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Der Wagenlenker zerrte an den Zügeln. Langsam schwenkte der Wagen nach links. Er war auf weniger als zehn Schritt heran. Narek klapperten die Zähne. Das war doch Wahnsinn!

Ein scharfer Knall ertönte. Der Streitwagen wurde herumgerissen, als habe ihn die Faust eines unsichtbaren Riesen getroffen. Ein Rad flog ihnen entgegen und schlug keine zwei Schritt links von Narek in die Reihe der Schildträger. Es hatte einen Krieger mit silbernen Strähnen im Bart getroffen. Der Mann taumelte zurück gegen die Speerträger. Sein Schild war zerschmettert. Blut rann von seiner Stirn und färbte die silbernen Strähnen. Narek sah all dies so deutlich, als habe sich die Zeit entschieden, langsamer zu verstreichen. Der ausbrechende Wagen riss die Pferde herum. Die Deichsel traf einen der beiden Schimmel in den Bauch und zerbrach. Der Wagenlenker, der die Zügel nicht losgelassen hatte, wurde zwischen die Pferde gerissen. Er verschwand unter den weißen Leibern, die dem Schildwall entgegenschlitterten.

Panik brach unter den Kriegern aus. Sie ließen Schilde und Holzstangen fallen und drängten nach hinten. Die übrigen Streitwagen versuchten auszuweichen. Doch dort, wo sie am Schildwall hätten vorbeieilen sollen, versuchten nun Männer in blinder Panik das Ufer des trocken gefallenen Flusses hinaufzuklettern.

Narek sah einen jungen Mann, der knapp oberhalb der Knie von den Sichelklingen eines Streitwagens getroffen wurde. Beide Beine wurden abgetrennt. Sie blieben noch einige Herzschläge lang stehen und kippten dann langsam, wie gefällte Bäume, zur Seite.

»Du bist voller Blut.«

Ashots Stimme brach den Bann. Schreie brandeten auf Narek ein. Ringsherum geschah jetzt alles erschreckend schnell. Die meisten Männer aus dem Schildwall waren inzwischen die Uferböschung hinaufgelangt.

Keine zwei Schritt vor ihnen hatte der große Krieger mit den goldenen Haaren seinen Streitwagen zum Stehen gebracht. Er brüllte aufgeregt Befehle.

Narek wischte sich über das Gesicht und betrachtete das Blut auf seinen Fingern. »Ich bin nicht verletzt«, sagte er verwundert. Er blickte zu Ashot, der immer noch seine lange Holzstange hielt. Als Einziger.

»Schön«, murmelte sein Freund. Ashot war leichenblass. Eine steile Zornesfalte furchte seine Stirn.

»Das ist nur eine Übung, haben sie uns gesagt.« Narek sah sich um. Der Krieger, der seine Beine verloren hatte, war tot. Der Bauer hatte noch nie gesehen, wie jemand gewaltsam zu Tode kam. Auf diesen Anblick hätte er gut verzichten können. Hätte seine Angst ihn nicht buchstäblich erstarren lassen, dann hätte er es auch sein können, der dort lag. »Das ist nicht richtig, was hier passiert! Was üben wir hier? Wie es sein wird, gegen die Luwier zu verlieren?«

Ashot ließ seine Stange fallen. »Wir üben hier, auf Befehl zu verrecken.« Er deutete zu den Uferböschungen hinauf. Zu den Tausenden, die dort standen. »Von uns Bauern gibt es genug. Wir zählen nichts. Weißt du noch, wie wir früher beim Würfeln ein paar Weizenkörner gesetzt haben, um die Sache spannender zu machen? Genau das sind wir für den Unsterblichen. Ein paar namenlose Weizenkörner.«

Narek sah ihn lange an, dann senkte er den Blick. Diese Geschichte würde er seinem Sohn besser nicht erzählen.

Von Steinen und Mörtel

Artax blickte die drei Männer an, denen er am meisten vertraute. Sie waren allein in seinem großen Zelt. Selbst die Wachen waren abgezogen. Niemand würde hören, was an diesem Abend gesprochen wurde.

Volodi, der große, blonde Söldner aus Drus, wirkte nervös. Er wich seinem Blick aus, nestelte mit den Fingern am Rand seiner Tunika und schien vor Ungeduld förmlich platzen zu wollen. Er hatte die Streitwagen bei der Übung im Flussbett befehligt. Er hätte den Untergrund besser prüfen sollen.

