Выбрать главу

Nandalee wäre es lieber gewesen, ein Thema zu finden, das gar nichts mehr mit Amalaswinthas Bett zu tun hatte. »Wie … wie fühlt sich ein Berg denn an?«

»Ich spüre die Wurzeln der Bäume, wenn der Wind sich in den Baumkronen verfängt. Ich weiß, wer von meinem Volk durch welchen Tunnel geht. Ich kann fühlen, wo sie graben. Manchmal kenne ich sogar die Gedanken derer, die im Berg sind.«

Nandalee musste sich zwingen, dem Blick der Zwergin standzuhalten. Jenen abgrundtiefen, grünen Augen. Nicht einmal die Himmelsschlangen vermochten ihre Gedanken zu lesen, ermahnte sie sich in Gedanken. Dieses Zwergenweib würde es ganz gewiss auch nicht können.

»Du bist ungewöhnlich, Arbinumja. Seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hattest du fünf Mal die Gelegenheit, Pilz, Met oder sogar Wein zu trinken, aber ich habe dich nur ein einziges Mal mit einem Bierkrug in der Hand gesehen. Du warst nie beschwipst. Du hast die Waschschüssel in deiner Kammer benutzt und sogar die Seife, die ich dazulegen ließ. Du machst keine plumpen Sprüche über meine Schönheit oder versuchst dich zu prügeln, um mir zu zeigen, wie männlich du bist. Du bist der unzwergischste Zwerg, dem ich je begegnet bin, Arbinumja. Was bist du?«

Nandalee wurde es heiß und kalt. Wenn es sein müsste, könnte sie Amalaswintha zum Schweigen, bringen und wahrscheinlich käme sie auch an Geberic vorbei. Aber wie sollte sie aus der Tiefen Stadt fliehen? Die wenigen Tore, die aus dem Berg führten, waren streng bewacht. Den Albenstern vermochte sie nicht aus eigener Kraft zu öffnen. Vielleicht würde sie an Bord von einem der Aale fliehen können.

»So schweigsam, Arbinumja? Du verstehst die Sprache der Elfen, zumindest behauptet das der Ratsherr Skorri. Und wenn du durch den Berg gehst, kann ich dich nicht spüren. Manchmal kommen sehr machtvolle Wesen hierher … Es ist mir noch nicht gelungen, einem von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Ich glaube, sie nehmen unsere Gestalt an. Vielleicht sind es die Alben.« Amalaswinthas Augen leuchteten. Sie wirkte wie eine Besessene. Aus den Augenwinkeln sah Nandalee ein kleines Messer zwischen Federkielen auf einem nahen Tisch liegen.

»Du, Arbinumja, bist wie ein Geist. Bleibst ungreifbar … Aber ich weiß, was du verbirgst und was du in Wahrheit bist.«

Nandalee wich ein Stück zurück. Das Federmesser war jetzt in ihrer Reichweite.

»Du bist ein Zauberweber, so wie ich!«

Nandalee griff nach der Klinge.

»Seit du ein Kind bist, fühlst du dich anders als alle anderen um dich herum. Nicht wahr? Manchmal geschehen dir seltsame Dinge. Es wird über dich getuschelt. Du hast keine Freunde. Und irgendwann ist es dir zur Natur geworden, dich abseits zu halten. Ich bin reich geworden, weil ich die Schätze in den Gebeinen der Erde spüren kann. Wer meinem Rat folgt, wenn er eine Mine anlegt, der wird fündig. Ich kann alles haben, was es für Gold zu kaufen gibt. Aber ich begehre nur noch eines. Ich will die Kunst des Zauberwebens erlernen. Und ich weiß, diese Kunst wird nicht aus dem Blut und den Knochen von Drachen destilliert. Was ist deine Gabe, Arbinumja?«

Nandalee strich mit der Hand über die Federkiele, als habe sie nie nach dem Messer gegriffen. »Manchmal, wenn ich mich sehr stark konzentriere, kann ich Dinge schweben lassen. Aber ich hüte mich, meine Gabe zu zeigen. In der Ehernen Halle fürchten sie Zauberweber. Sie werden in das riesige Mühlrad geworfen, das zum Zerkleinern des erzhaltigen Gesteins dient. Zauberweber sind gefährlich …«

»Unsinn!«, begehrte Amalaswintha auf. »Kleingeistige Narren denken so! Wir sind die Zukunft unseres Volkes, Arbinumja. Wir sind keine Ungeheuer. Aber wir müssen lernen, unsere Kräfte zu formen, so wie ein Schmied lernt, das Eisen zu formen. Es ist nicht gerecht, dass die Drachen nur ihre Lieblinge, die Elfen, zu Zauberwebern machen. Auch in uns schlummert diese Gabe. Nun verrate mir, was du kannst.«

