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Die Mechanik im Inneren der Pascaline, welche die Bewegung des Rades in eine entsprechende Drehung der Walze übersetzt, ist leicht nachzuvollziehen. Auf der Walze sind die Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 eingetragen. Die jeweils oberste Ziffer unterhalb des geöffneten Sehschlitzes kann durch diesen gesehen werden. Die Drehung des Rades, auf die Drehung der Walze übertragen, führt zum Wandel der durch den Schlitz sichtbaren Ziffer. So weit, so einfach. Was Pascal aber gelang, war der sogenannte mechanische Übertrag: Mit einem raffinierten Hebelmechanismus wird, wenn bei einem Rad der Übergang von der Ziffer 9 zur Ziffer 0 erfolgt, gleichzeitig beim linken Nachbarn dieses Rades eine Drehung der Walze um eine Ziffer weiter bewerkstelligt. Dass dies wirklich funktioniert, dass bei der mechanischen Addition von 1 der Übertrag von 00009 zu 00010, auch der Übertrag von 00099 zu 00100, auch der Übertrag von 00999 zu 01000, auch der Übertrag von 09999 zu 10000 und schließlich der Übertrag von 99999 zu 00000 gelingt – mangels eines sechsten Rades wird Einhunderttausend nur mit den letzten fünf Nullen angezeigt –, ist der Clou bei Pascals Erfindung.23

Zwei Hemmnisse sind dafür maßgeblich, dass Pascal mit seiner Erfindung kein spektakulärer wirtschaftlicher Erfolg beschieden war.

Das erste und zugleich wichtigere Hemmnis betrifft die gesellschaftliche Situation zur Zeit Pascals. Seine Maschine war einfach zu teuer. Rechenknechte, die für lächerlich wenig Bezahlung die gleichen Dienste leisteten, gab es genug. Erst als die menschliche Arbeitskraft gerecht bezahlt wurde, rechnete sich der technische Fortschritt. Darum wurde nicht Pascal mit seiner Maschine zum reichen Unternehmer, sondern erst Jahrhunderte später Thomas J. Watson, der Gründer von IBM, nach dem die Zahlenmaschine benannt ist, die in Jeopardy den glänzenden Sieg davontrug.

Das zweite, zwar auch schwerwiegende, aber vielleicht eher behebbare Hemmnis betrifft die Anfälligkeit der Pascaline gegenüber Fehlern: Nicht immer funktionierte der Mechanismus einwandfrei. Bei wichtigen Rechnungen waren Kontrollrechnungen erforderlich – all das kostete Zeit. Der Vater war im händischen Rechnen so geübt, dass die Eingabeprozedur in Pascals Maschine weitaus länger dauerte als sein Schreiben mit Bleistift und Papier. Doch der Anfang war getan.

Schon zwanzig Jahre vor der Erfindung und Konstruktion der Pascaline hatte der deutsche Astronom Wilhelm Schickard eine ganz ähnliche Idee eines Rechenautomaten skizziert. Von einer Verwirklichung seiner nur mit groben Skizzen umrissenen Maschine sprach man bloß gerüchteweise: Ein angeblich für Johannes Kepler gefertigtes Modell soll einem Brand zum Opfer gefallen sein, nur die ein wenig hilflos wirkenden Zeichnungen sind erhalten geblieben. Selbst wenn Schickard das Räderwerk hergestellt hätte, wäre es bei einem Übertrag zum Beispiel von 09999 zu 10000 wegen der mechanischen Unzulänglichkeiten zerbrochen. Ohne Zweifel darf man Blaise Pascal die Ehre zusprechen, als Erster die Idee der Rechenmaschine nicht nur genial und gewissenhaft entworfen, sondern solche Automaten bis hin zur Serienreife produziert zu haben.

Noch aber war es eine Rechenmaschine, der Weg zur Zahlenmaschine wurde erst Generationen nach Pascal beschritten.

Leibnizens Zahlen und Lovelaces Programme

Eine Rechenmaschine, ganz ähnlich funktionierend wie jene von Pascal, ist etwa dreißig Jahre später vom deutschen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz skizziert worden. Im Unterschied zu den Pascalines, von denen einige funktionstüchtige Exemplare bis heute überlebt haben, existiert von Leibnizens Rechenautomaten kein Originalmodell, es gibt bloß Nachbauten, die beweisen, dass seine Maschine funktionstüchtig war.

