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»Dort hinein!« Geberic war vor einem runden Durchgang stehen geblieben, der von einem schweren, roten Vorhang verschlossen wurde.

Der Kerl führte sich auf wie ein Gefängniswärter, dachte Nandalee, trat mit einem Gefühl der Beklommenheit durch den Vorhang und fand sich in einer Höhle wieder, wie sie noch keine gesehen hatte. Sie maß vielleicht zwanzig Schritt und war mit Tischen, Regalen, Kisten und Figuren, auf denen Kleider drapiert waren, vollgestopft. Am auffälligsten jedoch war das riesige Bett in der Mitte der Höhle. Schwere, dunkelrote Decken lagen darauf, umlagert von bunten Kissen. Goldene Pfosten, um die sich Efeuranken aus Jade wanden, strebten der Höhlendecke entgegen. Die Höhlendecke selbst war vom lichten Blau eines Sommerhimmels. Vögel mit ausgebreiteten Schwingen waren auf die Decke gemalt. An einigen Stellen hingen sogar ausgestopfte Vögel davon herab.

Nandalee ging die weite Treppe hinab, die zur Höhle führte. Der Boden war unregelmäßig. An manchen Stellen erhoben sich Felssimse wie kleine Inseln. Meist waren sie von Tischen gekrönt, auf denen sich Schriftrollen und aufgeschlagene Bücher stapelten. Nandalee war verwundert, wie man sich mit so viel Plunder umgeben konnte. Sie könnte an einem solchen Ort nicht leben. Wie konnte man schlafen, umgeben von so viel unvollendeter Arbeit? Sie hatte den Eindruck, dass Amalaswintha auf der Suche nach etwas war. All die Schriften … Und dann gab es noch seltsame Metallobjekte, deren Bedeutung Nandalee verschlossen blieb. Gebilde aus ineinandergreifenden Metallringen, an denen unterschiedlich große Kugeln befestigt waren. Ein Messingrohr, in das ein geschliffener Bergkristall eingesetzt war. Metallzylinder. Auf einem Tisch lagen seltsam geformte Messer und Scheren. Alle waren gekrümmt oder gezackt. Wozu brauchte Amalaswintha all das?

Nandalee entdeckte ein großes Konstrukt aus seltsam gebogenen Drähten, auf die in unregelmäßigen Abständen Steinkugeln aufgezogen waren. Fast in der Mitte dieses merkwürdigen Objekts war ein großer Amethyst angebracht. Direkt daneben eine kleine Kugel aus weißem Marmor. Nandalee ließ ihre Finger über die steifen Drähte gleiten. Manche waren aus dickem, von rotbraunem Flugrost verkrustetem Eisen, andere aus Silber oder Kupfer, einige wenige sogar aus Gold. Inmitten der goldenen Drähte gab es eine Kugel aus einem hellen, blauen Stein, in den ein in Gold gefasster Rubin eingelassen war. Nandalee stutzte. Sie blickte zur himmelblauen Decke und zu dem roten Bett mit den wuchtigen goldenen Bettpfosten inmitten der Höhle.

Nandalee versuchte, sich im Geiste den Weg zur Schmiede Galars vorzustellen, und tastete dabei blind entlang der Drähte. Als ihre Finger eine raue Kugel berührten, öffnete sie die Augen. Die Kugel war aus angerostetem Eisen. Neugierig schnupperte Nandalee daran. Sie stank nicht nach Koboldkäse. Passte eine Eisenkugel zu einem Schmied? Ja!

Fasziniert von dieser Art, das komplexe Höhlensystem der Zwergenstadt darzustellen, studierte Nandalee das Geflecht aus Drähten und versuchte sich jede Windung einzuprägen. Ein großer, geschliffener Aquamarin stellte den Hafen der Stadt dar. Aber es schien noch andere, kleinere Häfen zu geben, von denen sie bislang nichts gewusst hatte. Einer lag sogar ganz in der Nähe dieser Höhle. Er unterschied sich von allen anderen Häfen dadurch, dass noch eine kleine, gläserne Linse unter den Aquamarin gehängt war. Verwundert studierte sie die Umgebung des Hafens, fand aber keinen Hinweis darauf, was die Linse bedeuten mochte.

Amalaswinthas unterirdischer Palast war deutlich größer, als Nandalee erwartet hatte. Er wurde mit goldenen Drähten dargestellt und hob sich deutlich vom übrigen Tunnelplan ab. Dies war die bei Weitem beste Karte der Tiefen Stadt, die sie sich vorstellen konnte, dachte Nandalee. Vielleicht konnte sie ein ähnliches Modell erstellen, wenn sie mit anderen Drachenelfen den Anschlag auf die Mörder des Schwebenden Meisters plante.

