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Von dort, genauer aus der Hauptstadt der damaligen Tschechoslowakei, so wollen wir unsere fiktive Geschichte, in der Primzahlen die entscheidende Rolle spielen, beginnen, bittet er den Circus um Hilfe: Ein Agent soll, ausgerüstet mit Decknamen und falschen Papieren, durch den Eisernen Vorhang zu ihm dringen. Smiley will aber nicht irgendeinen, sondern einen ganz bestimmten Agenten treffen: den mit der Nummer 007, keinen anderen. Liebhaber John le Carrés wissen, dass man sich 007 nicht wie James Bond vorstellen darf. Der Agent ist vielmehr ein unauffällig aussehender Mann, durch die harte Ausbildung und jahrelange Tätigkeit im Feld zu einem eiskalten Zyniker verkommen; kräftig, verschlagen und – soweit man es von Leuten zweifelhafter Herkunft erwarten darf – verlässlich und gehorsam.

Wie aber gelingt es Smiley, seinen Leuten in London mitzuteilen, dass sie den Agenten mit der Nummer 7 zu ihm senden sollen? Würde er diese Zahl funken oder in einem Brief aufzeichnen, es wäre der glatte Wahnsinn. Denn Smiley weiß: Seine Funksprüche werden abgehört, seine Briefe abgefangen. Sobald die Spione des Ostens die Nummer 7 hören oder lesen, ist der Agent enttarnt, bevor er noch beim Eisernen Vorhang angekommen ist.

Noch verrückter wäre es, nicht die Nummer, sondern den Namen des Agenten nach London zu funken oder zu schreiben. In den Karteikarten des Ostens sind alle Namen und Decknamen der dort bekannten britischen Agenten, zu denen 007 als alter Hase zählt, verzeichnet.

Darum muss sich Smiley entschließen, den Namen des Agenten auf eine geschickte Weise zu tarnen: zu verschlüsseln.

Seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte, seitdem die Schrift und die Zahlen erfunden waren, seitdem Rivalitäten, gar Kriege zwischen Völkern herrschten, bemühten sich schlaue Köpfe darum, möglichst geschickt Mitteilungen so als Geheimbotschaften zu chiffrieren, dass sie der Feind mit großer Gewissheit nicht entziffern konnte. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, während der die Mitteilung bedeutsam war.

Eine jahrtausendealte, sicher schon zur Zeit der Entstehung der Bibel gebräuchliche Methode der Verschlüsselung heißt Atbasch. Der eigenartige Name hat mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets zu tun: Der erste Buchstabe א, aleph, cum grano salis das A, und der letzte Buchstabe ת, tow, das T, stehen für die erste Silbe des Wortes Atbasch. Und der zweite Buchstabe ב, beth, also das B, und der vorletzte Buchstabe ש, schin, der Zischlaut SCH, für die zweite Silbe (das eingeschobene „a“ in „-basch“ dient bloß dazu, diese Silbe aussprechen zu können). Die Verschlüsselungsmethode ergibt sich aus ihrem Namen: Man vertauscht in einer Botschaft den ersten Buchstaben des Alphabets mit dem letzten, den zweiten mit dem vorletzten, und so weiter. Dann entsteht daraus ein Buchstabengefüge, das man nur als Wirrwarr empfindet, aus dem man – jedenfalls beim ersten Hinblicken – nicht mehr die ursprüngliche Botschaft zu lesen vermag.

Julius Cäsar hat Verschlüsselungen dieser Art gerne für seine Geheimbotschaften verwendet. Wollen wir zum Beispiel mit dem Atbasch, auf das lateinische Alphabet mit seinen 23 Buchstaben angewendet (das I und das J sowie das U und das V werden jeweils als ein Buchstabe geschrieben und das W kannte man noch nicht – es entstand erst im Mittelalter als doppeltes V), die folgende Geheimbotschaft entschlüsseln:

ZNTZ PZXEZ TFE

Zu diesem Zweck brauchen wir nur zweimal das lateinische Alphabet aufzuschreiben: einmal von links nach rechts und direkt darunter von rechts nach links:

A

B

C

D

E

F

G

H

I

K

L

M

N

O

P

Q

R

S

T

V

X

Y

Z

Z

Y

X

V

T

S

R

Q

P

O

N

M

L

K

I

H

G

F

E

D

C

B

A

Dieser Tabelle entnehmen wir, dass wir jeden vorkommenden Buchstaben Z durch A, den Buchstaben N durch L, jeden vorkommenden Buchstaben T durch E, den Buchstaben P durch I, den Buchstaben X durch C, jeden vorkommenden Buchstaben E durch T und den Buchstaben F durch S ersetzen müssen. Führen wir diese Ersetzungen durch, erhalten wir die ursprüngliche Botschaft Cäsars zurück:

ALEA IACTA EST

Dieses berühmte lateinische Zitat, übersetzt: „Der Würfel ist geworfen“, soll Cäsar beim Überschreiten des Flusses Rubikon geäußert haben. Den Rubikon mit einem Heer in Richtung Rom zu überschreiten bedeutete nämlich, die militärische Herrschaft über Rom anstreben zu wollen. Es gab danach kein Zurück.

Wie man sehr rasch erkennt, ist die Verschlüsselungsmethode mit dem Atbasch allzu einfach. Es ist als wirklich sicheres Kodierungsverfahren unbrauchbar. Sobald ein Geheimdienst ein wenig Routine besitzt, hat er eine mit dem Atbasch kodierte Mitteilung in Windeseile entschlüsselt.

Dass George Smiley den Namen des Agenten mit dem Atbasch verschlüsselt, kommt folglich nicht in Frage. Auch andere naheliegende Methoden, zum Beispiel jeden Buchstaben durch den unmittelbar nachfolgenden zu ersetzen (ebenfalls eine bereits von Cäsar benutzte Verschlüsselungsvariante), sind den gewieften Spionen des Ostens nicht gewachsen. Smiley muss sich weitaus raffinierterer Verfahren bedienen.

Er weiß darüber gut Bescheid und fordert daher den Circus in London auf, ihm Hilfsmittel zur Codierung seiner Nachricht zu senden. Als Antwort bekommt er aus London zwei Zahlen: den Modul 221 und den Exponenten 11.

Geheimnisse schmieden und lüften

Sofort stellt sich die Frage: Wie hat es der Circus geschafft, Smiley den Modul 221 und den Exponenten 11 mitzuteilen, ohne dass die Spione des Ostens davon Wind bekommen haben? Die Antwort lautet: Er hat sich gar nicht darum bemüht, diese beiden Zahlen geheim zu halten. Alle dürfen diese Zahlen kennen. Nicht nur Smiley, auch Karla, sein sinistrer Gegenspieler, der im fernen Russland die Fäden aller Geheimdienste des Sowjetreiches zu ziehen versteht. Und Karla weiß auch, was Smiley macht, um die Zahl seines Agenten mit Hilfe des Moduls 221 und des Exponenten 11 zu verschlüsseln, sie unkenntlich zu machen.

Smiley nämlich beginnt zu rechnen.

Das Rechnen des George Smiley ist auf den ersten Blick ein wenig eigenartig, weil er bei seinen Rechenergebnissen nur 221 Zahlen kennt. So viele, wie der Modul angibt. Nämlich die Zahlen

0, 1, 2, 3, 4, …, 216, 217, 218, 219, 220.

Bei jeder größeren Zahl zieht er so oft 221 ab, bis er schließlich wieder zu einer Zahl dieser Liste gelangt. So ersetzt er 221 durch 0, 222 durch 1, 223 durch 2, 224 durch 3 und so weiter. Bei der Zahl 1000 muss er 221 viermal abziehen, denn so häufig ist 221 ganzzahlig in 1000 enthalten. Mit der Subtraktion 1000 − 4 × 221 = 1000 − 884 gelangt er zu 116. Smiley schreibt dafür: 1000 ≡ 116. Statt der zwei Striche des gewöhnlichen Gleichheitszeichens = schreibt er das Zeichen ≡ mit drei Strichen. Gauß, der Erfinder dieses Symbols, sagte dazu, dass 1000 und 116, bezogen auf den Modul 221, kongruent sind.