John Norman
Die Zauberer von Gor
1
»Eigentlich müßtest du das Gesetz kennen, meine Liebe«, sagte der Mann.
Sie kämpfte gegen das Netz an, das von der Decke auf sie herabgefallen war, um dann von den Wächtern ergriffen zu werden, die aus ihren Verstecken an den Wänden des Raumes sprangen.
»Nein!« rief sie. »Nein!«
Man drehte sie zweimal auf dem Diwan herum, damit sie sich noch gründlicher in den Maschen verfing.
»Nein!« schluchzte sie.
Die vier Wächter hielten das Netz gepackt.
In ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck. Ihre Finger verkrallten sich in den Maschen. Sie war wie ein verängstigtes Tier.
»Bitte!« schluchzte sie. »Was wollt ihr?«
Der Mann gab keine Antwort, sondern betrachtete sie nur, wie sie dort nackt in dem Netz gefangen lag; mit angezogenen Knien auf den weichen Fellen des großen Diwans, klein und verletzlich, entblößt und ertappt.
»Milo!« rief sie dem hochgewachsenen, hübschen Burschen zu, der an der Seite stand. »Hilf mir!«
»Aber ich bin ein Sklave«, sagte Milo und zog sich seine purpurne Tunika über.
Sie starrte ihn gehetzt an.
»Ich bin davon überzeugt, daß dir das Gesetz bekannt ist«, sagte der Mann, an dessen Seite nun zwei Magistrate traten.
»Nein!« rief die Frau.
Die Magistrate waren von Amts wegen Zeugen, die die Umstände der Gefangennahme bezeugen sollten. Das Netz war sehr widerstandsfähig und mit Gewichten versehen.
»Eine freie Frau, die sich zu dem Sklaven eines anderen Herrn aufs Lager begibt oder sich anschickt, sich ihm dort hinzugeben, wird selbst zur Sklavin und gehört von nun an dem Besitzer des Sklaven. Es ist ein eindeutiges Gesetz.«
Die Frau schluchzte.
»Sieh es doch einfach so, wie es ist, wenn dir das hilft«, sagte der Mann. »Du hast dich Milo hingegeben, aber Milo gehört mir und kann nichts besitzen, also hast du dich mir hingegeben. Das ist wie die Münze, die eine freie Person einem Straßenmädchen gibt und die dann natürlich nicht dem Mädchen, sondern ihrem Herrn gehört. Was man dem Sklaven gibt, gibt man seinem Herrn.«
Sie starrte ihn entsetzt an.
»Ich verabscheue dich!« rief sie dann. »Bringt mir meine Kleider!« befahl sie den Wächtern.
»Wenn die Dokumente bestätigt und eingereicht sind – und in diesem Fall wird es weder Schwierigkeiten noch Einwände geben –, gehörst du mir.«
»Nein!« schluchzte sie.
»Hebt sie auf die Knie, mitsamt dem Netz!« befahl er.
Die Wächter gehorchten.
Die Frau starrte Milo an. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Werde ich dann, als Sklavin, deine Frau sein?« fragte sie.
»Das halte ich für unwahrscheinlich«, erwiderte Milo mit einem Lächeln.
»Der hübsche, charmante, liebenswürdige, wortgewandte Milo«, sagte der Mann, »ist ein Verführungssklave.«
»Ein Verführungssklave?«
Der Mann nickte. »Er hat meinen Besitz um einige Sklavinnen erweitert.«
Die Frau zerrte tränenüberströmt an dem Netz, aber sie war hilflos.
»Wären du oder deine Vorgängerinnen nicht so verstohlen vorgegangen, wärt ihr nicht so sehr darauf bedacht gewesen, eure Liebelei mit einem Sklaven zu verheimlichen, hätte Milos Nutzen als Verführungssklave mittlerweile bestimmt stark abgenommen. Andererseits verspricht die Sorge um euren Ruf, der euch freien Frauen so wichtig ist, den weiteren Erfolg dieser erfreulichen kleinen Unternehmungen.«
»Laß mich frei!« bettelte sie.
»Einige von Milos Eroberungen arbeiten auf meinen Feldern, andere in meinem Haus«, fuhr er fort. »Aber die meisten – und ich bin davon überzeugt, daß auch du dazu gehören wirst – werden verkauft, damit sie außerhalb der Stadt ein neues Leben beginnen können.«
»Ein neues Leben?« flüsterte sie.
Er lächelte. »Das Leben einer Sklavin.«
Sie kämpfte vergeblich gegen die Fesseln an.
»Schiebt ihr das Netz bis zu den Hüften hoch und streift es ihr bis zum Hals hinunter, dann bindet es fest«, befahl er. »Dann knebelt sie und stülpt ihr eine Haube über.«
Die Frau schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Heute abend wirst du dein Brandzeichen und deinen Sklavenkragen bekommen.«
»Nein, bitte!« schluchzte sie.
