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Mitarbeiter Hilberts, unter ihnen Paul Bernays, Wilhelm Ackermann, Jacques Herbrand und John von Neumann, nahmen den Auftrag sofort ernst, dieses Programm ihres Mentors zu verwirklichen. Ein paar Worte seien zu diesen Protagonisten verloren:

Paul Bernays, in London geborener Züricher Bürger, kam als Bub und junger Mann über Paris und Berlin nach Göttingen. Er lehrte dort nach einem Zwischenaufenthalt in Zürich bis zum Jahre 1933. Als Jude aus Deutschland vertrieben, zog er in die Schweiz und verbrachte seine letzten Jahre an der ETH in Zürich. Er entwarf zusammen mit von Neumann das elegante Regelsystem, in dem die Axiome stehen, die sowohl die Zahlen wie auch das Unendliche als „Spielfiguren“ des mathematischen „Spiels“ befolgen. Von diesem System von Axiomen galt es zu beweisen, dass es vollständig und widerspruchsfrei ist.

Wilhelm Ackermann war einer der treuesten Schüler Hilberts, dem trotz unermüdlicher Bemühungen um das Programm seines Lehrers eine Laufbahn an der Universität verwehrt blieb. Er schlug den Beruf eines Gymnasiallehrers ein, den er bis knapp vor seinem Tod vorbildhaft ausfüllte. Das Gerücht will nicht verstummen, dass Hilbert ihm wegen seiner Heirat keine Stelle an der Universität verschaffte. „Oh, das ist wunderbar“, soll Hilbert ausgerufen haben,31 als er von Ackermanns Hochzeit erfuhr, „das sind gute Neuigkeiten für mich. Denn wenn dieser Mann so verrückt ist, dass er heiratet und sogar ein Kind hat, bin ich von jeder Verpflichtung befreit, etwas für ihn tun zu müssen.“

Jacques Herbrand, 1925 der beste Absolvent der Pariser Eliteuniversität École Normale Supérieure, studierte danach in Göttingen bei John von Neumann und Emmy Noether. Er war mit Hilberts Programm vertraut, lieferte auch einige vielversprechende Beiträge, starb jedoch schon mit 23 Jahren, als er beim Bergsteigen in den Alpen verunglückte.

John von Neumann kam 1903 im damals noch kaiserlich-königlichen Budapest als Neumann János in einer steinreichen Bankiersfamilie zur Welt. Seit seiner frühesten Kindheit beeindruckte er durch seine unerhörte Vielseitigkeit: Er sprach Dutzende Sprachen, einige davon schneller als die jeweiligen Muttersprachler, er brillierte gleichzeitig mit einem Chemie- und einem Mathematikstudium in Budapest und in Zürich, er entwickelte für die Quantenphysik ein logisch in sich geschlossenes System von Axiomen, ähnlich wie einst Hilbert für die Geometrie, man verdankt ihm die Erfindung der „Architektur“, die den programmierbaren Rechenmaschinen zugrunde liegt, er entwickelte zusammen mit Oskar Morgenstern die mathematische Spieltheorie, und gegen Ende seines Lebens beriet er die Strategen der amerikanischen Außen- und Verteidigungspolitik. Mit seinem quirligen Wesen, seiner unglaublichen Auffassungsgabe, seinem rasanten Denken, seinem dandyhaften Verhalten galt er als Tausendsassa der Wissenschaft. Wem, wenn nicht ihm, war zuzutrauen, dass er Hilberts Programm binnen weniger Jahren verwirklichte.

Tatsächlich stellten sich schon in den ersten Jahren bei der Verfolgung von Hilberts Programm ermutigende Teilresultate ein. Ganz nahe schien Hilberts Truppe dem Ziel, das „Ignorabimus“ des du Bois-Reymond aus der Mathematik zu verbannen.

Hilbert hatte jedoch gar nicht mehr so sehr den alten Erfinder des „Ignorabimus“ im Sinn, als er 1925 sein Programm proklamierte, denn du Bois-Reymond war damals schon fast 30 Jahre tot. Es war eine lebendigere und aktuelle Gegnerschaft, die ihn zu diesem Schritt bewog: die zu Hermann Weyl, dem kritischsten Zweifler des unbeschwerten Rechnens mit unendlichen Dezimalzahlen, das Hilbert mit seinem Programm verteidigen wollte, der, bitter genug, Hilberts bester Schüler gewesen war.

