Errichtet man zum Beispiel über der Diagonale eines Quadrats ein zweites Quadrat mit dieser Diagonale als Seitenlänge, dann besitzt dieses zweite Quadrat offenkundig den doppelt so großen Flächeninhalt wie das erste Quadrat. Nehmen wir nun an, das erste Quadrat habe eine Seitenlänge von x Längeneinheiten – ob man dabei einen Meter, einen Millimeter oder gar nur einen Atomdurchmesser als Längeneinheit wählt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Dann errechnet sich der Flächeninhalt des Quadrats in der entsprechenden Flächeneinheit – Quadratmeter, Quadratmillimeter, von welcher Längeneinheit man auch immer ausgegangen ist –, indem man die Zahl x mit sich selbst multipliziert. Dieses Ergebnis nennt man dementsprechend „x-Quadrat“ und bezeichnet es mit dem Symbol x2. Ist zum Beispiel x = 12, dann ist x2 = 144. Ist y = 17, dann ist y2 = 289. Zufällig stimmt 289 fast genau mit dem Doppelten von 144, also mit 288, überein. Mit anderen Worten: Ein Quadrat, dessen Seite 12 Zentimeter lang ist, besitzt eine Diagonale, die nur um einen Hauch kürzer als 17 Zentimeter ist. Das Verhältnis zwischen der Diagonalenlänge und der Seitenlänge eines Quadrats ist daher nur um ein wenig kleiner als die Bruchzahl 17/12. Und die Griechen fragten sich, ob dieses Verhältnis überhaupt eine Bruchzahl y/x sein kann.
Wenn dies der Fall wäre, müsste das Quadrat, dessen Seite x Längeneinheiten lang ist, eine Diagonale besitzen, die y Längeneinheiten misst. Der Flächeninhalt y2 des über der Diagonale errichteten Quadrats müsste demnach doppelt so groß wie der Flächeninhalt x2 des ursprünglichen Quadrates sein. Dies drückt die Formel y2 = 2 ⋅ x2 aus.
Dem großen griechischen Philosophen Aristoteles wird nachgesagt, dass er die folgende Begründung dafür gefunden hat, dass es keine Zahlen x und y gibt, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft:
Nehmen wir an, es gäbe sie doch. Aristoteles betrachtete zuerst den Fall, dass die Zahl y ungerade wäre. Dann bliebe auch y2, also y mit sich selbst multipliziert, ungerade. Dann kann aber y2 = 2 ⋅ x2 nicht zutreffen, denn 2 ⋅ x2 ist sicher durch 2 teilbar, also gerade.
Folglich müsste y eine gerade Zahl sein. Und y2, also y mit sich selbst multipliziert, wäre sogar durch 4 teilbar.
Dann aber, so schloss Aristoteles weiter, könnte x unmöglich eine ungerade Zahl sein. Denn wäre x ungerade, bliebe auch x2, also x mit sich selbst multipliziert, ungerade. Die Zahl 2 ⋅ x2 wäre zwar durch 2, nicht aber durch 4 teilbar. Dies müsste sie sein, wenn bei einer geraden Zahl y die Formel y2 = 2 ⋅ x2 stimmte.
Aristoteles folgerte aus diesen Überlegungen: Gäbe es Zahlen x und y, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft, dürfte keine von ihnen ungerade sein. Beide Zahlen x und y müssten gerade Zahlen sein.
Die Seite des Quadrats, von dem wir ausgegangen waren, müsste folglich eine gerade Zahl von Längeneinheiten und auch ihre Diagonale eine gerade Zahl von Längeneinheiten messen. Dann aber, so Aristoteles, könnten wir genauso gut vom Quadrat ausgehen, dessen Seite und Diagonale halb so lang wären. Doch auch bei ihm müssten Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang sein. Wieder könnten wir das Quadrat im Maßstab 1 : 2 verkleinern. Aber auch bei diesem noch kleineren Quadrat müssten Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang sein.
Und diese Längenhalbierungen ließen sich endlos fortsetzen. Bei jedem noch so kleinen Quadrat wären Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang, und das Quadrat ließe sich weiter halbieren.
Was endgültig absurd ist, weil Seite und Diagonale des Quadrats ganzzahlige Vielfache der Längeneinheit sind und nicht beliebig klein werden dürfen.
Darum, so Aristoteles, gibt es überhaupt keine Zahlen x und y, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft. (Heute würde man vielleicht dagegen protestieren, weil bei x = 0 und bei y = 0 die Formel stimmt. Aber die alten Griechen rechneten, klug wie sie waren, Null nicht zu den Zahlen, sondern kannten nur die positiven ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, ….) Und darum ist das Verhältnis der Diagonalenlänge zur Seitenlänge eines Quadrats mit Sicherheit keine Bruchzahl.
Von Mathematik Faszinierte geben sich nie mit bislang erhaltenen Resultaten zufrieden. Immer fragen sie weiter, versuchen noch umfassendere Erkenntnisse zu gewinnen.
So auch hier. Wenn schon keine Zahlen x und y aufzufinden sind, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft, so gibt es vielleicht Zahlen x und y, die in die Formel y2 = 2 ⋅ x2 + 1 eingesetzt werden können. Mit dem kleinen Zusatz „+ 1“ ändert sich scheinbar nur unerheblich wenig, aber die von Aristoteles geführte Argumentation bricht völlig in sich zusammen. Und wirklich zeigt sich, das zuvor genannte Beispiel x = 12 und y = 17 belegt es, dass es bei dieser nur winzigen Änderung tatsächlich Lösungen der neuen Gleichung gibt. Wie man beweisen kann: sogar unendlich viele.
Es war Pierre de Fermat, jener französische Privatgelehrte, den wir als Miterfinder des „Kalküls“ bereits kennenlernten, der dies in einer seiner Aufzeichnungen wie beiläufig anmerkte. Er behauptete auch, dass der Faktor 2 vor dem x2 in der Formel y2 = 2 ⋅ x2 + 1 durch irgendeine andere Zahl ersetzt werden darf, solange diese nur keine Quadratzahl ist. So gibt es unendlich viele Zahlen x und y, für die y2 = 3 ⋅ x2 + 1 zutrifft, unendlich viele Zahlen x und y, für die y2 = 5 ⋅ x2 + 1 zutrifft, und so weiter. Zuweilen muss man sehr lange suchen, bis man sie findet. Zum Beispiel sind bei y2 = 991 ⋅ x2 + 1 die kleinsten Zahlen x und y, welche dieser Gleichung gehorchen, die Zahlengiganten
x = 12 055 735 790 331 359 447 442 538 767
und
y = 379 516 400 906 811 930 638 014 896 080.
Woher Fermat seine Überzeugung nahm, wissen wir nicht. Erst ungefähr hundert Jahre später hat der überaus emsige Schweizer Mathematiker Leonhard Euler bewiesen, dass er damit recht hatte.
Doch Archimedes wusste bereits Jahrhunderte zuvor, woran Pierre de Fermat glaubte und was Leonhard Euler bewies. Denn der zweite Teil des Rätsels über die Rinder des Sonnengottes mündet darin, zwei Zahlen x und y zu finden, die der Gleichung