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Wollten die Daimonenkinder überhaupt Nangog an sich reißen? Doch warum sonst wäre er ihnen dort zwei Mal begegnet? Was hatten sie in der Kristallhöhle zu suchen gehabt? Aaron hatten sie getötet und ihn beinahe. Er dachte an das Gemetzel, das sie unter seinen und Shayas Männern angerichtet hatten. Es war mit ihnen wie mit den Ratten. Bestimmt waren noch mehr von ihnen auf Nangog, und wenn eines gewiss war, dann dass ihnen nicht das Wohlergehen der Menschen am Herzen lag.

»Ich werde kämpfen«, sagte Artax leise, aber bestimmt.

Der Löwenhäuptige schenkte ihm sein schreckliches Lächeln, sprang auf den Altar, hob die Arme gen Himmel und verging in einer Flamme.

Wie selbstlos! Wir sind zutiefst gerührt, Artax.

Schweig! Du hast nie eine solche Entscheidung getroffen. Was wiegt das Leben einiger Tausend gegen das Schicksal einer Welt? Selbst in Gedanken klang seine Stimme fremd in seinen Ohren. Schrill vor Verzweiflung. Du kennst mich nicht, Aaron!

Wir sind mehr als ein Dutzend Leben, Artax. Wie viel Niedertracht oder Größe mag es geben, die wir nicht selbst durchlebt haben? Wir alle waren verschieden. Das ist es, was den Devanthar an uns reizt. Er will beobachten, wie die Last der Herrschaft unser Herz und unseren Charakter verändert. Eisen gewinnt seine Härte unter dem Hammer des Schmiedes, habe ich mir sagen lassen. So ist es auch mit unseren Herzen. Tag um Tag, Stunde um Stunde ist das Herz des Herrschers den Hieben des Schicksals ausgeliefert. Mehr, als ein Bauer es sich je vorstellen könnte, Artax. Auch du weißt nun darum. Und du weißt auch, dass du längst begonnen hast, dich zu verändern.

»Keiner von euch war je wie ich! Ich habe eine Vision von einer Welt, die ein besserer Ort für die einfachen Menschen sein wird. Und von meinem Teil, den ich dazu beitragen kann. Ich wurde nicht in Seidenwindeln geboren. Ich weiß, was es heißt zu hungern. Ich werde die Welt davor bewahren – und vor der Willkür von Herrschern wie dir und Muwatta!«

Nach einer kurzen Pause flüsterte Aaron süffisant: Bist du dir ganz sicher, dass es darum geht? Oder versteckst du dich hinter großen Worten und hast dich in Wahrheit nur für ein einziges Leben entschieden? Deines!

Am Ende der Welt

Barnaba lehnte an einem hausgroßen Felsblock und blickte keuchend in das weite Tal hinauf. Jetzt war ihm klar, warum niemand hierherkam. Die Monde der Wanderschaft hatten ihn abgehärtet, aber der Aufstieg in dieses Tal hatte ihn an die Grenzen seiner Kraft gebracht. Da gibt es nichts außer dem Regenbogen und Einsamkeit, hatten die Ziegenhirten erzählt, die zu den Bergweiden weiter südlich von hier gezogen waren. Dabei hatten sie verstohlene Blicke getauscht, als gäbe es etwas, das sie verschwiegen. Es waren diese Worte und Blicke, die Barnaba verführt hatten, schon als er sie das erste Mal hörte. Ein Tal der Einsamkeit mit einem Regenbogen … Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.

Von ferne hörte er das Rauschen eines Wasserfalls, sehen konnte er ihn aber noch nicht. Er brauchte Einsamkeit, um eine Entscheidung zu treffen. Dazu musste seine Seele Frieden finden. Seit dem Massaker an den Priestern Arams träumte er davon, seine Brüder zu rächen. Er stellte sich vor, wie er in den Palast des Unsterblichen Aaron schlich und dessen Unverwundbarkeit mit einem langen Dolch auf die Probe stellte.

Auf seinem Weg hierher hatte er die langen Kolonnen marschierender Krieger gesehen. Es würde eine Schlacht auf der Hochebene Kush geben. Einen Kampf, wie ihn die beiden Provinzen Garagum noch nicht gesehen hatten. Hunderttausend Männer sollten aufeinandertreffen. Bis in die einsamsten Dörfer hatte es sich herumgesprochen, und an jedem Ort, den Barnaba in den letzten Monden durchquert hatte, wurden Vorräte beschlagnahmt. Das ohnehin schon karge Bergland wurde geplündert, um die Todgeweihten zu füttern. Und all dies hatte mit dem Irrsinn begonnen, einem Daimonenkind unbedingt ein Himmelsgrab schenken zu wollen.