Allmacht statt Allwissenheit

Der Mathematiker der Intuition

Hilbert gleichrangig, aber von völlig anderem Wesen, war Frankreichs größter Mathematiker um 1900: Henri Poincaré, ein älterer Cousin des späteren französischen Präsidenten Raymond Poincaré. Der ungarische Psychologe Lajos Székely untersuchte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie Genies zu ihren Erkenntnissen gelangten. Als er Henri Poincaré fragte, wie er zu einer seiner genialen Entdeckungen gekommen war, erhielt er die verblüffende Antwort: „Als ich in die Straßenbahn einstieg.“

An anderer Stelle äußerte sich Poincaré ausführlicher: „Fünfzehn Tage lang mühte ich mich zu beweisen, dass es Funktionen, die ich später Fuchssche Funktionen nannte, nicht geben könne. Ich war damals sehr unwissend; jeden Tag setzte ich mich an meinen Arbeitstisch, blieb dort ein bis zwei Stunden und probierte zahllose Kombinationen, ohne Ergebnis. Eines Abends trank ich ganz gegen meine Gewohnheit schwarzen Kaffee und konnte nicht schlafen. Ideen stiegen in großen Mengen auf; ich fühlte sie zusammenstoßen, bis sie sich paarweise verbanden, sozusagen stabile Kombinationen eingingen. Bis zum nächsten Morgen hatte ich die Existenz einer Klasse Fuchsscher Funktionen festgestellt. Ich musste nur noch die Ergebnisse niederschreiben, was bloß ein paar Stunden dauerte.“

Dieser Bericht erinnert an jenen des Chemikers August Kekulé, der folgendermaßen schildert, wie er auf einer Omnibusfahrt zur Idee der chemischen Bindung von Atomen gelangte: „Ich versank in Träumereien. Da gaukelten vor meinen Augen die Atome. Ich hatte sie immer in Bewegung gesehen, jene kleine Wesen, aber es war mir nie gelungen, die Art ihrer Bewegung zu erlauschen. Heute sah ich, wie vielfach zwei kleinere sich zu Pärchen zusammenfügten; wie größere zwei kleine umfassten, noch größere drei und selbst vier der kleinen festhielten, und wie sich alles in wirbelndem Reigen drehte. Ich sah, wie größere eine Reihe bildeten und nur an den Enden der Kette noch kleinere mitschleppten … Der Ruf des Conducteurs, Clapham Road, erweckte mich aus meinen Träumereien.“

Im Gegensatz zu Hilbert war Poincaré wenig daran interessiert, Schülerinnen und Schüler um sich zu scharen, mit denen er seine Einsichten teilte. Er lebte weitaus zurückgezogener. Das sogenannte „Mathematics Genealogy Project“, das bestrebt ist, alle Personen zu erfassen, die im Fach Mathematik ihre Doktorarbeit schrieben, zählt bei David Hilbert 75 Dissertanten, bei Henri Poincaré nur fünf.

Und im Gegensatz zu Hilbert war Poincaré nicht davon überzeugt, dass man Mathematik als formales logisches Spiel mit Axiomen verstehen könne. Poincaré gab im mathematischen Denken der Intuition, der Einsicht, dem ungetrübten Blick in das Wesen der Dinge Vorrang gegenüber der Logik.

Die in sich ruhende unerschütterliche Gewissheit, dass ein mathematischer Sachverhalt besteht, war in den Augen Poincarés das Wesentliche. Die Logik diente ihm bloß dazu, diese für sich selbst gewonnene Erkenntnis allen anderen als unbezweifelbar mitteilen zu können.

Wir sind uns der Zahlen und des Rechnens mit ihnen gewiss. Nichts ist für uns einsichtiger als die Tatsache, dass sechs mal sieben zweiundvierzig ergibt. Wir sind uns genauso dessen gewiss, dass es unendlich viele Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, … gibt. Allerdings nur in dem Sinn, dass wir davon überzeugt sind, dass keine Zahl die letzte ist. Zu jeder Zahl, wie groß sie auch sein mag, können wir, jedenfalls in Gedanken, noch eins addieren und damit eine noch größere Zahl erzeugen. Mehr aber kann man dem Unendlichen nicht entlocken. Auch nicht mit formalen Axiomen.

Anhand der unendlichen Dezimalzahl

π = 3,141 592 653 589 793 238 462 643 383 279 502 88 …

kann man den Unterschied zwischen den Auffassungen Hilberts auf der einen Seite und Poincarés auf der anderen Seite am besten beschreiben: Was bedeuten die drei Punkte am Ende der riesenlangen Ziffernentwicklung? Hilberts Antwort würde lauten: