»Lies weiter!« wurde der Schmied gedrängt.
»Mehr steht da aber nicht.«
»Das ist alles?«
»Na gut, da steht nur noch ›Ich wünsche euch alles Gute, Lurius von Jad, Ubar von Cos‹«, sagte der Mann.
»Aber was will Cos denn nun von uns?« fragte jemand.
»Anscheinend ein Zeichen unseres Friedenswillens«, erklärte der Schmied und betrachtete die Bekanntmachung.
»Sag ihnen, sie sollen sich nach Cos zurückscheren!« rief ein Bürger wütend. »Dann überlegen wir uns die Sache.«
»Da ist die Rede von einem Beweis für unsere Hoffnung auf Versöhnung«, sagte der Schmied, »ein Zeichen unseres guten Willens.«
»Dann gebt ihnen unseren Stahl zu schmecken!« rief der Aufgebrachte.
»Und zwar mit den besten Grüßen!« fügte ein Töpfer hinzu.
»Das ist ein Zeichen, das sie verstünden!«
»Aber was genau wollen sie?«
»Vermutlich unsere Talena!« mutmaßte ein Kaufmann.
»Diese tapfere und edle Frau? Die werden wir niemals preisgeben!«
»Ich würde eher selbst das Tor blockieren, bevor ich zusehe, wie sie die Stadt am Steigbügel eines cosischen Abgesandten verläßt!« rief ein Soldat.
»Sie hat doch angeboten, sich zu opfern.«
»Das steht sogar in den Bekanntmachungen, direkt auf der Tafel dort drüben«, sagte ein Schriftgelehrter.
»Sie können unsere Talena nicht haben!«
»Ich glaube nicht, daß sie Talena wollen«, sagte der Schmied.
»Aber was dann?« mußte er sich fragen lassen.
»Die Bürger, die die hohen Ämter bekleiden, werden sich dieser Sache annehmen. Sie sind klüger als wir und werden das tun, was für uns am besten ist.«
In diesem Augenblick kam es in den Seitenstraßen zu einem lautstarken Tumult, und zwar aus westlicher Richtung.
»Cos! Man kann die Cosianer von der Mauer aus sehen!«
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß man zu diesem Zeitpunkt Zivilisten auf die Mauer ließ. Sonst wäre ich auf die Zinnen geeilt. Von dort oben konnte man bestimmt die Legionen von Cos sehen. Ein solches Heer erscheint zuerst als schmaler Strich am Horizont. Anfangs ist es schwer, die einzelnen Einheiten auseinanderzuhalten. An sonnigen Tagen blitzt es am Horizont unaufhörlich auf – das sind die erhobenen Standarten. Nachts sieht man gewöhnlich nur die Lagerfeuer, drei bis vier Pasang entfernt. Im Augenblick sah man von der Mauer aus vermutlich ohnehin nur den Rauch von in Brand gesteckten Feldern oder, noch wahrscheinlicher, den Staub der Tharlarionkavallerie.
»Sind es denn viele Cosianer?« fragte jemand.
»Sie sind wie die Blätter der Bäume, wie die Sandkörner am Meeresstrand!«
»Seht doch, dort oben!«
Cosische Tarnsmänner überflogen die Stadt.
»Ar ist verloren!« sagte ein Mann.
»Wir kämpfen bis zum Tode!«
»Vielleicht können wir mit ihnen ja verhandeln.«
»Niemals!«
Plötzlich ertönte ein Befehl. »Aus dem Weg, macht Platz!« Südlich auf der Straße des Zentralzylinders kamen mehrere Reiter auf Tharlarion in Sicht, die auf das große Stadttor zuhielten.
»Das ist das persönliche Banner Seremides’!«
Die Reiter waren fast vollständig mit Umhängen vermummt. Der Präzision ihrer Reihen und der Disziplin und der Mühelosigkeit, mit der sie in den Sätteln saßen, entnahm ich, daß es sich um Soldaten handelte. Wenn der Mann recht hatte und es sich tatsächlich um Seremides’ Banner handelte, dann befanden er oder sein Bevollmächtigter sich unter den Reitern.
»Seremides, rette uns!« rief der Schmied.
Dann waren die Reiter auch schon vorbei.
»Wo ist eigentlich Gnieus Lelius, der Regent?« fragte ein Bürger.
»Den hat man schon seit Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Vielleicht ist er ja aus der Stadt geflohen.«
»Letzte Nacht haben cosische Späher vor den Stadtmauern an die Obdachlosen Silbertarsk verteilt«, berichtete der Töpfer, »und sie der guten Absichten und der Freundschaft des See-Ubarats versichert.«
»Das ist doch lächerlich!«
»Ich kenne einen der Burschen, die einen Tarsk bekamen!« versicherte der Töpfer.
