Oder wie sich die Zahl der Pensionsbezieher des Staates zu jener der Berufstätigen verhält. Auch ohne die Daten von einem statistischen Amt abzufragen, kann man die Größenordnung des erschreckend hohen Werts schätzen. Eine Fermi-Rechnung genügt. Sie ist so genau, dass der Zwang deutlich wird, in diesem heiklen Bereich politische Maßnahmen zu treffen.
Ob die deutsche Bundeskanzlerin als studierte Physikerin so wie Fermi berechnet hat, ob beim großen Energiebedarf ihres Landes andere CO2-neutrale Energiequellen den Ausfall der Kernenergie abfedern können, wurde von den deutschen Medien, die sonst eigentlich alles wissen, nicht verraten.
Fehlerfrei rechnen hat wenig mit Mathematik zu tun. Fehlerfrei rechnen kann auch ein Computer. Mathematische Genauigkeit bedeutet: abschätzen zu können und sich der dabei in Kauf genommenen Fehler bewusst zu sein. „Durch nichts zeigt sich“, behauptete Gauß, „mathematischer Unverstand deutlicher als durch ein Übermaß an Genauigkeit im Zahlenrechnen.“
Der größte Mathematiker
Wir wissen nur wenig über das Leben des Archimedes. Sicher ist, dass ihn, als er schon ein alter Mann war, im Jahre 212 v. Chr. ein römischer Soldat erschlug. Syrakus, die Stadt, in der Archimedes lebte und wirkte, war gerade im Zuge des Zweiten Punischen Krieges von Rom erobert worden. Aber dass Archimedes genau im 75. Lebensjahr starb, ist nicht gesichert, sondern eine vage Annahme. Ebenso ist es eine schöne Legende, dass sein Mörder ihn im Atrium seines Hauses bei einer Rechnung im Sand antraf. Der tollpatschige Soldat sei in den mit geometrischen Figuren beschriebenen Sand gestapft, Archimedes habe ihn darauf mit den Worten „Störe meine Kreise nicht!“ angeherrscht, und der sich beleidigt wähnende Römer habe sofort zum Schwert gegriffen. In einer reizvollen Variante dieser Legende bat Archimedes, bevor der Soldat zuschlug, noch um eine kurze Frist, damit er seinen Beweis zu Ende führen könnte. Aber der brutale Barbar stach sofort auf ihn ein.
Eigentlich handelte der Soldat gegen den ausdrücklichen Befehl seines Generals, des römischen Feldherrn Marcellus. Denn dieser wollte Archimedes’ lebend habhaft werden. Der griechische Gelehrte hatte nämlich zur Verteidigung seiner Heimat Syrakus außerordentlich wirksame Kriegsmaschinen konstruiert, welche die anstürmenden römischen Schiffe lange von der Stadt fernhielten. Riesige Kräne wurden, so erzählt man, von Archimedes entworfen, die weit hinaus in Richtung Meer gelenkt werden konnten und mit Hilfe von Flaschenzügen große Lasten zu heben imstande waren. Als sich die römischen Schiffe der Stadt näherten, wurden die Kräne in ihre Richtung ausgeschwenkt. Seile, die in mächtigen Greifhaken endeten, wurden herabgelassen. Die Greifhaken verkrallten sich in die Buge der Schiffe, und auf Befehl des Archimedes zogen die syrakusischen Soldaten an den Flaschenzügen: Die Schiffe wurde in die Höhe gezogen, die in voller Rüstung an Deck angetretenen Römer fielen über das Heck ins Meer, und Rom erlitt eine bittere Niederlage.
Bei der nächsten Angriffswelle der Römer wurden diese vor den Stadtmauern von Syrakus mit riesigen Steinen beworfen. Archimedes hatte, das von ihm entdeckte Hebelgesetz ausnützend, große Katapulte konstruiert. Riesige Felsbrocken wurden mit derart großer Wucht in die Höhe geschleudert, dass sie über die Stadtmauern hinweg ins Meer fielen und so große Wellen schlugen, dass die angreifenden Schiffe in Seenot gerieten.
Historisch unverbürgt ist die Sage, dass Archimedes die römische Flotte zudem mit Hilfe geschickt aufgestellter Spiegel besiegte. Ganz undenkbar aber ist es nicht, denn die geometrischen Grundlagen für diesen Verteidigungstrick waren ihm wohlbekannt: Archimedes könnte vorgeschlagen haben, einige Spiegel so zu montieren, dass die Verbindung ihrer spiegelnden Flächen eine sogenannte Parabel bildet. Diese geometrische Kurve besitzt die schöne Eigenschaft, dass sie parallel einfallende Strahlen nach der Reflexion an ihr in einem Punkt, dem sogenannten Brennpunkt, bündelt. In diesem möglichen Szenario ließ Archimedes zuerst die Spiegel verdecken und wartete, bis die herankommende römische Armada in den von ihm vorausberechneten Brennpunkt auf hoher See zusteuerte. Sobald eines der Schiffe in diesen geriet, befahl er, die Spiegel abzudecken, und das auf die Spiegel parallel einfallende Sonnenlicht konzentrierte sich nach der Reflexion genau auf dieses Schiff. Dessen staubtrockene Segel fingen, vom gebündelten Sonnenlicht erhitzt, sofort Feuer. Die abergläubischen Römer fühlten sich durch diese ihnen unerklärliche Katastrophe vom Fluch der Götter verfolgt und zogen blitzartig ab.
