Er nickte bloß.
»Es ist vorbei. Einfach so.«
»Und Cos hat den Sieg davongetragen«, sagte Marcus.
»Einen vollständigen Sieg.«
Marcus blickte zu Phoebe hinunter. »Du hast gewonnen«, sagte er bitter.
»Nein, ich habe nicht gewonnen«, erwiderte sie. »Cos hat gewonnen«, sagte er.
»Cos«, sagte sie. »Nicht ich.«
»Du bist eine Cosianerin.«
»Das war ich einmal. Jetzt bin ich eine Sklavin.«
»Aber zweifellos freust du dich über ihren Sieg.«
»Vielleicht freut sich ja mein Herr, daß Ar, das sich weigerte, Ar-Station zu Hilfe zu eilen, gefallen ist.«
Marcus blickte sie an.
Sie fragte mit bebender Stimme: »Werde ich jetzt getötet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Du bist nur eine Sklavin.«
Aufschluchzend umklammerte sie seine Beine und bedeckte seine Füße mit Küssen. Dann sah sie tränenblind zu ihm hoch. »Dann bin ich nicht mehr deine kleine Cosianerin?«
»Du wirst immer meine kleine Cosianerin sein«, sagte er.
»Ja, Herr.«
»Spreize die Beine, Cosianerin!«
»Ja, Herr!« erwiderte sie lachend.
Ich hörte das Klopfen von Hämmern, als die Arbeiter Bretter von der Plattform abrissen.
»Wir sollten uns eine Unterkunft suchen«, meinte Marcus.
»Ja«, sagte ich. »Das sollten wir tun.«
Phoebe stand auf und schmiegte sich an ihn. Er legte den Arm um sie.
»Ich schätze, daß Myron morgen seine Triumphfeier bekommen wird«, sagte Marcus.
»Wohl eher der Ubar von Cos, mittels seines Stellvertreters. Ar wird sein Bestes tun, seinem Befreier Lurius von Jad seinen Dank auszudrücken.«
»Der durch seinen Hauptmann und Vetter Myron, den Polemarkos von Temos, repräsentiert wird«, sagte er. Das war Myrons genauer Titel. Temos ist eine der größten Städte auf der Insel Cos. Die Menge sah ihn bloß als den Polemarkos von Cos, womit sie gar nicht so falsch lag.
»Natürlich.«
»Seremides wird zweifellos an dem Triumph teilhaben.«
Ich nickte. »Das sollte er auch. Schließlich ist es genausogut sein Triumph. Er hat ohne jeden Zweifel lange und hart gearbeitet, um ihn in die Tat umzusetzen.«
»Und Talena.«
»Ja.«
»Du klingst bitter.«
»Vielleicht.«
»Myron wollte Seremides’ Schwert nicht haben.«
»Das ist verständlich.«
»Tatsächlich?«
»Bestimmt sogar.«
Die Entgegennahme des Schwertes hätte soviel wie die öffentliche Kapitulation der Armee von Ar bedeutet, der Fußsoldaten wie auch der Kavallerie, der Tharnstreitkräfte wie auch der Tharlarionreiter. Daß Myron das Schwert in der Öffentlichkeit auf der Plattform nicht angenommen hatte, stand völlig mit der vorgespielten Befreiung in Einklang.
»Ich glaube, sie haben das Schwert gestern in Myrons Zelt übergeben oder, was wahrscheinlicher ist, irgendwo abseits der Stadt vor seinen Truppen, um es ihm dann später im kleinen Kreis wieder zurückzugeben.«
»Ja«, sagte Marcus. »Ich wette, du hast recht!«
»Die Truppen des Polemarkos würden so etwas erwarten.«
»Natürlich. Von Lurius von Jad ganz zu schweigen.«
»Auf jeden Fall hat Ar in jeder Hinsicht kapituliert, mit oder ohne Pfand. Man hat befohlen, den Widerstand gegen Cos einzustellen. Die Streitkräfte Ars, zumindest was davon noch übrig ist, haben die Waffen niedergelegt. Vermutlich wird man in Kürze ihre Zahl reduzieren, wenn man sie nicht sogar ganz auflöst. Vielleicht bleibt eine Handvoll Wächter übrig, die cosischen Offizieren unterstellt werden. Man wird das Waffentragen innerhalb der Stadt unter Strafe stellen. Die Tore sind verbrannt worden. Ich rechne damit, daß man auch die Stadtmauern abträgt, und zwar Stein für Stein. Dann wird Ar schutzlos und völlig auf die Gnade von Cos oder seiner Marionetten angewiesen sein.«
»Das ist das Ende der Kultur«, meinte Marcus.
»Eine Form von Kultur wird bestehen bleiben«, erwiderte ich, »Teile der Kunst, der Literatur, eben solche Dinge.«
»Vielleicht wird Gor ja davon profitieren.« Marcus’ Stimme klang bitter.