»Leider lag ich zu Hause im Bett.«
»Du hättest eben draußen vor der Mauer sein müssen«, erhielt der Sprecher zur Antwort.
»Ich könnte einen Silbertarsk gebrauchen.«
»Glaubst du, daß Cos wirklich unser Freund ist?« fragte ein Mann den Burschen, der neben ihm stand.
»Nein.«
Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn.
»Warum sagst du das?«
»Ich war im Delta«, erwiderte der Mann und wandte sich ab.
»Ar-Station ist jedenfalls von Cos gut behandelt worden!« rief jemand.
»Einfach nicht darauf reagieren«, raunte ich Marcus zu und zog ihn ein Stück zurück an den Rand der Menschenmenge. Das Gesicht des jungen Kriegers war gerötet. Ich bemühte mich, weitere Gespräche aufzuschnappen.
»Vielleicht kann Seremides uns ja retten«, sagte ein. Bürger.
»Oder die Fürsprache unserer geliebten Talena.«
»Wir müssen bis zum Tod kämpfen.«
»Cos wird uns keine Gnade erweisen.«
»Möglicherweise verschonen sie die Stadt, wenn wir unsere Verfehlungen zugeben und klarmachen, daß wir den Frieden wollen.«
»Welche Verfehlungen denn?« fragte der Töpfer.
»Wir müssen doch etwas getan haben, das nicht richtig war!«
»Vermutlich.«
Da fielen mir auf Anhieb drei Dinge ein: das Versäumnis, Cos vor Torcodino entgegenzutreten, das Versäumnis, Entsatz nach Ar-Station zu schicken, und der überstürzte Vorstoß ins Vosk-Delta, um angeblich das cosische Expeditionsheer zu verfolgen.
»Wir können nichts tun«, verkündete ein Kaufmann.
»Wegen der Tyrannei Gnieus Lelius’ sind wir hilflos.«
»Wer kann uns von dem Joch des Tyrannen befreien?« fragte ein Stadtwächter.
»Vielleicht unsere Freunde aus Cos.«
»Man kann Ar nicht auf unabsehbare Zeit verteidigen«, erklärte ein Soldat.
»Dann müssen wir eben öffentlich verkünden, daß wir eine offene Stadt sind.«
Der Töpfer schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was wir tun sollten.«
»Klügere als wir werden es schon wissen.«
»Wie sollen wir Cos wissen lassen, daß wir seine Freunde sind?« fragte der Kaufmann.
»Ich will nicht sein Freund sein!« erwiderte der Soldat wütend.
»Unsere militärische Situation ist doch hoffnungslos«, meinte der Stadtwächter. »Wir müssen den Cosianern beweisen, daß wir den Frieden wollen.«
»Und wie soll das vonstatten gehen?«
»Sie wollen bestimmt ein deutliches, unmißverständliches Zeichen haben«, erwiderte der Wächter.
»Aber was?«
»Keine Ahnung.«
Ich wandte mich Marcus zu. »Komm mit.«
Wenige Minuten später hatten wir den Sklavenring erreicht, an dem wir Phoebe festgemacht hatten. »Hast du Hunger?« fragte Marcus seine Sklavin.
»Ja, Herr.«
»Dann wirst du heute vielleicht nichts zu essen bekommen«, verkündete er.
»Ich darf meinen Herrn nicht anlügen«, sagte sie. Er ging in die Hocke und befreite sie von dem Ring.
»Ich habe auch Hunger«, sagte ich. »In der Straße der Edelsteine gibt es Eßstuben.«
»Ist das weit?« fragte er.
»Nein.«
Und so gingen wir wieder zurück, folgten der Straße des Zentralzylinders nach Norden, vorbei an Läden, Springbrunnen, Säulen, bis wir schließlich nach links in Richtung der Straße der Edelsteine abbogen. Phoebe, die Hände auf den Rücken gefesselt, ging direkt hinter Marcus.
»Sieh mal«, sagte ich, als wir uns noch auf der Straße des Zentralzylinders befanden, und zeigte zum Himmel hinauf.
»Ein weiterer cosischer Tarnsmann.«
Ich nickte.
»Kupferstücke, Kupferstücke für den Tempel!« rief ein Erleuchteter und klimperte mit den wenigen Tarskstücken in seiner Schale.
»Was will Cos deiner Meinung nach?« fragte Marcus.