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Der Sozialwissenschaftler der Gruppe, Herbert Simon, sagte schon 1957 voraus, dass innerhalb der folgenden zehn Jahre ein Computer Schachweltmeister werden und einen wichtigen mathematischen Satz entdecken und beweisen würde. Er hatte sich dabei etwas verschätzt, aber völlig daneben lag er mit seiner Prognose nicht. 1997 gelang es dem von IBM entwickelten System Deep Blue, den Schach-Weltmeister Garri Kasparov in sechs Partien zu schlagen.

Weitaus gewagter waren die Prophezeiungen Marvin Minskys: 1970 behauptete er, dass es in drei bis acht Jahren – jedenfalls hierin irrte er – Maschinen mit der durchschnittlichen Intelligenz eines Menschen geben werde, die Shakespeare lesen und Autos warten würden. Und noch abenteuerlicher war die grenzenlose Erwartungshaltung des Roboterspezialisten Hans Moravec von der Carnegie Mellon University: Mit Marvin Minsky teilte er die Überzeugung, dass mit der „künstlichen Intelligenz“ der ultimative Traum der Menschheit wahr werden würde, die Überwindung des Todes: Im Buch „Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz“ entwarf er ein Szenario der Evolution des „postbiologischen“ Lebens: Ein Roboter überträgt das im menschlichen Gehirn gespeicherte Wissen so in eine Zahlenmaschine, dass die Biomasse des Gehirns überflüssig wird und ein posthumanes Zeitalter beginnen kann, in dem das gespeicherte Wissen beliebig lange zugreifbar bleibt. Die Zahlenmaschine Watson schien bei Jeopardy zu beweisen, dass uns nur mehr wenige kurze Schritte bis hin zur Verwirklichung der Utopien – oder sollte man eher von Horrorszenarien sprechen? – von Minsky und Moravec trennen. Jedenfalls erlitten Jennings und Rutter, zwei Menschen aus Fleisch und Blut, im intellektuellen Wettstreit mit Watson ein Debakel.

Doch in Wahrheit war Watsons fulminanter Auftritt Blendwerk und Gaukelspiel. Niemand anderer als Blaise Pascal, der Konstrukteur der ersten funktionierenden Rechenmaschine, hätte dies besser durchschaut. Mit ihm wollen wir die Geschichte beginnen.

Die „Pascaline“, zur Unzeit konstruiert

Es waren die elenden Beschwernisse des elementaren Rechnens, bei denen lange Kolonnen von Zahlen zu addieren sind, die Blaise Pascal zu einer brillanten Erfindung veranlassten, deren gesellschaftliche Sprengkraft allerdings weder von seinen Zeitgenossen noch von deren Kindern oder Kindeskindern erkannt wurde. Erst 300 Jahre später leitete sie ein neues Zeitalter der Menschheit ein.

Blaise Pascals Vater Étienne war ein angesehener hoher Finanzbeamter im von Kardinal Richelieu, Ludwig XIII. und danach dem noch blutjungen Ludwig XIV. regierten Frankreich des 17. Jahrhunderts. Einem Land, in dem Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende schuften mussten, damit es den wohlhabenden Bürgern, dem Klerus und der adeligen Gesellschaft an nichts fehlte, die Reichen in Saus und Braus ihre Tage und Nächte mit süßem Nichtstun verbringen konnten. Doch der Staat, der in letzter Instanz der König selbst war, brauchte Geld. Wo er nur konnte, presste er es der Bevölkerung ab. Nur der Klerus und der Adel waren von der Steuerlast befreit.

Étienne Pascal war bestrebt, das Geld von den Steuerpflichtigen möglichst gerecht eintreiben zu lassen. Er bemühte sich, die von den ihm untergebenen Beamten erhobenen Summen auf den Sol genau zu prüfen. Und dafür waren schier unzählige nervtötende Additionen und Subtraktionen vonnöten.

Étienne Pascals Sohn Blaise galt bereits in jungen Jahren als mathematisches Wunderkind. Der gebildete Vater lehrte seinen Sohn im Privatunterricht alle Sprachen, das gesamte Wissen seiner Zeit. Wie später Mozart, den ebenfalls sein Vater unterrichtete, hatte Pascal das Glück, nie eine Schule besuchen zu müssen. Allerdings verschob der gewissenhafte Vater den Mathematikunterricht für den kleinen Buben auf später, wenn dieser der Ansicht des Vaters nach dafür reif genug sei. Mit dem Erfolg, dass sich das geniale Kind die Mathematik selbst beibrachte. Schon mit vierzehn Jahren, so berichtet seine ebenso begabte ältere Schwester Jacqueline, habe er sich alle Lehrsätze des Geometriebuches von Euklid erarbeitet. Ja, er gewann Erkenntnisse, die völlig neu und unerhört beeindruckend waren und noch heute nach ihm benannt sind.

