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Tatsächlich gibt es recht einfache mathematische Verfahren, die endlose Ziffernfolgen ohne Periode nach dem Komma liefern. Zum Beispiel das Ziehen einer Quadratwurzel. Betrachten wir zum Beispiel die Zahl 10. Sucht man eine Zahl, die quadriert 10 ergibt, wird man nicht fündig. Es ist 32 = 3 × 3 = 9 ein wenig zu klein und 42 = 4 × 4 = 16 viel zu groß. Als aussichtsreiche Kandidaten unter den einstelligen Dezimalzahlen bieten sich 3,1 und 3,2 an, weil 3,12 = 3,1 × 3,1 = 9,61 etwas zu klein und 3,22 = 3,2 × 3,2 = 10,24 etwas zu groß sind. Man kann sich vorstellen, dass sich der Taschenrechner so an den wahren Wert der Wurzel aus 10 herantastet, wenn man ihm den Befehl gibt, die Wurzel aus 10 zu berechnen, und er auf acht Stellen genau 3,1622777 ausspuckt. Das sieht noch nach gar nichts aus. Mit einem etwas besseren Computer bekommt man aber für die Wurzel aus 10

3, 1 62 2 7 7 660 168 3 79 33 1 998 893 544 432 7 1 8 533 7 1 9 555

1 39 32 5 2 1 6 826 857 504 852 792 594 438 639 238 22 1 344

248 1 0 8 379 300 295 1 87 347 284 1 52 840 055 1 48 548 856 …,

und hier macht die Ziffernfolge nach dem Komma einen ziemlich chaotischen Eindruck.

Ist diese Ziffernfolge für die OTP-Verschlüsselung geeignet? Es wäre nicht ratsam, sie dafür heranzuziehen, denn die Codebrecher kennen ihrerseits das Ziehen der Quadratwurzel auch sehr gut. Sie versetzen sich in die Lage derer, die verschlüsseln wollen: Welche Methode zur Erzeugung einer Zufallszahl ziehen sie wohl heran? Am einfachsten wäre die Quadratwurzel einer Zahl, die keine Quadratzahl ist. Also testen die Codebrecher diese naheliegenden Kandidaten und würden wohl in Kürze die Verschlüsselung knacken.

Selbst die Ziffernfolge unseres Beispiels, die Smiley auf dem Zettel seines Schuhs fand, nämlich

1 4 1 5 9 2 6 5 3 5 8 9 7 9 3 2 3 8 4 6 2 6 4 3 3 8 3 2 7 9 5 0 2 8 8 …,

ist in Wahrheit ungeeignet. Nicht weil die Ziffern nicht wirr genug aufeinanderfolgten – das tun sie ziemlich sicher. Sondern weil diese Ziffernfolge vielen Zahlenliebhabern wohlbekannt ist. Es handelt sich um die ersten Stellen nach dem Komma der berühmten Größe π.

Es war Archimedes – wer sonst als er, der größte aller Mathematiker –, dem es als Erstem gelang, ein Verfahren zu entwickeln, welches das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreises beliebig genau berechnete. Archimedes selbst nannte dieses Verhältnis noch nicht π. Diese Bezeichnung wählte Jahrhunderte später der aus Wales stammende Gelehrte William Jones – vom griechischen Wort periphéreia inspiriert, das Randbereich bedeutet. Und Archimedes hatte sich wegen des großen Aufwandes der Rechnungen damit begnügt, sein Verfahren nur so weit zu treiben, dass er π zwischen die beiden Bruchzahlen 3 + 10/71 (sie entspricht modern geschrieben 3,1408 …) und 3 + 1/7 (sie entspricht modern geschrieben 3,1428 …) verorten konnte. Erst um 1600 gab Ludolf van Ceulen in mühevoller, mehr als dreißig Jahre dauernder Arbeit das Resultat

π = 3,141 592 653 589 793 238 462 643 383 279 502 88 …

bekannt. Ihm ist die Ziffernfolge entnommen, die wir auf Smileys Zettel notierten. Für Smiley und den Circus ein Wagnis sondergleichen, gehört sie doch zu den bekanntesten überhaupt. Mit elektronischen Rechnern und sehr ausgefeilten Programmen, die viel schneller arbeiten als das ursprüngliche Verfahren des Archimedes, wurden bereits einige Billionen Nachkommastellen von π ermittelt. Die Größe π scheint das zu sein, was der französische Mathematiker Émile Borel 1909, mangels eines besseren Wortes, eine „normale Zahl“ nannte: Betrachtet man irgendeinen langen Abschnitt der Dezimalentwicklung von π, sagen wir eine Million aufeinanderfolgender Stellen, dann kommt jede der zehn Ziffern rund hunderttausendmal vor, es kommt auch jedes der hundert Ziffernpaare, beginnend mit 00 und endend mit 99, rund zehntausendmal vor, wie auch jede der tausend Dreierkombinationen von Ziffern rund tausendmal vorkommt.

