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Colonel Barclay an Lord Henry Braddock, Generalgouverneur

„Mylord, ich habe die Ehre, Eurer Lordschaft eine Kopie des Briefes, den ich gemäß Euren Instruktionen an Fürst Holkar schickte, sowie die Antwort desselben beizulegen.

Desgleichen breche ich unverzüglich nach Bombay auf, wo ich entsprechend der Order Eurer Lordschaft das Kommando über das Armeekorps übernehme, das Holkar zur Vernunft bringen wird.

Mögen Eure Lordschaft den Ausdruck (und so weiter und so fort…)

Colonel Barclay“

Es mochten etwa sechs Wochen seit jenem aufschlußreichen Briefwechsel zwischen den Herren Holkar, Braddock und Barclay, den zu lesen wir eben das Vergnügen hatten, vergangen sein, als Fürst Holkar nachdenklich auf einem Perserteppich im höchsten Turmzimmer seines Palastes saß und melancholisch auf die Bergkette des Vindhyagebirges blickte. Neben ihm kauerte seine einzige Tochter, Sita, die versuchte, im Gesicht des Vaters dessen Gedanken zu lesen.

Holkar war ein edler Greis von noblem indischem Geschlecht, der Nachfahre jener Marathenfürsten, die den Engländern von jeher den Besitz Indiens streitig machten. Durch göttliche Fügung waren seine Vorfahren einer Eroberung durch die Perser und die Mogulkaiser entgangen und hatten hinter ihren Bergen den reinen Glauben an die Lehre Brahmas bewahrt. Holkar selbst konnte sich rühmen, in direkter Linie von dem berühmten Rama, dem bekanntesten der alten Helden – Sieger über den Dämonenfürsten Ravana –, abzustammen. Aus Ehrfurcht vor diesem göttlichen Ursprung hatte er seiner Tochter den Namen Sita gegeben.

Früher hatte er verzweifelt gegen die Engländer gekämpft. Sein Vater war im Krieg gegen sie getötet worden, und er, damals noch jung, hatte das Erbe des alten Fürsten angetreten, allerdings um den Preis, den Engländern tributpflichtig zu sein. Dreißig Jahre hatte er gehofft, sich eines Tages zu rächen, aber sein Bart war weiß geworden, seine beiden Söhne waren ums Leben gekommen, ohne Nachkommen zu hinterlassen, und er kümmerte sich nunmehr nur noch darum, in Frieden leben zu können und das Fürstentum seiner einzigen Tochter, der schönen Sita, zu überlassen.

Es war gegen fünf Uhr abends. Aus Bhagavapur, der Hauptstadt Holkars, drang keinerlei Lärm bis zu ihnen. Die Wächter waren auf ihrem Posten, die Augen starr auf den Horizont gerichtet. Die Soldaten hatten sich auf ihre Fersen gehockt und spielten wortlos Schach. Einige Offiziere, mit langen Krummsäbeln bewaffnet, ritten durch die Straßen und kontrollierten die Einhaltung der Befehle. Jedermann hüllte sich in Schweigen, sobald er ihrer ansichtig wurde. Eine tödliche Trauer schien von Bhagavapur Besitz ergriffen zu haben. Auch Holkar war niedergeschlagen. Er sah den Sturm kommen. Er wußte seit langem, daß die Engländer ihn stürzen wollten; worum er sich einzig und allein noch sorgte, das war die Zukunft seiner Tochter. Was ihn selbst betraf, so war er bereit, sich dem Willen Brahmas zu beugen und in das Große Sein einzugehen, die Ewige Substanz wiederzufinden, aber er konnte doch Sita nicht ohne Stütze zurücklassen.

„Wie schwer doch der Wille Brahmas zu erfüllen ist“, sagte er schließlich seufzend, indem er auf seine verborgensten Gedanken laut antwortete.

„Mein Vater“, entgegnete die schöne Sita, „worüber sorgt Ihr Euch?“

Vergeblich hätte man zwischen Kap Komorin und dem Himalaja ein anmutigeres junges Mädchen als Sita gesucht. Sie war schlank und gerade gewachsen wie eine Palme, ihre Augen waren wie Lotosblüten. Und dazu war sie gerade ganze fünfzehn Jahre jung; in Indien ist das das Alter der größten Schönheit.

„Verflucht sei der Tag“, sagte Holkar bitter, „an dem ich dich zur Welt kommen sah, dich, die Freude meiner Augen und meine letzte Liebe auf Erden, da ich sterben und dich den Händen dieser rotberockten Barbaren überlassen muß.“

„Aber“, erwiderte Sita, „habt Ihr denn gar keine Hoffnung zu siegen?“

„Selbst wenn ich diese Hoffnung hätte, glaubst du, ich könnte sie meinen Soldaten einflößen? Allein der Anblick dieser unreinen Männer, die unsere heiligen Kühe verschlingen und sich von rohem Fleisch und Blut ernähren, erschreckt unsere Brahmanen. Warum bin ich nicht vor meinem letzten Sohn gestorben? Ich hätte nicht den Untergang all dessen miterleben müssen, was mir auf Erden teuer ist.“

„Ihr vergeßt mich“, sagte Sita und erhob sich, um ihre Arme um den Hals des Greises zu schlingen.

