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»Du hast dich ihm entgegengestellt, geliebte Ubara!« rief ein Mann. »Du hast versucht, uns zu warnen! Du hast getan, was du tun konntest! Wir wollten nicht auf dich hören! Wir sind schuldig, nicht du!«

Andere stimmten in den Aufschrei ein. Es gab viele, die lautstark gegen Talenas scheinbare Bereitschaft protestierten, die Schuld Ars zuzugeben und zu teilen.

»Nein!« rief Talena. »Ich hätte handeln müssen! Statt Zeugin der Schande Ars zu werden, hätte ich mir einen Dolch in die Brust stoßen sollen!«

»Nein! Nein!« rief die Menge.

»Es wäre eine winzige, wenn auch vergebliche symbolische Geste gewesen«, rief sie, »aber ich habe es nicht getan! Also bin auch ich schuldig!«

Lautstarker Protest ertönte. Ich sah einige Männer weinen.

»Du hast das Leben gewählt, um für Ars Rettung zu arbeiten!« rief jemand.

»Wir schulden dir alles, geliebte Ubara!«

»Und jetzt«, sagte Talena, »trotz allem, trotz der ungeheuerlichsten Provokationen, hat unser Bruder Lurius von Jad, der Ubar von Cos, unsere Stadt verschont! Der Heimstein ist sicher! Der Zentralzylinder steht! Wie sollen wir unseren cosischen Brüdern dies vergelten? Welches Geschenk wäre angemessen, um ihm für unseren Heimstein, unser Leben und unsere Ehre zu danken? Welches Opfer wäre groß genug, um unseren Dank auszudrücken?«

»Kein Geschenk wäre kostbar genug!«

»Kein Opfer wäre groß genug!«

»Und jetzt, mein Kind«, sagte Talena zu Lady Fulvia, »verstehst du nun, warum man dich gebeten hat, heute herzukommen?«

Lady Fulvia brachte anscheinend keinen Ton heraus. Sie sah ihre Ubara nur ängstlich an.

»Sicherlich bedauerst du die Verbrechen Ars«, sagte Talena. »Warum wärst du sonst als Büßerin herkommen?«

Lady Fulvia senkte den Kopf.

Man hatte den Frauen natürlich befohlen, hier zu erscheinen. Das heißt, eigentlich hatte man ihnen befohlen, sich am vergangenen Nachmittag im Großen Theater zu melden, wo man sie zu ihrer Überraschung in Käfigwagen gesperrt und zu der mehr als einen Pasang entfernten Arena der Klingen geschafft hatte. Unter dem Zuschauerrund gab es zahllose Zellen, in die man wilde Bestien, gefährliche Männer und Kriminelle einsperrte. Die Frauen waren überprüft und gezählt worden, dann hatte man sie über Nacht eingesperrt. Vorher aber erhielten sie die Büßergewänder, damit sie sie über Nacht tragen konnten. Am Morgen hatte man sie dann an einen Sammelplatz in der Nähe der Straße des Tores gebracht. Einige Frauen, die es versäumt hatten, im Großen Theater zu erscheinen, waren später am Abend von sowohl regulären als auch Hilfswächtern abgeholt und in die Tarnarena gebracht worden. Ich selbst hatte zusammen mit ein paar anderen Hilfswächtern zwei dieser Frauen geholt. Eine hatten wir wie eine rebellische Sklavin fesseln müssen; Sklavinnen sind nur selten mehr als einmal rebellisch.

»Du willst doch bestimmt alles in deiner Macht Stehende tun, um die Verbrechen Ars zu sühnen?« fragte Talena die kniende Frau.

Fulvia schwieg.

»Bist du nicht begierig, für die Verbrechen Ars zu sühnen?« fragte die Ubara freundlich.

Lady Fulvia schwieg noch immer.

»Willst du nicht mit deiner ganzen Kraft alles tun, um diese Dinge wiedergutzumachen?«

Schweigen.

»Rede, du Schlampe!« rief ein Mann wütend.

»Bitte!« sagte Talena laut und hielt die Hand hoch. »Laßt ab, edle Bürger! Ihr sprecht von einer freien Frau aus Ar!«

»Ja, meine Ubara!« sagte Lady Fulvia.

»Du willst doch nicht selbstsüchtig sein, oder?« fragte die Ubara.

»Nein, Ubara«, schluchzte Fulvia.

»Und ist dieses Opfer, das wir von dir verlangen, im Namen der Stadt und ihres Heimsteins, viel größer als das, das ich zu leisten bereit war?«

»Nein, meine Ubara!« jammerte Fulvia.

Talena bedeutete mit einer kleinen, zögernden, fast schon tragischen Geste, daß man Lady Fulvia wegbringe.

»Die nächste!« rief der Schriftgelehrte.

Die Prozedur ging weiter. Nach einiger Zeit lehnte Talena immer häufiger Frauen ab. Mir kam der Verdacht, daß die Tagesquote erfüllt war.