Die Wächter befolgten die Anweisungen des Sklavenherrn und verfuhren auf solche Weise mit dem Netz, daß die Beine und der Kopf der Frau frei waren, ihre Arme jedoch gebunden blieben.
Der Mann sah den hübschen Sklaven an. »Du nimmst den anderen Ausgang«, befahl er.
»Ja, Herr.«
Die freie Frau sah Milo hinterher.
»Du kniest nun auf einem Diwan«, sagte der Mann, »für eine Sklavin eine große Ehre. Vermutlich wirst du Monate in der Sklaverei verbracht haben, bevor sie dir erneut widerfährt.«
»Milo!« rief sie dem Sklaven hinterher.
Die Wächter zwangen ihr den Knebel, der mit der Haube fest verbunden war, in den Mund und banden ihn fest.
Sie gab einen leisen Protestlaut von sich.
Dann stülpte man der neuen Sklavin die Haube über den Kopf, zog sie zurecht und schnallte sie unter dem Kinn zu. Nun war das Gesicht völlig verhüllt.
»Was gab es da zu sehen?« fragte Marcus.
Ich trat von dem Spalt in den Fensterläden zurück, durch den ich alles beobachtet hatte.
»Nichts«, sagte ich.
Wir standen in einer Straße in Ar, einer schmalen, dicht bevölkerten Straße, in der man uns ständig anrempelte. Sie befand sich im Metellanischen Bezirk, der sich wiederum südöstlich des Bezirks des Zentralzylinders befindet. Es ist ein schäbiger, aber sauberer Bezirk. Hier gibt es viele Mietshäuser oder insulae. Es ist eine Gegend, die weit genug von den breiten Prachtstraßen des Stadtzentrums entfernt liegt, damit man sich dort für ein Schäferstündchen treffen kann.
»Ist Ar immer so dicht bevölkert?« fragte Marcus gereizt.
»In dieser Straße, zu dieser Tageszeit«, erwiderte ich schulterzuckend.
Mein Gefährte war Marcus Marcellus von den Marcelliani, aus der Stadt Ar-Station am Vosk. Wir waren von Brundisium nach Ar gereist. Wie auch ich gehörte er der Kriegerkaste an. Direkt hinter ihm, als fürchtete sie, ihn in der Menge zu verlieren – während sie gleichzeitig wie so oft versuchte, sich so klein wie möglich zu machen und sich hinter seinem Rücken zu verstecken – stand Phoebe, ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen mit auffallend heller Haut. Sie war vor einigen Monaten vor Brundisium in seinen Besitz übergegangen.
»Da wir die gelben Ostraka haben und es unsere Passiermarken nicht gestatten, uns nach Einbruch der Dunkelheit in der Stadt aufzuhalten«, sagte Marcus, »sollten wir uns zum Sonnentor begeben.«
Marcus gehörte zu den Menschen, die sich wegen solcher Dinge sorgten, Dingen wie Verhaftungen, Pfählungen und dergleichen.
»Wir haben noch genug Zeit«, beruhigte ich ihn. Die meisten Städte haben ein Sonnentor, manchmal sogar mehrere. Sie heißen so, weil sie für gewöhnlich bei Sonnenaufgang geöffnet und bei Sonnenuntergang geschlossen werden, ihre Öffnungszeit also dem Tageszyklus entsprechen. Ar ist die größte Stadt des bekannten Gor, meines Wissens nach sogar noch größer als Turia im weit entfernten Süden. Ar verfügt über vierzig öffentliche Stadttore und zusätzlich über eine Anzahl kleinerer Tore, Geheimtore und Zugänge. Vor langer Zeit hatte ich die Stadt einmal durch einen solchen Zugang betreten, dessen Einstieg man durch eine vermeintliche Dar-Kosos-Grube erreichte. Der Zugang war nun verschlossen, wie ich mich vergewissert hatte, als ich an einem Seil in die Grube heruntergestiegen war. Vermutlich traf das auch auf ähnliche Zugänge zu, zog man Ars Entsetzen über den Vormarsch der cosischen Truppen in Betracht. Eigentlich bedauerte ich diesen Verlust, denn es war ein geheimer Ein- und Ausgang in die Stadt gewesen. Es war durchaus möglich, daß es noch andere gab; leider kannte ich sie nicht.
»Laß uns weitergehen«, schlug Marcus vor.
Ich sah einer jungen Sklavin nach, die vorbeiging, gekleidet in eine kurze braune Tunika und mit einer Hand einen Krug auf dem Kopf balancierend; ihre Schönheit schien das kurze, enge Kleidungsstück beinahe zu sprengen. Der Eisenkragen stand ihr. Sie ging barfuß.