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Nandalee wartete, bis die Zwerge wieder im Wald verschwunden waren. Bidayn sah die ganze Zeit über in ihre Richtung. Sie hatte gewusst, dass sie hier waren.

Ärgerlich trat Nandalee schließlich aus der Deckung. »Was sollte das?«

»Mir war langweilig. Ihr hättet mich mitnehmen sollen«, entgegnete sie mit aufreizender Gelassenheit.

»Du bist keine Jägerin. Du bewegst dich nicht leise genug und hättest uns nur aufgehalten. Und das weißt du auch genau!«

»Was für ein Zauber war das?«, mischte sich Tylwyth ein, ganz offensichtlich fasziniert von Bidayn. »Warst du für die Zwerge unsichtbar? Und warum konnten wir dich dennoch sehen?«

Bidayn lächelte und genoss ganz offensichtlich das Interesse des Maurawan. »Sie konnten nicht in meine Richtung blicken. Unsichtbarkeit … Das übersteigt meine Kräfte. Aber einen tumben Zwerg dazu zu zwingen, nur dorthin zu blicken, wohin ich will, ist etwas anderes.«

»Und dein Lied? Warum musstest du sie darauf stoßen, dass wir hier sind? Wir bemühen uns, im Verborgenen zu bleiben, und du …«

»Sie haben kein Lied gehört. Mit dem Geräusch splitternder Äste habe ich sie hierher gelockt. Ansonsten hörten sie nur Waldesrauschen.« Der überhebliche Tonfall, in dem sie sprach, war neu. So hatte sie Bidayn noch nicht erlebt.

»Du hast durch dein eigenmächtiges Handeln unsere Mission gefährdet. Du …«

»Im Gegenteil, ich habe eine eigene Mission. Ich soll feststellen, ob die Zwerge für diese Art Zauber empfänglich sind. Wir werden wiederkommen, um einige von ihnen zu ermorden. Da mag es wohl hilfreich sein, einen Zauber zu beherrschen, der uns für sie so gut wie unsichtbar macht.«

Nandalee stand wie vom Schlag gerührt. »Eine eigene Mission?«

»Du hast dich ganz und gar Nachtatem verschrieben.« Bidayn sagte das mit einem anzüglichen Lächeln. »Ich habe einen anderen Meister gefunden. Einen, der mich tiefer in die Kunst des Zauberwebens einweihen wird, als du es dir vorzustellen vermagst. Es wird nie wieder so wie auf Nangog sein. In Zukunft werde ich kein Ballast mehr sein, und es wird auch niemand mehr über mich lachen …«

Ihre Reise nach Nangog war geheim gewesen. Es stand Bidayn nicht zu, in Anwesenheit anderer so frei zu sprechen. »Geh zurück und beseitige deine Spuren, dort wo du die Falle der Zwerge ausgelöst hast«, fuhr Nandalee Tylwyth schroff an. »So ein Rosshaar könnte selbst von einer jagenden Eule durchtrennt werden. Sie dürfen nicht wissen, dass Elfen auf ihrem Berg waren. In einer Stunde brechen wir auf.«

Tylwyth sah sie mit seinen Wolfsaugen so durchdringend an, als wolle er in ihren Gedanken lesen. Einen Moment lang schien er etwas sagen zu wollen, doch dann presste er die Lippen zusammen und ging.

Nandalee fluchte stumm. Sie musste lernen, sich besser zu beherrschen. Sie durfte ihren Ärger über Bidayn nicht an anderen auslassen.

»Gibt es noch weitere Missionen, von denen ich wissen sollte?«, fragte sie Bidayn, als Tylwyth außer Hörweite war.

»Von denen du wissen solltest? Nein.«

Was war nur in sie gefahren? Wo war die schüchterne, zurückhaltende Bidayn geblieben? Ihre einzige Freundin. »Was hat dir dein Meister versprochen? Will er dir deine Schönheit zurückgeben?«

»Du fandest mich also schön?«, entgegnete sie bitter. »Warum hast du mir das früher nie gesagt? Warum sprichst du erst davon, nachdem ich meine Schönheit für immer verloren habe?«

»So habe ich das nicht gemeint. Ich …«

»Ich kenne dich, Nandalee. Du bist eine Einzelgängerin. Du brauchst keine Freundinnen. Du vertraust dich ohnehin niemandem an. Mein Meister hat mir gar nichts versprochen. Nicht er hat mich verändert. Einsame Entscheidungen zu fällen und andere nicht einzuweihen habe ich von dir gelernt.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab.

