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1 + 2 + 4 + 8 + 16 + …

„unendlich“ sein – und das ist offensichtlich ein sinnvolles Resultat. Nur steht diese Verteidigung auf sehr schwachen Beinen:

Erstens kann man mit „unendlich“ sicher nicht so einfach rechnen wie mit Zahlen. Was zum Beispiel ergibt „unendlich“ minus „unendlich“? Null, würde man auf Anhieb sagen. Wenn aber das zweite „unendlich“ in der Differenz das oben genannte „unendlich“ um 1 vermindert ist, dann müsste diese Differenz 1 lauten, denn beim zweiten „unendlich“ wird ja um 1 weniger abgezogen, als beim ersten „unendlich“ angeschrieben steht. Wenn aber jemand anderer meint, das erste „unendlich“ in der Differenz ist das oben genannte Doppelte von „unendlich“, dann müsste diese Differenz „unendlich“ lauten, denn vom Doppelten von „unendlich“ wird ja nur einmal „unendlich“ abgezogen. Widersprüche über Widersprüche.

Zweitens: Auch bei der Summe der Teile des Udjat-Auges könnte „unendlich“ das Ergebnis sein. Denn, glaubt man den Verteidigern der Erfinder des „Kalküls, besitzt „unendlich“ die Eigenschaft, dass einerseits „unendlich“ um ½ vermindert „unendlich“ bleibt und dass andererseits die Hälfte von „unendlich“ wieder „unendlich“ ist. Warum sind wir aber bei diesem Beispiel einer unendlichen Summe davon überzeugt, dass die Summe 1 und nicht die Summe „unendlich“ das richtige Resultat ist?

  7 Wer das Rätsel im Detail kennenlernen möchte, findet es hier, mit feinem Humor ins Deutsche übertragen und wunderbar in Verse geschmiedet von Alexander Mehlmann, der nicht nur dichtet, sondern an der Technischen Universität Wien auch Mathematik lehrt:

Hast Du, Freund, den richt’gen Riecher,

So berechne, wieviel Viecher –

Lass uns nur von Rindern reden,

Hornbewehrte Quadrupeden –

Einst gehörten, hü und hott,

Helios, dem Sonnengott,

Auf Siziliens grüner Erde.

Milchweiß war die erste Herde,

Schwarz die zweite, zappenduster,

Braun die dritte; Fleckenmuster

Schmückte Rinderkuh und Stier

In der Herde Nummer vier.

Zahl der Stiere ganz in Weiß,

Die erhält man nur mit Fleiß

Aus der reinen Braunstier-Zahl

Plus der Hälfte und nochmal

Plus ein Drittel aller schwarzen

Stiere, deren Zahl – ihr Parzen! –

Glich der Stierzahl aller Braunen

(Schon vernehm’ ich, Freund, Dein Raunen)

Nebst dem viert- und fünften Teil

Der gefleckten Stier’, derweil

Die (der Zahl nach) sich summierten

Aus den Braunen, wohlsortierten,

Nebst dem Sechst- und Siebentel

Weißer Stiere, die zur Stell’.

Doch vergiss bei aller Müh’

Nicht des Sonnengottes Küh’.

Statt die Zähn’ sich auszubeißen

Beim Bestimmen all der weißen,

Addier’ als Sonderfall

Von der schwarzen Herdenzahl

Nur ein Drittel und ein Viertel

Und dann schnalle fest den Gürtel.

Auch der schwarzen Kühe Nummer,

Lässt sich finden ohne Kummer.

Teil die Fleckviehzahl durch Vier

Und durch Fünf und dann addier’!

Elf durch dreißig der brünetten

Rinder in Trinakriens Stätten

Ist die Zahl der Küh’ mit Fleck.

Rätselhaft bleibt noch der Zweck,

Denn die Zahl der Braunviehdamen

(Nichts zur Sache tun die Namen)

Dividiert durch die der Rinder,

Die so weiß, wie ihre Kinder,

Sie ergibt ganz informell

Ein Sechstel und sein Siebentel.

Nennst du mir – getrennt nach Gender

Und nach Farben der Gewänder(?) –

All die Zahlen auf der Wiese,

Bist fürwahr ein PISA-Riese!

Zur Elite erster Klasse

Ich dich erst gehören lasse,

Wenn du lösest schnell wie’n Pfeil

Auch des Rätsels zweiten Teil.

Wenn man sie zusammenführe

Die Gesamtzahl aller Stiere,

Die pechschwarz und weiß wie Schnee,

So erhielt’ man ein Karree.

Schichtet man der Stiere Rest

Reihenweis’, wobei man lässt

Jeweils in der nächsten Reih’

Gleich viel Hörner minus zwei,

So benötigt man als Spitze

Einen Stier nur (ohne Vize)

Und die Rindviehformation

Bildet glatt ein Dreieck schon.

(Aus: A. Mehlmann: Mathematische Seitensprünge: Ein unbeschwerter Ausflug in das Wunderland zwischen Mathematik und Literatur. Vieweg, 2007).

Im ersten Absatz des Gedichts wird die Aufgabe vorgestellt. Es ist die Berechnung der Zahl der „hornbewehrten Quadrupeden“, also der mit Hörnern ausgestatteten „Vierfüßler“, vulgo der Rinder, die auf „Siziliens grüner Erde“ grasen. Im zweiten Absatz wird mitgeteilt, dass es weiße Stiere (ihre Anzahl sei w) und weiße Kühe (ihre Anzahl sei W), schwarze Stiere (ihre Anzahl sei s) und schwarze Kühe (ihre Anzahl sei S), braune Stiere (ihre Anzahl sei b) und braune Kühe (ihre Anzahl sei B), sowie gefleckte Stiere (ihre Anzahl sei g) und gefleckte Kühe (ihre Anzahl sei G) gibt.

Der dritte Absatz betrifft nur die Stiere. Hier formuliert Archimedes die Gleichungen:

w = b + ( 1/2 + 1/3 )s

s = b + ( 1/4 + 1/5 )g

g = b + ( 1/6 + 1/7 )w

Im vierten Absatz werden die Gleichungen in Worten umschrieben, nach denen sich die Zahlen der Kühe errechnen:

W = ( 1/3 + 1/4 )(s + S )

S = ( 1/4 + 1/5 )(g + G )

G = ( 1/5 + 1/6 )(b + B )

B = ( 1/6 + 1/7 )(w + W )

(In Alexander Mehlmanns Übertragung wird 1/5 + 1/6 gleich als „elf durch dreißig“ ausgerechnet.)

Im fünften Absatz teilt Archimedes mit, dass diese sieben Gleichungen in acht Unbekannten, sogenannte „diophantische Gleichungen“, die bloß ganze Zahlen als Lösungen zulassen, nur den ersten Teil des Rätsels darstellen. Wer diese Gleichungen zu lösen versteht, ist „fürwahr ein PISA-Riese“ – eine leise Anspielung auf die PISA-Tests, mit denen die Schülerinnen und Schüler belästigt werden –, aber noch nicht eine zur „Elite“ gehörende mathematische Koryphäe.

Im sechsten Absatz teilt Archimedes mit, dass die Summe s + w eine Quadratzahl ist: Die schwarzen und die weißen Stiere kann man Zeile für Zeile und Spalte für Spalte in ein quadratisches Muster ordnen. Im siebenten Absatz schichtet Archimedes die restlichen Stiere, deren Anzahl b + g beträgt, Zeile für Zeile so an, dass in jeder darauffolgenden Zeile ein Stier weniger vorkommt (umschrieben mit „gleich viel Hörner minus zwei“) und sich in der obersten Zeile nur ein einziger Stier („ohne Vize“) befindet. Mathematisch gesprochen: b + g ist eine Dreieckszahl. Weil Dreieckszahlen die Gestalt 1/2 · (n2 + n) und Quadratzahlen die Form m2 besitzen, erkennt man, dass der zweite Teil des archimedischen Rätsels aus „diophantischen Gleichungen“ zweiten Grades besteht.

  8 Die „subtile Beziehung“ zwischen den beiden zu ermittelnden Zahlen geht auf ein uraltes Problem des Pythagoras zurück: Pythagoras vermutete, dass sich alles in der Welt durch Bruchzahlen, bei denen Zähler und Nenner ganze Zahlen sind (und der Nenner von null verschieden ist), beschreiben lässt. Doch schon in der Geometrie zeigte sich, dass dies falsch ist.