Sie wies mit weit ausholender Geste auf die Bücher und Schriftrollen. »In allen Völkern Albenmarks gibt es Einzelne, die dazu geboren sind, die Welt zu verändern. Bei den Elfen scheint die Gabe besonders häufig zu sein. Aber man findet sie auch bei Kobolden, Kentauren und den scheuen Faunen. Selbst Trolle sind manchmal von Magie berührt. Es gibt Hunderte Geschichten darüber. Viele Zauberweber werden gefürchtet und verfolgt. Der Begabung haftet ohne Zweifel eine dunkle Seite an. Aber ich bin überzeugt, man kann sie beherrschen, wenn man mit der Gabe umzugehen versteht.«

Nandalee dachte an Sayn, jenen jungen Elfen, der sie so herablassend behandelt hatte, als sie in der Höhle des Schwebenden Meisters darum gerungen hatte, eine Zauberweberin zu werden und nicht nur ein Gefäß für eine unkontrollierte Macht zu sein. Nie würde sie Sayns letzten Augenblick vergessen. Als seine Rippen sich wie Schmetterlingsflügel auffalteten und sein Fleisch durchstießen. Als sich sein Innerstes nach außen kehrte. Sie hatte Sayn gehasst. War es dieser Hass, verbunden mit ihrer Gabe, der ihn getötet hatte? Oder war er es, dem ein Fehler unterlaufen war? Die Antwort würde sie nie erfahren.

»Woran denkst du?«

»An die Gabe, die in uns wohnt.«

»Was ist dein Zauber, Arbinumja?«, drängte Amalaswintha erneut.

Nandalee wollte fort. Sie musste einen Weg aus der Tiefen Stadt finden. Wie lange würde es dauern, bis die Zwergin begriff, wer sie wirklich war? »Meine Kräfte sind schwach.« Sie blickte zu den Federkielen auf dem Tisch und schnitt eine Grimasse, als würde sie versuchen, einen schweren Felsbrocken anzuheben. Dabei dachte sie an den Wind, der einst unter den Federn dahingeeilt war. Dachte an seine Kraft und griff nach der Magie, die allen Dingen innewohnte. Sie hob die Hand. Und eine der Federn hob sich um einen Zoll. Sie hätte sie ohne Mühe bis zur Decke schweben lassen können. Ja, sie könnte sogar deren Farbe verändern. Aber sie wollte so wenig wie möglich von sich preisgeben. Mit einem schweren Seufzer ließ sie in Gedanken die Feder los und sie fiel zurück auf den Tisch.

Amalaswintha wirkte nicht sonderlich beeindruckt. »Daraus könnte man gewiss noch mehr machen.«

»Mehr würde mich umbringen«, stieß Nandalee schwer atmend hervor.

Die Zwergin lächelte milde. »Morgen Abend wird sich dein Leben für immer verändern, Arbinumja. Mit mir gemeinsam wirst du den ersten Schritt zur Beherrschung der Magie gehen. Lass dich überraschen … Und nun darfst du dich zurückziehen, denn wie mir scheint, mangelt es dir an Kräften, um mich heute noch angenehm zu unterhalten. Ruhe sanft, mein Zauberlehrling.«

Die letzte Schlacht

Shaya trat in die Rote Jurte. Noch war niemand hier, doch der Tisch mit den hölzernen Winkelstücken und den breiten Lederbändern war schon hergebracht worden. Sie stellte sich vor, wie man ihren Kopf festschnallen würde.

Rasch wandte sie den Blick ab. Shaya war zu früh gekommen. Sie hatte dieses Zelt gewählt. Niemand würde sie hier stören. Es kam nur sehr selten jemand in die Rote Jurte. Nur, wenn der Wandernde Hof einen neuen Weg nehmen sollte oder wenn ein Kriegszug in unbekannte Gebiete geplant wurde. Als Kind hatte sie die Rote Jurte geliebt. Sie war ihr Zufluchtsort gewesen. Ein Platz, an dem niemand eine Prinzessin suchte. Fast nichts hatte sich hier verändert in all den Jahren.

Der breite Kartentisch war zur Seite geschoben worden, um jenem Tisch Platz zu machen, auf dem die Shaya, die sie sein wollte, ihrem Vater und ihrem Volk geopfert werden würde. Sie schlang sich die Arme um den Leib, als ein Schauer sie überlief.

Shaya blickte hinauf zum Dach der Jurte. Der rote Stoff des Zelthimmels war mit den Jahren fadenscheinig geworden. Etliche Lederflicken waren neu hinzugekommen. Warmes, rötliches Licht drang durch den Stoff. Sie blickte zu den niedrigen Regalen vor den Lattengittern, die die Wände der Jurte aufrecht hielten. Hier lagen, für die Ewigkeit in Ton gebrannt, die Reiseberichte der Gesandten ihres Vaters. Genaue Beschreibungen von Straßen, Pässen und Furten. Sie wiesen den Weg in die Reiche ihrer Nachbarn, sollte der Frieden, den die Devanthar erzwungen hatten, eines Tages enden. So viele Stunden hatte sie hier lesend verbracht und von fernen Ländern geträumt.