Mataan, der Stadtfürst von Taruad, blickte ihm mit fast aufreizender Gelassenheit entgegen. Der stämmige Adlige hatte ihn und Juba begleitet, als er nach den Piraten gesucht hatte, die seine Zinnflotten angegriffen hatten. Trotz seiner ausgeprägten Adlernase war Mataan ein gut aussehender Mann, muskulös, mit vollem Haar und dichtem Bart. Wind und Salz hatten sein Gesicht gegerbt. Seine dunklen Augen waren unergründlich. Statt der einfachen Tunika, die er bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte, hatte er nun einen prächtigen Bronzekürass angelegt. Um seine Schultern war ein mit Perlen bestickter, purpurner Umhang geschlungen. Seinen Helm mit dem hohen Rosshaarbusch hatte er unter den Arm geklemmt. Artax empfand Mataans Gelassenheit als provozierend. Es fiel ihm schwer, sein Temperament im Zaum zu halten. Ihm war danach, jemanden anzuschreien. Den ganzen Tag beherrschte er sich schon, um das Unglück, das geschehen war, nicht noch zu vergrößern. Ein Unsterblicher, der würdelos herumschrie, das war undenkbar!

Keineswegs, du kannst deiner schlechten Laune ruhig Luft machen. Ich finde, du solltest den blonden Trottel hinrichten lassen. Er hat den Übungsangriff versaut. Für mich ist er der Schuldige. Ich wette, er hätte sogar Verständnis für deine Entscheidung.

Artax ignorierte Aaron, und sein Blick wanderte zum dritten seiner Berater, demjenigen, der in letzter Zeit für keine einzige seiner Entscheidungen Verständnis zu haben schien. Datames. Der schlanke, bartlose Hofmeister hatte ein aufdringliches Duftwasser aufgelegt und trug als Einziger im Zelt keine Rüstung, sondern lediglich ein langes, weißes Wickelkleid mit purpurnen Fransen. Er wirkte weibisch und deplatziert in ihrer Kriegerrunde. Datames betrachtete ihn mit kühler Verachtung, so wie man auf einen Spritzer Kot an einem neuen Paar Stiefel herabblickte, dachte Artax. Datames organisierte das Feldlager sowie den Anmarsch der Truppen und ihre Versorgung.

»Warum hat mir keiner gesagt, was für ein Unsinn da im Gange war?«, fragte der Hofmeister kühl.

»Hat sich keiner gedacht, dass du musst wissen!«, entgegnete Volodi trotzig.

»Es war ein Unfall …«, sagte Mataan und klang nicht überzeugend.

»Ein vermeidbarer Unfall! Ist denn keinem von euch in den Sinn gekommen, vorher die Strecke abzuschreiten? Seid ihr euch darüber im Klaren, was ihr angerichtet habt? Die Moral unserer Truppen ist ohnehin schon jämmerlich. Verräter im Sold von Muwatta hätten keinen größeren Schaden in unserem Heer anrichten können!«

Volodis Hand sank auf das Schwert an seiner Hüfte. »Mich du nicht nennst Verräter!«

Datames bedachte den Drusnier mit einem kühlen Lächeln. »Nichts läge mir ferner. Dir mangelt es für einen Verräter an intellektuellem Horizont.«

»Das reicht!«, fuhr Artax den Hofmeister an. »Statt uns untereinander zu zerfleischen, werden wir nach einem Weg suchen, den Schaden zu beheben.«

»Das wird die drei Toten von heute Morgen sehr erfreuen«, bemerkte Datames.

»Was kann man tun, deinen Zorn zu kühlen, Hofmeister, damit wir zu einem vernünftigen Gespräch finden?«, fragte Mataan höflich.

Diese Worte brachten Datames endlich zur Besinnung. Er senkte den Blick.

Wie hatte dieser Mann nur Aarons Willkürherrschaft überlebt?, dachte Artax.

Na ja, er organisiert wunderbare Feste. Das ist ein zu seltenes Talent, um es einer vorübergehenden Verstimmung zu opfern. Aber du hast recht. Es gab Tage, da war ich nahe daran, ihn in die Löwengrube werfen zu lassen.

»Wie genau wissen wir eigentlich, gegen wen wir kämpfen?«, fragte Mataan.

»Ist sich Muwatta, Unsterblicher von Luwien, du Hirn von Ochse!«

»Ich glaube, er meinte, wie sich die Truppen Luwiens zusammensetzen. Und ein Lobpreis auf die Ochsen, die etwas besitzen, das dir augenscheinlich fehlt.«

»Ist sich mein Schwanz, wo er hingehört, du … du Sohn von …«

»Genug!«, unterbrach Artax den Streit. »Wir wissen fast gar nichts über Muwattas Heer. Er hat mehr kampferfahrene Truppen, mehr Streitwagen, und seine besten Kämpfer sind mit eisernen Schwertern ausgerüstet. Aber wir haben keine Zahlen.«