Blaise Pascal, der seit frühester Jugend unter ständig wiederkehrenden peinigenden Kopfschmerzen litt, behauptete einmal, dass einzig die Beschäftigung mit Mathematik ihn von den Qualen erlöse. Allein diese Bemerkung zeichnet ihn als besonderen Menschen aus, denn für Normalsterbliche hat die Mathematik den üblen Ruf, gerade das Gegenteil zu bewirken. Eine Nachrede, die – wie zumindest hoffentlich die Leserinnen und Leser dieses Buches bestätigen werden – zu Unrecht Verbreitung findet.

Ödes Rechnen hingegen kann bei niemandem, nicht einmal bei Blaise Pascal, von Schmerzen erlösen, gar Entzücken hervorrufen. Es ist einfach nur lästig. Diese Last, die Pascals Vater tagein, tagaus tragen musste, abzuschütteln und einer Maschine zu übertragen, war das Ziel seines Sohnes. Als dieser neunzehn Jahre alt war, hatte er es verwirklicht: Er hatte die erste Rechenmaschine der Welt entworfen und hergestellt. Er taufte sie „Pascaline“.

Die Pascaline war kein Rechengerät. Derer gab es schon seit der Antike viele. Der berühmte Abakus – das Wort stammt vom griechischen ábakos, übersetzt: die Tafel, das Brett – ist wohl das bekannteste unter ihnen. Er besteht aus einem Rahmen mit Kugeln, von den Römern Calculi genannt – denn calculus ist der kleine Stein –, die auf Stäben aufgefädelt sind beziehungsweise in Nuten, Rillen oder Schlitzen geführt werden. Ein anderes Rechengerät ist der sogenannte Rechenschieber, ein aus verschiebbaren und eigenartig skalierten Linealen bestehendes Rechenhilfsmittel, mit dem man nach eingehender Schulung sogenannte höhere Rechenoperationen wie Multiplikationen, Divisionen, das Ermitteln von Potenzen, Wurzeln und anderes mehr durchführen kann. Schließlich seien die Neperschen Stäbchen erwähnt, benannt nach John Napier, die auf eine sehr raffinierte Weise für Multiplikationen und Divisionen dienlich sind. Doch all dies sind Geräte und keine Maschinen. Bei einem Gerät muss die kluge Handhabung von Menschen erfolgen, die für das Gerät geschult wurden. Bei einer Maschine ist eine Schulung des Bedienungspersonals nicht mehr erforderlich: Sie rechnet scheinbar „von selbst“, buchstäblich „automatisch“ – wie es das griechische Wort „autómata“ nahelegt, das für Dinge steht, die sich von selbst bewegen, wie in der Ilias die sich selbsttätig öffnenden Türen des Olymp.

Tatsächlich ist die Pascaline ein Rechenautomat. Wer sie sieht, nimmt ein ziegelsteingroßes Messinggehäuse wahr, auf dessen Deckfläche sich oben fünf (bei späteren Versionen der Pascaline sogar mehr als fünf) Sehschlitze befinden, die den Blick auf die Ziffern einer fünfstelligen Zahl freigeben.22 Unter jedem Schlitz befindet sich auf der Deckfläche der Pascaline ein kleines Rad mit zehn Speichen. Um das Rad sind auf der Deckfläche die Ziffern Null bis Neun so eingraviert, dass die Speichen des Rades immer in die Lücken zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ziffern weisen. Das Rad kann mit einem Stift, der in einen der Zwischenräume gesteckt wird, im Uhrzeigersinn bewegt werden. Eine kleine an der Deckfläche angebrachte Haltevorrichtung bewirkt, dass der Stift das Rad wie bei einer Wählscheibe der uralten Telefone nur bis zum Anschlag drehen kann.

Zeigt die Pascaline auf den Schlitzen die Zahl 00000 an, ist sie im Ausgangszustand. Nun kann man mit ihr eine Addition, zum Beispiel die Rechnung 16 + 45, durchführen. Zuerst gibt man die Zahl 16 ein: Der Stift wird im vorletzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 1 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Es zeigt sich die Zahl 00010. Dann wird der Stift im letzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 6 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Es zeigt sich die Zahl 00016. Sodann gibt man die Zahl 45 ein: Der Stift wird im vorletzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 4 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Jetzt zeigt sich die Zahl 00056. Schließlich wird der Stift im letzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 5 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Verfolgt man dabei die Bewegungen der Ziffern in den Schlitzen, erkennt man, dass bei dieser Drehung nacheinander die Zahlen 00056, 00057, 00058, 00059, dann, wie von Zauberhand erzeugt, 00060 und schließlich, beim Erreichen des Anschlags, 00061 aufscheinen.