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»Ich verstehe«, sagte er. »Und was ist, wenn sich das Feuer durch den Bezirk ausbreitet und schließlich ganz Ar vernichtet?«

Ich schwieg. »Daran habe ich gar nicht gedacht«, mußte ich dann zugeben.

»Nun«, sagte er. »Es ist schwer, immer an alles zu denken.«

»Ja.« Er hatte natürlich recht.

»Was ist, wenn die Listen schon längst im Zentralzylinder sind?« fragte er dann.

»Vermutlich sind sie das tatsächlich.«

Er stöhnte auf.

»Aber sie könnten auch noch hier sein.«

»Aber du willst nicht auch noch den Zentralzylinder niederbrennen, oder?«

»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Wenn sie dort sind, dann wurden sie bestimmt bereits kopiert, vielleicht sogar mehr als nur einmal, und wer weiß, wo diese Kopien dann aufbewahrt werden. Außerdem sind dort viele Sklavinnen.«

»So wie die Ubara?«

»Genau«, sagte ich. Und verstummte.

»Was ist?« fragte Marcus beunruhigt.

»Hör mal!«

Er nickte. Schritte näherten sich, mit wachsender Geschwindigkeit. Wir drückten uns an eine Mauer.

In der Dunkelheit ging eine stämmige Gestalt vorbei. Ich war mir nicht sicher, hatte aber den Eindruck, daß ich sie irgendwo schien einmal gesehen hatte.

»Nicht jeder hält sich an die Ausgangssperre«, bemerkte Marcus.

»Du bist ja auch draußen«, sagte ich.

»Wir haben unsere Armbinden.«

»Ich glaube, da kommt noch jemand.«

Wir drückten uns tiefer in die Dunkelheit.

Ein zweiter Mann kam auf der Straße näher, aber plötzlich entdeckte er uns, da wir uns als Schatten in der Dunkelheit abzeichneten. Er riß ein Schwert aus der Scheide; Marcus und ich folgten sofort seinem Beispiel. Einen Augenblick lang schien er überrascht zu sein. Mir ging es nicht anders. Dann eilte er los, ohne das Schwert zurück in die Scheide zu schieben.

»Gibt es noch mehr?« flüsterte Marcus.

»Schon möglich«, sagte ich, »aber auf anderen Straßen, wo jeder einen anderen Weg nimmt.«

Marcus steckte das Schwert zurück. Ich ebenfalls.

»Hast du den ersten Mann erkannt?« fragte ich meinen Freund.

»Nein.«

»Ich glaube, er gehörte zu einem der Bauernregimenter«, sagte ich. »Das erste Mal sah ich ihn außerhalb der Stadtmauer. Er war aus dem Westen gekommen und hatte die endgültige Niederlage Ars überlebt.« Ich glaubte mich an ihn zu erinnern. Er war ein Riese von einem Mann. Er hatte das Spiel gewonnen, bei dem man auf einem Weinschlauch aus Verr-Haut stehen mußte. Er hatte den Schlauch kurzerhand aufgeschlitzt. Eigentlich wunderte es mich, daß er die Stadt nicht schon längst verlassen hatte. Möglicherweise gehörte sein Dorf zu denjenigen, die man niedergebrannt hatte. Schließlich hatten Leute wie er und auch Jugendliche, die nicht mal alt genug gewesen waren, um mit den Waffen umgehen zu können, einen Großteil der Verteidigungsmilizen gestellt.

»Hast du den zweiten Kerl erkannt?« fragte Marcus.

»Ich glaube schon«, sagte ich.

»Und ich glaube, er hat uns ebenfalls erkannt.«

»Schon möglich.«

»Plenius«, sagte er. »Aus dem Delta.«

»Ja.«

Marcus nickte versonnen; plötzlich ruckte sein Kopf hoch. Schreie zerrissen die Nachtluft, dann ertönte ein Alarmstab.

»Sieh nur!«

Im Osten färbte sich der Himmel rot. Es war eine Art pulsierende, flackernde Glut.

»Das ist nicht die Morgendämmerung«, sagte Marcus grimmig.

»Ich finde, wir sollten zu unserem Quartier zurückgeben.«

Ein paar Männer rannten an uns vorbei auf das Licht zu. Mittlerweile wurden mehrere Alarmstäbe geschlagen.

»Die Ausgangssperre ist doch sicher noch immer in Kraft«, sagte Marcus.

»Die wird man jetzt schwer durchsetzen können«, sagte ich. Ein Mann eilte an uns vorbei, und ich packte ihn am Arm. »Was ist passiert?«

»Habt ihr nicht gehört?« keuchte er. »Die Registratur! Sie steht in Flammen!«

»Vielleicht hätten wir in eine Taverne gehen sollen«, meinte Marcus.

»Sie schließen neuerdings zur achtzehnten Ahn«, erinnerte ich ihn.