Ich schwieg.
»Wie werden die Männer ihre Männlichkeit bewahren?«
»Vermutlich werden sie es irgendwie schon schaffen.« Ich hatte großen Respekt vor den Männern von Ar.
»Und was wird aus den Frauen?«
»Das weiß ich nicht. Wenn die Männer ihre Männlichkeit nicht behalten, wird es für die Frauen schwer, wenn nicht aussichtslos, Frauen zu bleiben.«
Er nickte.
»Cos ist der Herrscher über Gor.« Ich mußte wieder daran denken, daß Dietrich von Tarnburg diese Möglichkeit – die Vorherrschaft einer der großen Mächte – befürchtet hatte. Für die freien Söldnerkompanien konnte das das Ende bedeuten.
Marcus sagte: »Nur in einem gewissen Sinn.«
Ich blickte ihn fragend an.
»In vielen Städten und Ländern, eigentlich in den meisten Teilen der Welt, werden die Dinge bestimmt so bleiben, wie sie sind.«
Ich dachte über die Mühen der Nachrichtenübermittlung nach, wie schwierig es war, Nachschublinien zu unterhalten, über die Länge von Märschen, den Zustand der Straßen, die Abgelegenheit mancher Städte, über die mannigfaltigen Kulturen.
»Ich glaube, du hast recht.«
Cos wäre von nun an lediglich die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Geopolitisch gesehen war es eher unwahrscheinlich, daß es diese Macht für alle Zeiten aufrechterhalten konnte. Sein Stammsitz lag in Übersee, und seine Armeen setzten sich hauptsächlich aus Söldnern zusammen, die nur schwer zu kontrollieren und teuer zu unterhalten waren. Dieser Feldzug mußte eine gewaltiges Loch in die Staatsfinanzen von Cos und in die seines Verbündeten Tyros gerissen haben. Sicher, die Kosten konnte man wieder hereinholen, dafür war zum Beispiel das besiegte Ar gut geeignet.
Cos war es gelungen, Ar zu besiegen. Aber plötzlich wurde mir klar, daß seine Vorherrschaft damit nicht zwangsläufig gesichert war. Sollte Cos nun, da Ar hilflos und verletzlich und als militärische Macht ausgeschaltet war, irgendwann seine Macht verlieren, könnte ein neues barbarisches Zeitalter anbrechen, zumindest innerhalb der traditionellen Einflußsphäre Ars. Eine gesetzlose Barbarei, die nur hier und da von unbedeutenden Tyranneien gebrochen werden würde, von Inseln der Macht, wo bewaffnete Männer ihren Willen durchsetzten.
»Ich höre die Alarmstäbe nicht mehr«, sagte Marcus. »Die Menge auch nicht.«
»Stimmt.«
Im Park des Zentralzylinders schien Stille eingekehrt zu sein, die nur von den Geräuschen der Arbeiter gebrochen wurde, die die Plattform abbauten. Es waren nur wenige Leute in der Nähe. Der Wind wehte winzige Banner aus buntem Papier über den Boden, die Banner von Ar und Cos.
Ich sah wieder zur Plattform hinüber. Dort oben hatte Talena barfuß gestanden.
»Sieh mal«, sagte ich dann und zeigte auf einige Holzbohlen, die man bereits aufgestapelt hatte.
Marcus zuckte mit den Schultern. »Und?«
»Die Bohlen, ihre Oberseite wunde geglättet«
»Und dem Glanz nach zu urteilen hat man Sie auch versiegelt.«
»Genau.«
»Zweifellos hat man sie für die Füße der edlen Talena vorbereitet.«
»Ja.«
»Eine ungewöhnliche Sorge für eine Büßerin.«
»Da hast du recht«, mußte ich ihm zugestehen.
»Aber wir wollten ja nicht, daß ihre kleinen Füße Schaden nehmen, oder?« fragte Marcus seine Sklavin.
»Nein, Herr«, antwortete Phoebe.
Obwohl Marcus’ Worte ironisch gemeint waren, hatte Phoebe ihre Antwort völlig ernst gemeint, was auch richtig war. Sie konnte nicht einmal daran denken, sich in dieselbe Kategorie wie eine freie Frau einzureihen. Auf Gor trennt ein unüberbrückbarer und furchterregender Abgrund die freie Frau von einer Sklavin wie Phoebe.
»Es ist bedauerlich, daß sie gezwungen war, auf so demütigende Weise barfuß aufzutreten, nicht wahr?« fragte Marcus.
»Ja, Herr«, erwiderte Phoebe, »schließlich ist sie eine freie Frau.«
In der Tat hatte es Talena bestimmt eine große Überwindung gekostet, sich der Öffentlichkeit barfuß zu zeigen.
Phoebe ging natürlich barfuß. Das ist bei Sklavinnen so üblich.