Schließlich trat eine schlanke Frau anmutig vor die Ubara.

»Claudia Tentia Hinrabia, Lady von Ar«, las der Schriftgelehrte vor.

Eine erwartungsvolle Spannung erfaßte die Zuschauer. Die Männer drängten näher an die Plattform heran. »Claudia die Hinrabianerin«, sagte ein Mann.

Ich trat selbst näher. Claudia Tentia Hinrabia war die Tochter eines früheren Administrators von Ar, Minus Tentius Hinrabius. Cernus hatte sie bei seinen dunklen Spielen als Schachfigur benutzt, um das Haus Portus – seinen größten wirtschaftlichen Rivalen – zu stürzen. Später hatten ihn seine Intrigen sogar bis auf den Thron von Ar gebracht, auf dem er sich bis zu seinem Sturz durch Marlenus gehalten hatte. Zur Zeit seines Sturzes war Claudia Sklavin in seinem Haushalt gewesen. Nach der Rückkehr auf den Thron hatte Marlenus sie befreit und sogar dafür gesorgt, daß der Staat ihren Lebensunterhalt bestritt. Sie hatte mehrere Jahre lang im Zentralzylinder gewohnt. Sie war die Letzte der Familie der Hinrabianer.

Mit einem Kopfschütteln befreite Claudia ihr Haar von der Kapuze. Sie hatte langes schwarzes Haar, lockig und wunderschön. Es strömte ihr über den Rücken. Genau wie ich es in Erinnerung hatte von unserer ersten Begegnung im Hause des Cernus. Durch das Zurückschlagen der Kapuze hatte sie auch das Gesicht entblößt. Wie die anderen Frauen war auch sie nicht zusätzlich verschleiert. Ich konnte mich noch gut an die dunklen Augen der Hinrabianerin und an die hohen Wangenknochen erinnern.

Anmutig streifte sie das Büßergewand ab und ließ es hinter sich zu Boden fallen.

Mehrere Männer ließen ein bewunderndes Raunen vernehmen.

Claudia war schlank und wunderschön. Sie stand gerade aufgerichtet vor der Ubara, wie es schien voller Trotz.

»Seht sie euch an«, sagte ein Mann zu seinen Freunden.

Claudia lächelte. Sie wußte, daß sie eine ungewöhnliche Schönheit darstellte, selbst auf einer Welt, in der Schönheit kein seltenes Gut war.

Talena schien ärgerlich zu sein.

Dabei war ich sicher, daß sie, hätte man sie ausgezogen und neben die Hinrabianerin gestellt, den Vergleich nicht hätte fürchten müssen.

Claudia sah zu Talena auf dem Podest hoch.

»Du wirst mich auswählen«, sagte sie.

»Vielleicht, wenn ich dich brauchbar finde«, erwiderte Talena voller Wut.

»Du hast lange auf diesen Tag gewartet«, sagte Claudia, »du hast darauf gewartet, mich, die Tochter von Minus Tentius Hinrabius, deine Rivalin, in deine Gewalt zu bekommen!«

»Ich bin die Tochter des Marlenus von Ar!« sagte Talena.

»Das bist du nicht!« rief Claudia. »Du wurdest verstoßen. Du hast ein ebenso großes Anrecht auf den Thron von Ar wie ein hübsches kleines Urtweibchen!«

»Verrat!« riefen einige der Männer. »Verrat!«

»Dein Vater hat Männer in die Voltai geschickt, um Marlenus zu finden und zu töten!« rief Talena.

»Ich bestreite nicht, daß mein Vater Marlenus’ Feind war«, sagte Claudia. »Das ist allseits bekannt, und zu dieser Zeit waren viele Männer in Ar sein Feind!«

»Cernus!« rief Talena.

»Ja«, sagte Claudia.

»Dessen Sklavin du warst!« sagte Talena verächtlich.

»Urtweibchen!« rief Claudia.

»Dreh dich langsam einmal um die eigene Achse!« befahl die Ubara.

Männer keuchten auf.

Ärgerlich gehorchte Claudia. Dann stand sie Talena wieder gegenüber. »Ich bekleidete im Zentralzylinder eine höhere Stellung als du«, sagte sie. »Ich war die Tochter eines ehemaligen Administrators von Ar! Du warst ein Nichts, eine enterbte Schande, aus dem Norden gerettet. Sie haben dich in einem Laken zurückgebracht, du besaßest nicht einmal ein Tarskstück. Warst entehrt. Du nanntest nicht einmal mehr die Bürgerschaft dein eigen! Nur weil du einst Marlenus’ Tochter warst, erlaubte man dir, im Zentralzylinder zu leben. Aber man hielt dich dort verborgen, von den anderen getrennt, damit du nicht noch mehr Schande über Marlenus und die Stadt bringen konntest. Vergleich dich nicht mit mir. Du bist ein Nichts! Ich bin die Tochter des Minus Tentius Hinrabius!«