Leise Schritte ließen die Elfe aufhorchen. Sie fühlte sich ertappt und trat ein wenig vom Modell der Tiefen Stadt zurück. Amalaswintha kam um einen Schrank herum, der den Blick auf den hinteren Teil der Höhle versperrte. Das Haar der Zwergin schimmerte feucht. Sie trug ein langes, seitlich geschlitztes Nachthemd im rauchigen Silberton des ersten Morgenlichts. Amalaswintha bedachte Nandalee mit einem bezaubernden Lächeln. »Schön, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Dich interessiert das Modell der Tiefen Stadt?«

»Es ist überaus eindrucksvoll. Und was die Einladung angeht, war Geberic recht deutlich.«

Amalaswintha schnalzte mit der Zunge. »Ach, ach, Geberic … Der Gute nimmt seine Aufgaben manchmal ein wenig zu ernst. Es tut mir leid, falls du dich unter Druck gesetzt gefühlt hast. Du bist mein Gast. Es steht dir frei, zu kommen und zu gehen, wie es dir beliebt.« Die Zwergin stand jetzt dicht vor ihr. Ein Duft wie von süßen Birnen haftete ihr an. Sie bedachte Nandalee mit einem koketten Augenaufschlag. »Möchtest du lieber gehen?«

Nandalee fühlte sich unwohl. »Das Modell … zeigt das alle Tunnel und Höhlen der Tiefen Stadt?«

Amalaswintha wirkte einen Augenblick lang überrascht, hatte sich aber fast sofort wieder unter Kontrolle. »Es ist unvollständig, Arbinumja. Ich habe seit Jahren nicht mehr daran gearbeitet. Einige Tunnel werden vom Alten in der Tiefe geheim gehalten.« Sie lachte zynisch. »Ich habe sie nicht in das Modell aufgenommen, um mir keinen Ärger mit ihm einzuhandeln. Andere sind ganz neu. Zum Beispiel hat dieser unsäglich stinkende Schmied in aller Heimlichkeit und gegen die Gesetze der Tiefen Stadt einen kleinen Seitentunnel angelegt, der unter der Wasseroberfläche seines Brunnens verborgen liegt. Es gibt sogar eine Anbindung an einen der Luftschächte. Wahrscheinlich verbirgt der Stinker dort seine größten Schätze. Was immer das auch sein mag. Wirklich wohlhabend ist er nicht.«

Nandalee empfand die Distanzlosigkeit Amalaswinthas als überaus unangenehm. Deutlich malten sich die Brüste der Zwergin durch das Nachthemd ab. Es war unübersehbar, was sie für diesen Abend geplant hatte. Warum tat sie das? Und wie könnte sie ihr klarmachen, dass sie keinerlei Interesse an einem Abenteuer mit ihr hatte, ohne sie zu verärgern? Am besten, sie flüchtete sich in belanglose Plauderei! »Dort unter deinem Hafen gibt es eine seltsame Glaslinse. Was bedeutet sie?«

»Eine Spielerei. Ich nenne diesen Ort den geheimen Garten. Eigentlich liegt er im Hafen meines Palastes, aber ich habe keine Möglichkeit gefunden, es besser darzustellen. Es ist eine Kuppel aus Tausenden kleinen Glasscheiben. Um in sie hineinzugelangen, muss man durch das Becken tauchen. Deshalb werde ich dort nur selten gestört. Es gibt nur wenige Zwerge hier in der Tiefen Stadt, die schwimmen können. Kannst du schwimmen?«

Nandalee nickte.

»Ich liebe diesen Ort. Er ist durchtränkt von Blütenduft. Vielleicht schwimmen wir einmal gemeinsam dorthin.« Amalaswintha beugte sich vor und schnupperte an Nandalees Bart. »Du hast die Seife mit dem Rosenduft benutzt. Wie schön.«

Nandalee räusperte sich beklommen und wich ein Stück vor der Zwergin zurück. »Woher weißt du um die geheimen Tunnel?«

Ihre Gastgeberin blickte zu dem großen Bett und lächelte unzweideutig. »Männer geben gerne an. Damit, wer den längsten … Bart hat. Und auch damit, was sie sonst für tolle Hechte sind. Du würdest dich wundern, wenn du wüsstest, was mir in diesem Bett schon alles erzählt worden ist.«

»Du hast mit Galar …«

Amalaswintha lachte laut auf. »Bei den Alben, nein! Dieser Stinker dürfte nicht einmal diese Höhle betreten. Manchmal, wenn ich dort im Bett liege und mein Kopf frei von allen anderen Gedanken ist, kann ich den Berg spüren. Das hört sich seltsam an, nicht wahr? Dieses Modell hier existiert, weil ich meinem Gefühl nicht vertraute. Ich habe es erschaffen und mir danach alle zugänglichen Karten zu den Tunneln bringen lassen. Alles stimmt. Auch jene Tunnel, die auf keiner Karte verzeichnet sind, existieren wirklich.«