Erst mit Hinterlist gelang es Marcellus, Syrakus vom Landweg her einzunehmen: Nach ihren Siegen über die römische Flotte feierten die Syrakuser überschwänglich bis in die tiefe Nacht, aber eine von den Römern bestochene Truppe von Wächtern ließ das römische Heer in die Stadt eindringen. Danach war es ein leichtes Spiel für die Römer, denn die Gegner lagen zum Großteil betrunken in ihren Betten. Und Marcellus gab Order, den Ingenieur Archimedes lebend zu ihm zu bringen, einen derart raffinierten Konstrukteur von Kriegsmaschinen konnte die aufstrebende Weltmacht Rom gut gebrauchen.
Es wurde bereits erzählt, dass dieses Unternehmen nicht gelang. Möglicherweise weigerte sich Archimedes aus patriotischen Gründen, dem Soldaten zu folgen. Vielleicht aber war er wirklich so sehr in ein mathematisches Problem vertieft, dass ihm die Aufforderung des Soldaten, sofort zu Marcellus zu eilen, schlicht lästig war. Und der Römer griff, von Wut und Hilflosigkeit verleitet, zum Schwert und teilte den tödlichen Hieb aus. Er verstand einfach nicht, dass der alte Mann ihm nicht zu gehorchen gewillt war und unverständliches Zeug in den Sand schrieb.
Die geniale Idee
Die zweite Annahme entspricht eher dem Bild, das wir uns von Archimedes bewahren sollten. Die Syrakuser nannten ihn den „Erzgrübler“. Hatte er sich in ein Problem vertieft, war es fast unmöglich, ihn abzulenken. Er vergaß sogar die den Griechen so wichtige und angenehme Hygiene. Griechische Bürger liebten es, in die Badehäuser zu gehen und ihre Körper dort stundenlang von den Sklaven verwöhnen zu lassen, während sie sich über Politik, Geschäfte oder Belangloses unterhielten. Nicht so Archimedes, wenn ihn ein mathematisches Rätsel plagte. Selbst wenn ihn seine Freunde ins Badehaus schleiften, griff er wortlos mit seinen Fingern in die Asche, die vom Feuer stammte, mit dem das Badewasser gewärmt wurde. Stumm lag er dann in der Badewanne und schrieb mit seinen Fingern auf den Fliesen arithmetische Symbole und geometrische Figuren, alles andere um ihn herum beachtete er nicht.
Dieses Bild erinnert an die berühmte Geschichte, dass Archimedes in der Badewanne das Gesetz des Auftriebs entdeckt habe, daraufhin ohne sich anzukleiden aus dem Badehaus geeilt und mit dem Ausruf „Heureka, ich hab’s gefunden!“ durch die Straßen von Syrakus nach Hause gelaufen sei. Denn diese Entdeckung erlaubte ihm ein Rätsel zu lösen, welches der Herrscher der Stadt, Hieron II., im Übrigen ein Verwandter des Archimedes, dem Gelehrten gestellt hatte: herauszufinden, ob eine Krone, die ein Goldschmied für ihn verfertigt hatte, aus reinem Gold oder mit unedlem Material verfälscht worden sei. Tagelang quälte sich Archimedes mit dieser Frage, es war ihm untersagt, die Krone anzukratzen oder gar einzuschmelzen, um auf diese martialische Weise eine Prüfung des Materials vornehmen zu können. Nein, ganz unversehrt solle die Krone bleiben und trotzdem galt es festzustellen, ob dem Gold unedles Metall beigemischt war oder nicht.
Mit dem Gesetz des Auftriebs gelang Archimedes die Beantwortung dieser Frage. Er entdeckte es wohl deshalb, weil er kindlich naiv darüber staunte, dass man sich im warmen Badewasser so angenehm leicht fühlt. Warum ist das so, fragte er sich. Schnell fand er die Lösung: Mein Körper taucht in das Wasser und hebt dadurch den Wasserspiegel. Mit anderen Worten: Mein eingetauchtes Volumen verdrängt das gleiche Volumen Wasser in die Höhe. Das Gewicht des von mir verdrängten Wassers ist genau jene Kraft, die mich leichter macht, denn ich habe ja dieses Wasser durch mein Eintauchen gehoben. Anders gesagt: Im Wasser bin ich nicht so schwer wie auf der Waage. Von meinem Gewicht auf der Waage muss man das Gewicht jenes Wasservolumens abziehen, das ich durch meinen eingetauchten Körper in die Höhe hob.