In der Bank wird er zu einem jungen, arroganten Angestellten geführt, auf dessen Schreibtisch er die 240 Florin legt. Der Schnösel hat den Schuldschein und einen Zettel mit ein paar Rechnungen vor sich liegen, zählt mit widerwilliger Miene das Geld und sagt danach mit eiseskalter Stimme: „Das ist bei Weitem nicht genug.“ „Wieso nicht“, empört sich Simplicio, „ich habe hundert Florin und für jedes der 14 Jahre noch zusätzlich zehn Florin für die Zinsen mitgebracht.“
„Ihre Schuld beträgt jetzt 380 Florin. Ich nehme einmal die 240 Florin, aber Sie sind uns noch immer 140 Florin schuldig. Im Übrigen: Für diese 140 Florin werden wir in Zukunft einen Jahreszinssatz von zwölf Prozent …“ Simplicio hört den Schluss dieses Satzes nicht mehr. Wutentbrannt stürmt er aus dem Zimmer, läuft durch die Gassen Sienas und findet sich in einer Spelunke wieder, in der sich die Rebellen der Noveschi treffen: Banden, die Siena in Angst und Schrecken versetzen. Bei einem der zahlreichen Aufstände, bei denen Simplicio in erster Reihe mit gezücktem Säbel voranschreitet, verliert sich seine Spur.
Das Schicksal des armen Simplicio war bereits in dem Augenblick besiegelt, als er glaubte, man müsse beim Rechnen mit Prozenten addieren. Dies ist der schwerste Fehler der Prozentrechnung, und er wurde nicht nur von unserem erfundenen Helden Simplicio begangen, er ist bis heute weit verbreitet. In Wahrheit darf man beim Rechnen mit Prozenten nicht addieren, man muss multiplizieren.
Simplicio hatte zehn Prozent von hundert Florin berechnet und diese zehn Florin als Zins betrachtet, den er Jahr für Jahr auf seine Schuld aufschlagen muss. Die Cossisten der „Monte di Pietá“ aber rechneten so: Ein Zinssatz von zehn Prozent bedeutet, dass sich in einem Jahr das geliehene Kapital um den Faktor 1 + 10 % = 1 + 10/100 vergrößert, also mit der Dezimalzahl 1 + 0,1 = 1,1 multipliziert wird. Im ersten Jahr macht das im Vergleich zur Rechnung des Simplicio keinen Unterschied. Nach dem ersten Jahr muss Simplicio
100 × (1 + 10/100 ) = 100 × 1,1 = 110 = 100 + 10
Florin zurückzahlen. Nach dem zweiten Jahr glaubt Simplicio, dass er 100 + 20, also 120 Florin zurückzahlen muss. Die Bank hingegen vermehrt seine Schuld von 110 Florin wieder um 10 %, indem sie 110 mit 1,1 multipliziert, und notiert bereits eine Schuld von 121 Florin in ihre Bücher. Der Unterschied zwischen 120 und 121 nimmt sich noch harmlos aus. Aber schon nach sieben Jahren merkt man, dass er sich zu Simplicios Ungunsten vermehrt: Nach dem siebenten Jahr glaubt Simplicio, dass er 100 + 7 × 10, also 170 Florin zurückzahlen muss. Die Bank hingegen vermehrt seine ursprüngliche Schuld von 100 Florin siebenmal um 10 %, multipliziert also 100 siebenmal mit 1,1. Dies ergibt
100 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 = 100 × 1,1 7 =
100 × 1,9487171,
also aufgerundet eine Schuld von 195 Florin.
Das also war die Rechnung, die auf dem Schreibtisch des jungen Angestellten lag: Er hatte die Potenzen von 1,1 bis zu 1,114 aufgelistet vor sich liegen und festgestellt, dass 1,114 rund 3,7975 beträgt. Diese Zahl mit den hundert Florin, die Simplicio als Schuld aufgenommen hatte, multipliziert, ergibt aufgerundet jene 380 Florin, die der Angestellte von Simplicio verlangt.
Dass der Angestellte Simplicio nicht erklärt, wie er auf den Betrag von 380 Florin gekommen ist, versteht sich fast von selbst: Simplicio ist ein leseunkundiger Bauer des 15. Jahrhunderts. Ein wenig addieren kann er, aber vom Multiplizieren hat er keine Ahnung. Deshalb rennt er ahnungslos in sein Unglück.
