All dies findet man bei Leibniz nur angedeutet, gleichsam als Aufgabe für künftige Ingenieure umrissen. Erst um 1830 glaubte der englische Mathematiker und Philosoph Charles Babbage eine solch umfassende Zahlenmaschine bauen zu können, die über das Rechnen hinaus auch logische Operationen durchzuführen erlaubte. Ursprünglich hatte er sich bloß vorgenommen, eine sogenannte Differenzenmaschine zu bauen, die nur für besonders öde, aber wichtige Rechnungen im Zusammenhang mit der Navigation von Schiffen als Unterstützung dienen sollte. Doch bald erkannte er, dass man mit Maschinen ein noch viel umfassenderes Feld von Zahlenmanipulationen beackern konnte: Alles, was nach einem vorgegebenen Schema stur Schritt für Schritt bewerkstelligt werden kann, lässt sich maschinell durchführen. Von dieser Idee begeistert, plante er den Bau einer „Analytical Engine“. Sie sollte mit der damals hochmodernen Dampfkraft betrieben werden, wurde zu seinen Lebzeiten aber nicht realisiert. Ähnlich wie Leibniz war auch Babbage mit einer Vielzahl verschiedenster Projekte überlastet: Stürzte er sich mit Feuereifer auf das eine, wurden die anderen sträflich vernachlässigt. Er studierte politische Ökonomie und bildete mit seiner Beschreibung des frühen Kapitalismus eine wichtige Quelle für Karl Marx. Er erstellte statistische Studien, mit denen er die Basis für das Geschäft der Lebensversicherungen schuf. Er erfand, unabhängig von Hermann von Helmholtz, den Augenspiegel, das sogenannte Ophthalmoskop, sowie den „Kuhfänger“, einen an der Stirnseite von Lokomotiven befestigten Schienenräumer. Er schloss aus den verschiedenen Breiten der Jahresringe von Bäumen auf den Klimawandel vergangener Zeiten. Er schaffte es, die Verschlüsselung von Texten nach der Methode des im 16. Jahrhundert lebenden Gelehrten Blaise de Vigenère zu knacken. Und dies ist nur ein Teil der Liste jener Aktivitäten, die Babbage auf Trab hielten.
Die Verwirklichung von Babbages „Analytical Engine“ scheiterte nicht nur an der Vielfalt seiner Interessen, sondern auch an der noch zu wenig entwickelten Feinmechanik, um die Maschinenteile in der nötigen Präzision herzustellen. Sie scheiterte, weil Babbage seine Entwürfe allzu oft geändert hatte und das britische Parlament nicht mehr bereit war, das Projekt weiter zu finanzieren. Sie scheiterte vor allem deshalb, weil die zweite treibende Kraft, die für die „Analytical Engine“ das erste „Programm“ verfasste – also die erste von der Maschine automatisch durchzuführende Zahlenmanipulation, bei deren Ausführung kein menschlicher Eingriff nötig war –, das Interesse daran verlor, vielmehr verlieren musste: Es war Babbages Mitarbeiterin Augusta Ada King, Countess of Lovelace, geborene Augusta Ada Byron.
Von Geburt an hatte ihr das Schicksal übel mitgespielt: Sie war die Tochter des hochberühmten romantischen Dichters Lord Byron, doch der Vater verstieß wenige Tage nach der Geburt der Tochter die Ehefrau und verweigerte den Kontakt zu seinem einzigen ehelichen Kind. Die schwer gekränkte Mutter erwähnte vor der Tochter nie mehr Byrons Namen, noch zeigte sie ihr ein Erinnerungsstück oder gar ein Bild des Vaters. Nur nach außen hin spielte sie die Rolle der sorgenvollen Mutter, in Wahrheit übertrug sie Adas Großmutter die Verantwortung zur Erziehung des Mädchens.
Wie einst Pascal, so plagten auch Ada Byron seit frühester Jugend qualvolle Kopfschmerzen. Und wie Pascal, so wurde auch Ada Byron von Privatlehrern ausgebildet, wobei der sie unterrichtende Mathematiker Augustus de Morgan ihr außerordentliches Talent für diese Wissenschaft bemerkte. Und wie Pascal, so versuchte auch die damals bereits mit William King, dem späteren Earl of Lovelace verheiratete Ada ihre mathematische Begabung nutzbringend anzuwenden: Sie wollte in der Zusammenarbeit mit Babbage die „Analytical Engine“ zum Laufen bringen. Ungleich zu Pascal verharrte ihr Bemühen aber im Reich der Theorie, weil sie die von Babbage entworfene Zahlenmaschine nie erblickte. Als Trost blieb ihr nur die Bewunderung von Michael Faraday für das erste Computerprogramm der Welt, das aus ihrer Feder stammte. Erschwerend kamen für Ada Lovelace die seelischen Konflikte hinzu, die sich aus ihrer unglücklichen Ehe und aus ihren damals als skandalös erachteten Affären ergaben. Damit nicht genug, glaubte sie, ein sicheres Wettsystem ersonnen zu haben, und verlor bei ihren höchst riskanten Einsätzen Tausende von Pfund. Wie einst Pascal starb sie allzu früh: Pascal wurde keine 40 Jahre alt, Lovelace keine 37.