Entehrt

Shaya lauschte auf die hämmernden Schritte jenseits des Tores. Sie ertappte sich dabei, wie ihre Finger nervös auf dem schmalen Kopf der Dornaxt trommelten. Über sich selbst verärgert, ballte sie die Hand zur Faust. Sie musste ein Vorbild sein. Ihre Krieger beobachteten sie. War sie von kalter Ruhe, würden auch ihre Männer gelassen bleiben. Zeigte sie aber Nervosität, dann verlor sie zumindest an Ansehen. Als Frau musste sie in allem doppelt so gut wie ein Mann sein, um sich in der Leibwache des Statthalters Kanita Ansehen zu verdienen. Bisher war ihr das gelungen.

Shaya hielt ihren Helm unter den Arm geklemmt. Der Wind spielte in ihrem Haar. Früher wäre es ihr niemals eingefallen, bei einem solchen Anlass offen ihr Gesicht zu zeigen. Trug sie den Helm, sah sie aus wie all die anderen Krieger in der Leibwache des Statthalters. Doch ihre Liebe zum Unsterblichen Aaron hatte sie verändert. Sie sehnte sich nicht mehr danach, ein Mann zu sein.

Die Prinzessin lauschte auf das Geräusch der Schritte. Die Treppe hinauf zum Felsplateau, auf dem die Palastbauten des Statthalters aus Ischkuza lagen, zählte mehr als 1 400 Stufen. Wer dann endlich vor Kanita trat, tat dies in aller Regel keuchend und in Schweiß gebadet. Es kam nur sehr selten Besuch. Der Palast erhob sich weit im Westen der Goldenen Stadt, jener riesigen Metropole, in der der einzige Zugang in die Welt Nangog lag. Etwa eine Stunde entfernt, im Herzen der Stadt, lag, flankiert von Götterstatuen, das magische Portal, das sie so oft durchschritten hatte, um über den Goldenen Pfad zu gehen. Jene dünne Nabelschnur, die sie mit ihrer Heimatwelt Daia verband.

Vor einer Stunde hatte sie ein Bote erreicht, der von der Ankunft einer riesigen, schwer bewaffneten Gesandtschaft aus Ischkuza berichtete. Kanita hatte daraufhin seinerseits Boten ausgeschickt, um herauszufinden, um wen es sich handelte. Es war ungewöhnlich, dass so bedeutender Besuch unangekündigt kam. Das verhieß nichts Gutes. Die Boten waren nicht zurückgekehrt und während der Hofstaat Kanitas sich auf den Empfang der Gäste vorbereitete, machte sich eine klamme Stimmung breit.

Shaya ertappte sich dabei, dass ihre Finger erneut auf den Kopf der Dornaxt trommelten. Sie atmete langsam aus und versuchte sich zu entspannen. Auch wenn ihr Vater, der Großkönig Madyas, nicht für seinen Langmut bekannt war, war sie in Sicherheit. Sie war seine siebenunddreißigste Tochter! Niemand würde es wagen, Hand an sie zu legen.

Der prasselnde Schritt Hunderter Füße verstummte auf einen Schlag. Drückende Stille lag über dem Palasthof.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis endlich gegen das Tor geklopft wurde. Schwere, tönende Schläge, die auf dem weiten Hof widerhallten. Einer der Adler schrie auf und schlug mit den Flügeln, als wolle er in den Himmel fliehen.

Ein böses Omen, dachte Shaya.

Auf einen Wink des Statthalters wurde das Tor geöffnet. Krieger, in schimmernde Bronze gewappnet, marschierten auf den weiten Hof. Shaya wusste, wie sie gegen das Keuchen ankämpften. Wie sie sich verzweifelt straff hielten. Die lange Treppe hinauf hatte ihre Kraft verbrannt. Sie diente dazu, Stolz zu Asche werden zu lassen. Sie wusste es gut. Sie selbst war die endlose Treppe schon in Rüstung hinaufgestiegen. Wer hinaufkam, um vor den Statthalter zu treten, sollte sich schwach fühlen.

Die fremden Krieger bildeten ein Spalier. Sie stützten sich auf ihre Speere. Drückten die Rücken durch. Wer immer diese Treppe errichtet hatte, kannte die Menschen nicht. Sonst hätte er gewusst, welchen verzweifelten Hass sie schürte. Und welche Angst.

Eine Sänfte erschien unter dem Tor. Zwölf schwitzende Sklaven gingen gebeugt unter den Stangen aus rotlackiertem Holz. Die hochroten Köpfe waren nicht unter Helmen verborgen, die schwitzenden Leiber nicht unter Rüstungen. Sie hatten ihre Freiheit längst verloren. Sie hatten nur noch wenig zu befürchten. Ganz anders als die Krieger. Sie kämpften gegen ihr Keuchen an. Fürchteten den Augenblick, in dem die gelben Seidenvorhänge der Sänfte zurückgezogen und der Blick ihres Gebieters Zeuge ihrer Schwäche werden könnte.