Die wichtigste Rechnung und das viele Geld
Wenn man bei 1,17 = 1,9487171 großzügig aufrundet, stimmt 1,17 etwa mit 2 überein. Dies bedeutet, dass sich bei einem Zinssatz von zehn Prozent im Verlauf von sieben Jahren die ursprüngliche Schuld fast verdoppelt. Wie ist das bei einem anderen Prozentsatz? Nehmen wir an, es wird Geld zu einem Jahreszins von zwei Prozent verliehen. Um festzustellen, nach wie vielen Jahren sich die Schuld verdoppelt haben wird, braucht man nur der Reihe nach die Potenzen von 1 + 2 % = 1 + 2/100 = 1 + 0,02 = 1,02 auszurechnen. Sie beginnen anfangs nur langsam zu wachsen: auf jeweils zwei Nachkommastellen gerundet
1,02 2 = 1,04, 1,02 3 = 1,06, 1,02 4 = 1,08, 1,02 5 = 1,10.
Diese Rechnungen zeigen: Nach fünf Jahren ist bei zwei Prozent Jahreszins die Schuld um zehn Prozent angewachsen. So viel, wie bei einem Jahreszins von zehn Prozent nach einem Jahr. Darum wird es bei einem Jahreszins von zwei Prozent fünfmal länger dauern, bis sich die Schuld verdoppelt hat, als bei einem Jahreszins von zehn Prozent. Mit anderen Worten: Bei einem Jahreszins von zwei Prozent wird sich nach fünf mal sieben, also nach 35 Jahren eine Verdopplung der Schuld ereignen. Tatsächlich zeigt die Rechnung mit dem Taschenrechner, dass 1,0235 = 1,999889552 …, also praktisch 2 ist. Und was für die Schulden gilt, gilt genauso für das Kapital, das man mit einem bestimmten Jahreszinssatz als Sparguthaben anlegt.
Die beiden genannten Zahlenbeispiele belegen eine Faustregel, die zu den wichtigsten Rechnungen zählt, welche die Mathematik der Menschheit geschenkt hat: Legt man ein Kapital zu einem bestimmten Prozentsatz Jahreszinsen an, braucht man nur die Zahl 70 durch die Zahl der Prozente zu dividieren, und man weiß, nach wie vielen Jahren sich das Kapital verdoppelt hat.9
Auf diese Verdopplung kommt es an. Denn wie bereits betont: Das Rechnen mit Prozenten beruht auf der Multiplikation.
Ein Beispieclass="underline" Angenommen, der heilige Josef, Marias Bräutigam, legt zu Christi Geburt für das kleine Jesuskind einen Euro bei der Bank von Bethlehem zum Zinssatz von 3,5 Prozent an. Dann hat sich nach 70 : 3,5, also nach 20 Jahren, der eine Euro zu zwei Euro verdoppelt. Nach 200 Jahren hat er sich zehnmal verdoppelt. Wegen 210 = 1024 also praktisch vertausendfacht: Aus einem Euro sind rund 1000 Euro geworden. Drei Nullen sind nach 200 Jahren an den einen Euro angehängt worden. Und heute, nach mehr als 2000 Jahren, sind zehn mal drei Nullen an den einen Euro angehängt worden. Jesu Erben könnten 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 Euro von der Bank von Bethlehem abholen. Eine Quintillion Euro. Das ist doch absurd!
Die Lösung des Rätsels besteht weniger darin, dass Jesus keine Erben hatte.
Die Lösung des Rätsels besteht schon eher, aber auch nicht ganz darin, dass die Bank von Bethlehem keine 2000 Jahre durchhält. Die Sieneser Bank „Monte di Pietá“ unserer Geschichte gibt es sogar noch heute: Sie wurde 1492 gegründet und 1624 in „Monte dei Paschi di Siena“ umbenannt. Es ist die älteste noch existierende Bank der Welt.
Die Lösung des Rätsels besteht vielmehr darin, dass es damals, zu Christi Geburt, keinen Euro gab, sondern Sesterzen. Eine Währung, die es heute nicht mehr gibt. Und Geld dazwischen, Taler, Florin, Gulden, gibt es heute auch nicht mehr. Kriege und Krisen, Inflationen und Währungsreformen vernichteten sie.
Wenn Zahlen ins Unvorstellbare anwachsen, werden sie auch für die Wirtschaft unzähmbar.
Donald Knuths Zahlenmonster
Mit der Erfindung der Potenzen steht der Mathematik ein Mittel zur Verfügung, Zahlen zu benennen, die selbst mit Multiplikationen, von Additionen ganz zu schweigen, kaum erreichbar sind. Denn man kann ja Potenzen noch einmal potenzieren und einen sogenannten „Potenzturm“ bilden, so zum Beispiel
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Allerdings ist hier darauf zu achten, dass es zwei Lesarten für diesen Potenzturm gibt. Eine Lesart besteht darin, dass man zuerst 54 berechnet, dies ist die Zahl 625, und dann von dieser die dritte Potenz, also 6253 = 244 140 625. In diesem Fall hat man den Potenzturm als