Die elektrische Geburt der Zahlenmaschinen
Die Bewunderung Faradays für Ada Lovelace kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Denn es waren die Pionierarbeiten Faradays, die – erst Jahrzehnte später – die Grundlage für einwandfrei funktionierende Zahlenmaschinen legten: Faraday erkannte mit seinen unzähligen Experimenten den tiefen Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus. Er stellte fest, dass es zwar die verschiedenartigsten Möglichkeiten gibt, elektrische Spannung zu erzeugen, dass es sich dabei jedoch stets um das gleiche Phänomen handelt, das die ganze Natur durchdringt. Er, der aus einfachsten Verhältnissen stammend und nur durch das Lesen der Lehrbücher, die er als gelernter Buchbinder in die Hand bekam, sein Interesse für die Elektrizität wachrief, hatte seine Konzepte und seine Ansicht von der Einheitlichkeit der Natur ohne eine einzige mathematische Formel entwickelt. Erst James Clerk Maxwell, der von den Experimenten Faradays tief beeindruckt war, stellte es sich zur Aufgabe, Faradays Befunde in ein mathematisches Gewand zu kleiden. Es gelang ihm mit Hilfe von vier Gleichungen, in denen alle Erscheinungsformen der Elektrizität und des Magnetismus einheitlich zusammengefasst sind. Man ist kaum in der Lage, die Vielfalt von Phänomenen, die auf dem Elektromagnetismus beruhen, zu überblicken. Selbst die folgende Liste, die kunterbunt den Elektromotor, den Dynamo, das Mobiltelefon, die Röntgenstrahlen, den Transistor, das Radio, das Fernsehen, den Kompass, die Glühlampe, die Hochspannungsleitungen, die Batterie, den Belichtungsmesser, das Mikrofon, die Digitalkamera, das Sternenlicht, die Nordlichter, den Bildschirm, die U-Bahn, die Quarzuhr, das Elektroenzephalogramm und die Computertomographie nennt, ist weit davon entfernt, vollständig zu sein.
Erst wenn über Stunden, gar über Tage hinweg landesweit der elektrische Strom ausfiele, würde uns schmerzhaft bewusst werden, wie sehr die moderne Zivilisation von den Erkenntnissen Faradays abhängt, die von Maxwell mit einem mathematischen Gerüst versehen wurden.
Umso kurioser ist die Geschichte vom Besuch des Finanzministers in Faradays Labor: Der Minister machte sich Sorgen um das für Faradays Experimente – die aus heutiger Sicht lächerlich billig waren – investierte Steuergeld. „What is this good for?“, „Wozu braucht man das?“, fragte der Minister angesichts der Spulen und Kondensatoren mit besorgter Miene. „What are babies good for?“, „Wozu braucht man Babys?“, gab Faraday darauf stolz zur Antwort.
So unzählig die Anwendungen der Elektrodynamik sind, so zahllos sind auch die Namen der Erfinder dieser Anwendungen. Auch die folgende Liste, bestehend aus Manfred von Ardenne, Alexander Graham Bell, Henry Clothier, Ray Dolby, Thomas Alva Edison, John Ambrose Fleming, Heinrich Geißler, Heinrich Hertz, Herbert Eugene Ives, James Prescott Joule, Johann Kravogl, Robert von Lieben, Guglielmo Marconi, Georg Neumann, Kenneth Olsen, Waldemar Petersen, Georg Hermann Quincke, Johann Philipp Reis, Werner von Siemens, Nikola Tesla, Richard Ulbricht, Hans Vogt, Charles Wheatstone, Clarence Melvin Zener, die – abgesehen von X und Y – von jedem Buchstaben einen Namensvertreter nennt, ist eine bunte Palette ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Drei Personen unter diesen Physikern und Ingenieuren, nämlich Walter H. Brattain, John Bardeen und William B. Shockley, spielen im Zusammenhang mit der Zahlenmaschine eine ganz besondere Rolle, denn sie erfanden ein elektrisches Gerät, das die bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Edison als Prototyp entworfene Elektronenröhre ersetzte: den Transistor.