Eine verbesserte Kopie der von Pascal entwickelten Erfindung herzustellen, ist aber nicht der entscheidende Beitrag, den Leibniz für die Entwicklung von Zahlenmaschinen leistete. Dieser bestand vielmehr darin, dass er ein ausgeklügeltes theoretisches Konzept entwickelte: Bei Pascals Maschine erfolgte der mechanische Übertrag auf die linke Nachbarwalze, wenn bei der rechten Walze von der Ziffer 9 zur Ziffer 0 weitergedreht wird. Die Drehung von 0 zu 1 unterscheidet sich im Prinzip aber nicht von jener, die von 1 zu 2 oder von 2 zu 3 führt. Und dies verläuft genauso eintönig fort, bis man von 8 zu 9 springt. Erst dann, beim Übergang von 9 zu 0, wird wieder der Übertragmechanismus wirksam.

Eigentlich, so dachte Leibniz, könnte man diesen Mechanismus auf zwei Prozesse verkürzen: Der eine Prozess ist der Übergang von der Ziffer Null, die wir nun mit 0 abkürzen, zur Ziffer Eins, die wir jetzt mit 1 bezeichnen: Es bewegt sich dabei nur jene Walze, die das Springen von 0 auf 1 anzeigt. Der zweite Prozess ist der Übergang von der Ziffer 1 zurück zur Ziffer 0, bei der die linke Nachbarwalze mitbewegt wird. Entweder indem sie ihrerseits von 0 zu 1 wandert und nichts weiter tut, oder aber indem sie von 1 zu 0 wandert und dabei ihrerseits ihre linke Nachbarwalze weiterbewegt. Diesem Gedanken Leibnizens folgend, sind auf den einzelnen Walzen nicht zehn, sondern nur die beiden Ziffern 0 und 1 eingetragen; andere Ziffern kennt dieses Konzept nicht. Man nennt daher die von Leibniz erfundenen Ziffern 0 und 1 die Binärziffern und sein aus diesen beiden Ziffern bestehendes Zahlensystem das Binär- oder Dualsystem. Diese Vereinfachung hat allerdings einen Preis: Die Maschine muss eine schiere Unzahl von nebeneinanderliegenden Walzen besitzen. Denn mit fünf Walzen allein gelangt man im Dualsystem nicht über sehr kleine Zahlen hinaus: Der Reihe nach lauten nämlich bei nur fünf Walzen im Dualsystem die ersten Zahlen, mit null beginnend über eins, zwei, drei weiter bis hin zu acht: 00000, 00001, 00010, 00011, 00100, 00101, 00110, 00111, 01000. Das geht für eine kurze Zeit so weiter, aber schon bei 31, in Leibnizens Darstellung als 11111 geschrieben, ist endgültig Schluss. Bei der nächsten Zahl würde wieder 00000 angezeigt werden, weil die Walze für die 1 an der sechsten Stelle fehlt.

Der mystischen Gedanken nicht ganz abgeneigte, tiefgläubige Leibniz sah in der Binärziffer 1 das Symbol des einen Gottes und in der Binärziffer 0 das Symbol der Leere, des Nichts. Dass in der Binärdarstellung die Zahl Sieben 111 lautet, wies für den von der Wahrheit der christlichen Lehre Überzeugten darauf hin, dass der dreieinige Gott in sieben Tagen die Welt geschaffen hatte …

Aber noch eine andere Deutung kam ihm bei seiner Erfindung der Binärziffern in den Sinn: Man ordnet einer wahren Aussage die Binärziffer 1 und einer falschen Aussage die Binärziffer 0 zu. Heutzutage sagen Logiker dazu ein wenig hochtrabend, dass jede Aussage oder jedes Urteil eine Binärzahl als „Wahrheitswert“ besitzt. Aber schon Leibniz erkannte, dass Manipulationen mit Binärzahlen nicht bloß arithmetische, sondern allgemeiner logische Operationen sind. Sie bilden das Denken ab. „Denken ist Rechnen“, daran begann Leibniz zu glauben. Vielleicht, so meinte er, könne man diesen Gedanken in der Jurisprudenz nutzen: Der Richter „rechnet“ mit den Wahrheitswerten der Aussagen des Angeklagten, des Klägers, der Zeugen, der Anwälte und gelangt so auf unbestechliche Weise zum gerechten Urteil. Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, kommt man zum Schluss, dass statt eines Richters eine Zahlenmaschine die Arbeit der Urteilsverkündigung übernehmen könnte.