schwebende Paläste nicht. Auch alle Überlebenden der Löwen von Belbek waren dabei. Zwei Verwundete hatten auf dem großen Wagen einen Sitzplatz gefunden.

Die Krieger neben den Wagenlenkern hielten Fackeln. Es herrschte feierliches Schweigen. Nur das Trommeln der Hufe und das Klirren des Zaumzeugs waren zu hören.

Aaron hatte sie durch das magische Tor geführt, und wenn Ashot richtig verstanden hatte, war das Portal, durch das sie hinaustraten, schon seit sehr langer Zeit nicht benutzt worden. Es hatte den großen, silbernen Löwen, der ihr Führer war, einige Mühe gekostet, es zu öffnen. Als sie das Nichts verließen, waren sie in die Abenddämmerung getreten. Sie hatten ein zweites Mal an einem Tag die Sonne untergehen sehen! Aaron hatte ihm erklärt, dass es daran lag, dass Belbek so weit im Westen von Kush lag, dass sie im Nichts den Lauf der Sonne überholt hatten. Ganz verstanden hatte er das nicht, aber Ashot wollte sich nicht die Blöße geben nachzufragen.

Sie fuhren jetzt am Palmenhain vorbei, der eine halbe Meile vor dem Dorf lag. Der Weg machte hier einen weiten Bogen. Über die Felder kam man viel schneller nach Belbek. Ashot trommelte unruhig mit den Fingern auf die Wand des Streitwagens. Er wusste immer noch nicht, was er Rahel sagen sollte, wenn er vor ihr stehen würde. Er wünschte, der Weg hätte noch länger gedauert.

Bald passierten sie die ersten Hütten. Sie kamen an der verfallenen, uralten Mauer bei der Zeder vorbei. Dort hatte er viele Abende mit Narek und ihrem verlorenen Freund Artax beisammengesessen. Er verdrängte den Gedanken.

Der Fackelzug passierte den Marktplatz. Alle Straßen des Dorfes waren wie ausgestorben. Die Läden vor den Fenstern geschlossen. Kein Licht brannte.

Aaron fuhr an der Spitze des Zuges. Er trug seinen unheimlichen Löwenhelm. Die ganze Reise schon. Nun gab er das Zeichen zum Halten. Woher wusste er, dass Rahels Haus am Marktplatz lag?

Der Unsterbliche winkte ihn zu sich. »Bringe mich zu Nareks Haus«, klang es dumpf unter dem Maskenhelm.

Ashot war erleichtert, dass ihr Herrscher doch nicht alles wusste. Nareks Leichnam wurde vom Wagen gehoben. Er war wohlhergerichtet und mit duftenden Harzen behandelt worden. Lamgi und fünf weitere der Löwen von Belbek hoben den Schild mit dem Toten vom Wagen. Um sie herum postierten sich die Himmelshüter.

Ashot konnte spüren, wie sie durch Fensterritzen beobachtet wurden. Sicher fürchteten sich die einfachen Bauern zu Tode.

Er ging auf das kleine Lehmhaus am nordöstlichen Ende des Marktplatzes zu und klopfte an die graue, von Wind und Wetter gezeichnete Tür. Ashot konnte drinnen ein Rascheln hören.

»Ich bin es, Rahel. Ashot.«

Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür einen winzigen Spaltbreit öffnete.

»Wer bist du?«, fragte eine ängstliche Frauenstimme.

Ashot nahm seinen Helm ab und winkte einem Fackelträger, näher zu kommen, sodass Licht auf sein Gesicht fiel.

Rahel zögerte. Endlich sagte sie verwundert: »Du bist es tatsächlich. Du … Wo ist Narek?«

»Bitte öffne deine Tür. Der Unsterbliche Aaron, Herrscher aller Schwarzköpfe, ist gekommen, um mit dir zu sprechen.«

»Ich weiß nicht, worum es hier geht, Ashot, aber das ist kein guter Scherz.«

»Er sagt die Wahrheit, Rahel von Belbek.« Die Stimme des Unsterblichen klang rau und dunkel. Auch er hatte jetzt seinen Helm abgenommen.

Rahel sah an Ashot vorbei. Er konnte sehen, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.

Sie öffnete ihnen weit die Tür und trat in das kleine Zimmer zurück, in dem sie lebte und schlief. Daron stand in einer Ecke des Zimmers und beobachtete sie ängstlich. Er hielt einen seltsamen schwarz-weißen Stein in Händen und hatte ein Holzschwert durch einen Gürtel geschoben, der aus einem Stück altem Seil gemacht war. Den Jungen zu sehen brach Ashot nahezu das Herz. Wie sollte er es sagen? Er wusste immer noch nicht …

Die Totenträger kamen herein und legten den mächtigen Schild in der Mitte der Kammer ab.