»Stimmt«, sagte er gereizt.

Die Wirte schätzten die Ausgangssperre bestimmt nicht und würden Geld verlieren. Vielleicht durften sie ja dafür früher öffnen.

Ich begleitete Marcus zurück in den Metellanischen Bezirk, das Seil und den Haken unter dem Umhang versteckt. Ich konnte seinen Ärger verstehen. Wir hätten den Abend genausogut in einer Paga-Taverne verbringen und uns an den sich windenden, schmachtenden Körpern der einstigen freien Frauen Ars erfreuen können. Sie trugen Glöckchen um die Knöchel, die bei jeder Bewegung bimmelten.

15

»Seht her!« rief der Söldner. »Wir haben ein Mitglied der Deltabrigade gefangen!«

»Zur Seite! Zur Seite!« rief sein Kamerad und stieß Männer zurück.

»Rettet mich denn keiner!« schrie der bärtige, gefesselte Mann, der sich im Griff des Söldners wand. »Seid ihr keine Männer mehr?«

Wir standen an der südwestlichsten Ecke des Teiban-Sul-Marktes. Es war Morgen, die achte Ahn, am zweiten Tag in der Woche. Natürlich hatten sich zu dieser Stunde und an diesem Tag hier viele Leute versammelt.

»Leichtsinnig, daß diese Kerle, die nicht einmal Stadtwächter sind, ihren Gefangenen so mutig und in aller Öffentlichkeit hier herumführen«, sagte Marcus. »Und das in einer Gegend, wo die Feindseligkeit gegenüber Cos jederzeit überhandnehmen könnte.«

»Ein offensichtlicher Mangel an Urteilsvermögen«, gestand ich ihm zu.

»Laßt mich los!« brüllte der Bärtige die beiden Söldner an. »Ich verlange, sofort freigelassen zu werden!«

»Schweig, du mieser Sleen!« rief der eine Söldner und versetzte dem Gefangenen einen Stoß, woraufhin sich dieser gebärdete, als hätte er einen brutalen, viel stärkeren Schlag davongetragen.

»Du Sleen von einem Verräter an Cos!« sagte der andere Söldner und schlug ebenfalls zu.

»Ich glaube, ich hätte ihn härter schlagen können«, sagte Marcus nachdenklich.

»Laßt ihn los!« rief ein Tur-Pah-Straßenverkäufer und schob sich zwischen den Körben mit dem schlingpflanzenähnlichen Gemüse durch.

»Misch dich nicht ein!« warnte der eine Söldner.

»Zurück, ihr widerlichen Patrioten Ars!« rief sein Kamerad aus.

Marcus verschränkte die Arme vor der Brust. »Seltsam, daß der Gefangene eine Armbinde mit einem Delka am Ärmel trägt.«

»Zweifellos haben ihn die Söldner auch deswegen als Mitglied der Deltabrigade erkennen können«, sagte ich.

»Seremides hätte es viel leichter, wenn alle Angehörigen der Brigade so hilfsbereit wären.«

»Vielleicht könnten sie ja eine Uniform tragen«, schlug ich vor, »um es ihren Gegnern einfacher zu machen, sie zu ertappen.«

»Das sind doch nur zwei Mann!« rief der bärtige Gefangene. »Befreit mich! Versteckt mich! Ruhm und Ehre für die Deltabrigade!«

Es hatte den Anschein, als würde es keiner der Umstehenden wagen, diesen Ruf zu erwidern, aber ihre Stimmung war eindeutig: Sympathie für den Gefangenen und Wut auf die Söldner, und es bestand die große Wahrscheinlichkeit, daß eines zum anderen führte und sie handelten.

»Hilfe! Wenn wahre Männer aus Ar da sind, helft mir!« rief der Gefangene.

Einer der Marktleute versetzte einem Söldner einen Stoß, woraufhin sich dieser wütend revanchierte.

»Aus dem Weg!« rief er.

»Wir bringen diesen Kerl ins Hauptquartier!« sagte sein Kamerad.

»Laßt ihn gehen!« rief ein Mann. Die beiden Söldner waren nun von einer Menschenmenge umringt.

»Mein einziges Verbrechen war meine Liebe zu Ar und meine Loyalität zum Staat«, rief der Gefangene.

»Laßt ihn los!«

Mehrere Männer trugen Stäbe, eine einfache Waffe, die in den Händen eines geschulten Kämpfers so verheerend sein kann. Das war nichts Ungewöhnliches, da viele der Straßenhändler Bauern vom Land waren. Der Stab dient natürlich nicht nur als Waffe, sondern wird für gewöhnlich als Stock in unwegsamem Gelände benutzt. Oder er ersetzt ein Joch, da man an seinen Enden Körbe balancieren kann. Was nun sein Potential als Waffe angeht, gibt es viele Männer, die so gut damit umgehen können, daß sie damit jedem Schwertkämpfer gewachsen sind.