Tränen der Wut stiegen dem ausgemergelten Priester in die Augen, wenn er daran dachte. An die Willkür des Tyrannen Aaron. Ein Leben zählte nichts für den Unsterblichen. Tausend Leben waren ein Furz. Wie viel Blut musste fließen, bis Aaron begann, über seine Untaten ins Grübeln zu geraten?

Wenn er nur an Aaron herankäme! Juba, der Bluthund des Unsterblichen, war fast immer in dessen Nähe. Und Juba war es auch gewesen, der das Massaker an den Priestern befehligt hatte. Er war Aarons Feldherr, der Befehlshaber seiner Leibwache, sein Vertrauter. Er wachte über jeden, der in die Nähe des Herrschers wollte. Wie käme er an Juba und den Leibwachen vorbei? Darüber zermarterte er sich seit Monden den Kopf. Gewiss nicht als Priester, darüber war sich Barnaba im Klaren. Die Priesterschaft hatte jegliches Vertrauen des Herrschers verloren. Noch so ein Irrsinn! Wie konnte Aaron glauben, ein Volk lenken zu können, ohne ihm geistlichen Trost zu gewähren! Aaron war verrückt! Das war die eine Antwort, die all seinen Taten Sinn einhauchte. Aram wurde von einem Wahnsinnigen beherrscht. Aber warum ließen die Devanthar ihn gewähren?

Barnaba stieß einen tiefen Seufzer aus. Was taten die Götter? Und was trieb ihn, sich anzumaßen, sich als Richter und Henker in ihre Spiele einzubringen? Er war nur ein Priester. Und ganz offenbar kein besonders guter, wenn er über einen Mord nachdachte.

Er stieß sich von dem großen Felsblock ab. Seine Beine schmerzten. Seine Kehle brannte. Das Geräusch des fallenden Wassers machte seinen Durst noch schlimmer.

Es gab keinen Pfad in diesem Tal. Nicht einmal einen Wildwechsel hatte er bislang entdecken können. Der Boden war mit losem Geröll bedeckt, zwischen dem kümmerliche Grasbüschel gediehen. Es gab kaum noch Grün in dieser Höhe. Keinen einzigen Baum. Nur vom Wind geduckte Büsche.

Es war mühsam, sich einen Weg über das Geröll zu erkämpfen. Er hatte kaum einen Blick für die seltsamen Felswände. Breite, blaugraue Bänder liefen durch das rötliche Gestein. Manchmal auch ein schmaler, weißer Streifen. Einige der Steilwände waren so glatt, als sei das Gestein mit einem riesigen Messer durchtrennt worden.

Sein Atem ging keuchend. Schweiß rann ihm in die Augen. Endlich erreichte er eine Stelle, an der das Tal einen scharfen Rechtsknick machte. Er umrundete einen in den Himmel ragenden Felsturm, und der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihm das Herz aufgehen. Keine hundert Schritt entfernt stürzte ein Wasserfall ins Tal. Er war kaum zwei Armlängen breit, aber das Wasser schien direkt aus dem Himmel zu kommen. Barnaba musste den Kopf weit in den Nacken legen, um die Felskante zu sehen, über die sich der weiße Wasserschleier ins Tal hinabstürzte. Eine Brise zerrte an dem Gazeschleier aus feinem Dunst, der das hinabschießende Wasser umspielte. Und inmitten des Dunstes erblühte ein Regenbogen.

Barnaba mochte sich gar nicht sattsehen an dem Schauspiel. Sein Durst war vergessen. Diesen Ort hatten die Götter erschaffen, um einen Mann allen Weltschmerz vergessen zu lassen. Hier würde er endlich seinen Frieden finden!

Als er den Blick schließlich senkte, schmerzte sein Nacken, so lange hatte er zum Regenbogen hinaufgeblickt. Der Wasserfall ergoss sich in einen kleinen See, um den eine Gruppe Bäume voller weißer Blüten stand. Eine einzelne, wilde Rose klammerte sich an die Felswand.

Barnaba sah sich skeptisch um. Es gab keine Anzeichen, dass jemals Menschen hier gewesen waren und versucht hätten, der Wildnis ihren Stempel aufzuprägen. Abgesehen von den blühenden Bäumen und der Rose. Eigentlich lag das Tal zu hoch, als dass hier Bäume hätten gedeihen dürfen.

Er ging zum Teich, ließ seinen schweren Wanderstab fallen und kniete nieder. Bevor er trank, betete er und dankte dem Löwenhäuptigen und den Göttern für die Gnade, ihn an diesen abgeschiedenen Ort geführt zu haben. Dann tauchte er sein Gesicht ins Wasser. Es war so kalt, dass er erschrocken zurückzuckte. Wahrscheinlich kam das Wasser geradewegs von dem Gletscher, der sich wie ein langer, weißer Bart vom Haupt des Berges, der das Tal überragte, gen Süden streckte. Irgendwo hinter diesem Berg lag der Gelbe Turm, der Sitz der Götter.