„Ich vergesse dich nicht, meine liebe Tochter, aber ich habe Angst um dich; für deine Brüder fürchtete ich nur den Tod… Ich habe heute die Nachricht erhalten, daß Colonel Barclay mit einer Armee durch das Narbadatal auf Bhagavapur zieht. Er steht sieben Meilen von hier entfernt, das heißt zwei Tagesmärsche, denn diese dickbäuchige Rasse führt so viele Tiere, Proviant, Wagen, Kanonen und Munition jeden Kalibers mit sich, daß sie nicht mehr als zwei oder drei Meilen pro Tag zurücklegt. Leider kann ich sie aber auch bei ihrem Anmarsch nicht in Scharmützel verwickeln, weil ich meiner Armee nicht mehr sicher bin. Ich habe diesen elenden Rao in Verdacht, ein Verräter zu sein. Wenn ich erst einen Beweis dafür habe, wird mir diese Kreatur seinen Verrat teuer bezahlen… Aber“, fuhr er plötzlich erschrocken auf, nachdem er eine Weile den Horizont gemustert hatte, „was bedeutet denn dieser Steamer, den ich hinter der Flußbiegung erblicke? Sollte das schon die Vorhut Barclays sein?“

Im selben Augenblick dröhnte ein Kanonenschuß. Er war von der Festung auf das Schiff abgegeben worden und bedeutete, daß es beidrehen sollte. Die Kugel flog pfeifend über das Schiff hinweg und bohrte sich ins gegenüberliegende Ufer.

Bei diesem Signal hißte der Kapitän des Schiffes die Trikolore und begann unverzüglich mit dem Anlegemanöver. Die erstaunten Hindus versuchten nicht, ihn an diesem Manöver zu hindern, und Kapitän Corcoran (denn er war es) setzte bald darauf seinen Fuß auf indischen Boden und begab sich entschlossen zum Eingang des Palastes. Ein Sergeant und einige Soldaten versuchten ihm den Weg zu versperren, indem sie ihre Spieße vor ihm kreuzten; aber Corcoran, ohne auf ihre Fragen zu antworten (nicht weil er die Sprache des Landes nicht verstand, sondern weil es in diesen Ländern zwecklos ist, sich mit Untergebenen einzulassen) oder ihre drohende Gebärde zu beachten, drehte sich nur leicht um und ließ einen kurzen, schrillen Pfiff ertönen.

Der Pfiff war kaum erklungen, als auch schon die Wachen zu zittern begannen. Doch wurde ihr Zittern nicht etwa durch den Pfiff verursacht, vielmehr durch dessen Folge: Auf dem Schiff zeigte sich ein wunderschöner Tiger und beantwortete den Pfiff mit einem satten, besser gesagt, hungrigen Knurren. „Hierher, Louison!“ rief Corcoran.

Und er pfiff zum zweiten Mal.

Beim zweiten Signal sprang Louison vom Schiff ans Ufer, an dem Corcorans Brigg schon vertäut wurde. Und eine Minute später waren die Offiziere, die Soldaten, die Kanoniere, die Schützen, die Neugierigen, die Männer, die Frauen und die kleinen Kinder nach allen Seiten auseinandergestoben und hatten Corcoran allein auf dem Platz zurückgelassen, ausgenommen den unglücklichen Befehlshaber der Torwache, derselbe, der den Schuß auf das Schiff abgegeben und den unser Freund Corcoran am Schlafittchen gepackt hatte.

„Lassen Sie mich los!“ erboste sich der Hindu und wand sich mit allen Kräften, „lassen Sie mich los, oder ich werde die Garde rufen!“

„Wenn du einen Schritt ohne meine Erlaubnis tust, werde ich dich Louison zum Souper überreichen“, erwiderte Corcoran.

Diese Drohung machte den Offizier gefügsamer und gehorsamer als ein Lamm.

„Ach!“ rief er, „Herr Allmächtiger, dessen Namen ich nicht kenne, halten Sie den Tiger zurück, sonst bin ich ein toter Mann!“

Tatsächlich schlich Louison, die seit langem frisches Fleisch entbehrt hatte, mit ausgehungertem Blick um den Hindu herum. Sie mochte ihn wahrscheinlich recht appetitlich finden, nicht zu jung, nicht zu alt, nicht zu dünn, nicht zu dick, sondern zart, wohlgenährt und im vollen Saft. Glücklicherweise hielt sie Corcoran zurück.