In Albrecht Beutelspachers „Mathematikum“ in Gießen, im Technorama in Winterthur und in anderen Ausstellungsstätten, die Mathematik einem Laienpublikum durch Exponate anschaulich nahebringen, findet man einen Bildschirm mit einer Tastatur, auf der man Tag, Monat und Jahr seiner Geburt einträgt. Flugs leuchtet am Bildschirm jener Abschnitt in der Dezimalentwicklung von π auf, an dem dieses Datum zum ersten Mal auftaucht. Von einer normalen Zahl erwartet man, dass eine beliebige Kombination bestehend aus acht Ziffern etwa zehnmal in einem Abschnitt ihrer Dezimalentwicklung vorkommt, der eine Milliarde Ziffern lang ist.

All das Gesagte ist ein starkes Indiz dafür, allerdings noch kein stichfester Beweis, dass π eine normale Zahl ist. Sicher „normal“ ist die vom britischen Ökonomen David Gawen Champernowne erfundene unendliche Dezimalzahl

0,123 456 789 101 112 131 415 161 718 192 021 222 324 252 627 28 …,

bei der die Ziffernfolge so entsteht, wie Roman Opalka die Zahlen auf die Leinwand schrieb: Nachdem die einzelnen Ziffern 123456789 nach dem Komma notiert sind, setzt man mit 10, 11, 12, 13, 14 und so weiter fort. Beim ersten Hinsehen merkt man es noch nicht, wenn man die Ziffern in Dreierblöcke bündelt, aber wenn man die Ziffernfolge laut abzählt, tritt die Konstruktion von Champernowne hervor – die er, nebenbei bemerkt, 1933 als junger Student in Cambridge entdeckte.

Aber auch diese Zahl ist zu bekannt, als dass sie sich für die OTP-Verschlüsselung eignete.

Kreatives Durcheinanderwerfen

Kehren wir noch einmal zu den Ziffernfolgen zurück, die bei der Division entstanden sind. Es hat sich gezeigt, dass man bei einer Division durch eine sehr große Zahl zuweilen sehr lange warten muss – im günstigen Fall um eine Stelle weniger, als die große Zahl angibt –, bis sich eine Periode der Ziffernfolge einstellt. Da es jedoch nicht ganz einfach ist, die geeigneten großen Zahlen zu finden, und auch die Division einen beachtlichen Aufwand bedeutet, haben wir von dieser Idee, eine wie zufällig wirkende Ziffernfolge zu erzeugen, Abstand genommen.

Aber ganz verwerfen sollte man den Gedanken nicht. Was die Division für unsere Zwecke leistete, war ja nichts anderes als ein Durcheinanderwirbeln von Ziffern. Lassen wir vorerst das Dividieren beiseite und konzentrieren wir uns auf das Durcheinanderwerfen:

Toby Esterhase, der Circus-Mann für die niederen Arbeiten, hat einen Stapel von zehn Spielkarten vor sich liegen, auf denen die Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 notiert sind. Will Toby Esterhase für die Eierköpfe des Circus die Reihenfolge der Ziffern wie vom Zufall gesteuert anordnen, mischt er den Kartenstapel gründlich. Danach zieht er eine Karte, schreibt die Ziffer auf, schiebt die Karte wieder irgendwo in den Stapel hinein, mischt noch mal sorgfältig, zieht wieder eine Karte, schreibt die zweite Ziffer auf und setzt dieses Spiel fort, bis er zwölf Ziffern nebeneinanderstehen hat, zum Beispiel

7 5 2 5 8 4 0 4 9 6 1 3.

Auf diese Weise hat er eine von 1012, also von einer Billion möglichen Zwölfergruppierungen der Ziffern, die meisten davon scheinbar völlig wirr, erzeugt.

Genauso hätte Esterhase diese Ziffernfolge, endlos oft periodisch wiederholt, erhalten, wenn er die Division der Zahl 6917 durch 9191 durchgeführt hätte. Das Ergebnis liefert:

6917 : 9191 = 0,752 584 049 613 752 584 049 613 752 584 049 613 …

Nebenbei gesagt: Die Division von 752 584 049 613 durch 999 999 999 999 liefert das gleiche Resultat – das liegt im Wesen des Divisors.